Sozialministerium:Eine Hilfe für Obdachlose, die nicht gebraucht wird

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Der Bus solle dorthin kommen, wo sich Menschen ohne Obdach aufhalten. (Foto: Tobias Hase/dpa)
  • Der "Mobile Lotsenpunkt", ein Pilotprojekt von Sozialministerin Kerstin Schreyer, soll Menschen ohne Obdach Hilfe bieten.
  • In Fachkreisen wie dem Münchner Netzwerk Wohnungslosenhilfe löst dieses Angebot Fassungslosigkeit aus.
  • München verfüge Experten zufolge schon bisher über ein bundesweit vorbildliches Netzwerk in der Wohnungslosenhilfe.

Von Sven Loerzer, München

Etwa 9000 Menschen in München haben keine Wohnung, mindestens 550 von ihnen leben nach Schätzungen auf der Straße. Sollte da nicht jede Hilfe willkommen sein? Noch dazu, wenn sie als Pilotprojekt von Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) vorgestellt wird wie der "Mobile Lotsenpunkt", ein mit zwei Sozialpädagogen besetzter Beratungsbus für Obdachlose? Die Idee der Ministerin: "Wir können nicht darauf warten, dass die Betroffenen zu uns kommen und uns erzählen, wie sie in diese schwere Krise geraten sind." Der Bus solle dorthin kommen, wo sich Menschen ohne Obdach aufhalten, um Hilfe zu bieten.

Allerdings: In Fachkreisen wie dem Münchner Netzwerk Wohnungslosenhilfe löst dieses Angebot, das vorgibt, neu zu sein, weniger Freude als Fassungslosigkeit aus. "Diese Ahnungslosigkeit ist ein ausgesprochenes Armutszeugnis für das gesamte Sozialministerium", sagt Manfred Baierlacher, langjähriger Leiter eines Hauses für Wohnungslose. Denn "aufsuchende Arbeit", wie das im Fachjargon heißt, gibt es in München schon lang.

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Die Teestube "komm", ein Tagestreffpunkt für Obdachlose, den das Evangelische Hilfswerk seit 1980 betreibt, beschäftigt Streetworker, die Menschen an ihren Treffpunkten und Schlafplätzen aufsuchen. Kontakt und Vertrauen aufzubauen, die Betroffenen zu motivieren, ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen - das gelingt nicht immer, obwohl das Hilfesystem in München über Angebote für die unterschiedlichsten Problemlagen verfügt. Es ist kein einfaches Unterfangen, zumal bei psychisch Kranken oder Menschen mit Suchtproblemen. Solange Hilfsangebote abgelehnt werden, aber noch keine Selbstgefährdung vorliegt, hat ein Streetworker nur die Möglichkeit, dranzubleiben, es immer wieder zu versuchen.

"Schade, dass sich die Ministerin nicht darüber informiert hat, was es bereits gibt", sagt Franz Herzog, Leiter der Teestube. "Man muss das Rad nicht immer wieder neu erfinden." Und Ludwig Mittermeier vom Katholischen Männerfürsorgeverein betont: "Das Angebot braucht es in dieser Form nicht" - vor allem, wenn es an allen Strukturen vorbei eingesetzt wird. Schließlich gebe es auch noch die Straßenambulanz, eine rollende Arztpraxis, die Obdachlosen nicht nur medizinische Hilfe bietet. Überhaupt verfüge München über ein bundesweit vorbildliches Netzwerk in der Wohnungslosenhilfe. "Wenn der Freistaat obdachlosen Menschen in Bayern tatsächlich helfen will, muss er sich zunächst mit denjenigen abstimmen, die seit Jahren die entsprechende Arbeit vor Ort leisten und verantworten, also den in diesem Feld tätigen Verbänden und den zuständigen Kommunen", kritisiert auch Sozialreferentin Dorothee Schiwy das Vorgehen der Ministerin.

Dass der Beratungsbus überdies von Lotse e.V. betrieben wird, hat in der Fachöffentlichkeit Erstaunen ausgelöst. Der Verein ist bislang nicht in der Obdachlosenarbeit aktiv, sondern in der Kinder- und Jugendhilfe; er unterhält im Landkreis München einen "mobilen Familienstützpunkt", den Schreyer noch als Stimmkreisabgeordnete besucht hat, kurz bevor sie Ministerin im Kabinett von Markus Söder wurde: Der Beratungsbus tourt durch die Gemeinden, um dort wohnortnah als Anlaufstelle für Kinder und Familien bei allen Fragen zu dienen.

Die Ankündigung der Staatsregierung, sich um Obdachlose zu kümmern, habe bei ihm die Hoffnung ausgelöst, sagt Mittermeier, "dass es zu strukturellen Verbesserungen kommt", wie etwa die Betreuung von Unterkünften im Umland. Inzwischen sei die Hoffnung der Enttäuschung gewichen. "Dabei gibt es so viel zu tun." Den neuen Beratungsbus für München finanziert übrigens nicht das Sozialministerium, sondern eine Stiftung. Für ein Jahr, was danach ist, ist offen. Aber dann ist die Landtagswahl vorbei.

© SZ vom 01.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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