Soziales:Mehr als Brot und Vitamine

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"Ich freue mich über jedes Teil, das ich hier bekomme": Auguste Moersch (links) ist für Helferinnen wie Greta Buck eine alte Bekannte. Die 81-Jährige, deren Rente unter 800 Euro liegt, versorgt sich seit neun Jahren bei der Münchner Tafel. (Foto: Jan Staiger)

Die Münchner Tafel verteilt nicht nur gespendete Lebensmittel. Sie kauft auch allerlei dazu, was sich Bedürftige selten leisten können - von Corega Tabs über Cremes und Einlagen bis hin zu Wollsocken

Von Renate Winkler-Schlang, München

Donnerstagnachmittag. Die Helfer der Münchner Tafel bauen ihre Stände auf, an diesem Tag im Hof der evangelischen Dankeskirche an der Keferloherstraße, einer von insgesamt 27 Verteilstellen im ganzen Stadtgebiet. Draußen vor dem Tor warten schon die ersten Bezieher mit ihren Rollwägelchen. Obst und Gemüse, Brot und Gebäck stellen die Freiwilligen auf die Tische. Alles verderbliche Ware, die sie geschenkt bekommen von Lebensmittelhändlern und Bäckereien, weil bald das Haltbarkeitsdatum abläuft oder die Früchte schon erste braune Stellen haben, der Salat nicht mehr ganz taufrisch ist.

Doch ein Tisch lockt auch mit Dingen, die nicht so schnell schimmeln oder vergammeln würden: Shampoo, Waschmitteltabs, Damenbinden, Inkontinenzeinlagen, Küchenrollen, Dosensuppen, trockene Hülsenfrüchte. Auch solche Dinge werden manchmal gespendet, wenn etwa die Verpackung beschädigt ist. Oft aber kauft die Tafel sie zu, denn sie will ihre Bezieher mit mehr als Vitaminen und Brot versorgen.

Eine gebeugte alte Frau mit Kopftuch fischt sich eines dieser Waschmitteltabs aus einem aufgebrochenen Päckchen. "Sie dürfen das ganze Paket mitnehmen", sagt Helferin Bettina freundlich. Die Frau strahlt. Eine andere bekommt diskret von ihrer vertrauten Ehrenamtlichen ein großes Paket mit Einlagen, die sie gleich ganz unten in ihrem Einkaufsbehälter verschwinden lässt. Offenbar geniert sie sich ein wenig. Auguste Moersch steht nun vorne in der Schlange. Seit neun Jahren kommt die 81-Jährige schon hierher und geht ganz offen um mit ihrer Armut, ihrer Bedürftigkeit. "Ich freue mich über jedes Teil, das ich hier bekomme", sagt sie. Das verschaffe ihr finanziell Luft, sich auch mal etwas zu gönnen, einen kleinen Ausflug, ein bisschen Kultur vielleicht.

Ihre Rente liege "unter 800", deutlicher will sie nicht werden. Sie habe viel gearbeitet in ihrem Leben, erzählt die Rheinländerin, die der Liebe wegen nach München kam. "Und wegen dem Leberkäs, der Wiesn und den Biergärten", lacht sie. Die Hauswirtschaftsschule hat sie absolviert, hat nach ihrer Scheidung im Service gearbeitet, unter anderem im Wienerwald. "Da habe ich gut verdient. Und Trinkgeld gekriegt." Doch dann versuchte sie, sich selbständig zu machen mit einem Weinhandel: "Ich war dumm genug, nicht freiwillig in die Rente einzuzahlen." Es folgen ein Unfall mit dem Rad, eine "Frauenkrankheit". Sie nimmt sich nicht die Zeit, krank zu sein. "Ich habe nicht an meinen Körper gedacht." Das aber rächt sich später, da kann sie nur noch stundenweise arbeiten, ihr Immunsystem ist schwach, immer wieder ist sie krank. Das macht arm.

Die Tafel sei für sie ein Lichtblick: "Ich komme gerne hierher. Auch wegen dem Kontakt." Freudig begrüßt sie eine alte Bekannte. "Eigentlich bräuchte ich eine Krücke", sagt sie: "Aber der Einkaufswagen stützt ja auch." Sie packt ihn voll.

Shaune Speck ist die Leiterin dieser Tafel-Ausgabestelle. Sie registriert eine zunehmende Nachfrage nach den Gesundheits- und Pflegeprodukten. "Viele wollen das nicht zugeben, aber die Krankenkasse verschreibt ihnen zum Beispiel nur eine gewisse Anzahl von Einlagen. Und die sind ja so teuer. Dass sie auch das von uns bekommen, ist für sie wie ein großes Geschenk."

Rund 7000 Münchner versorgt die Tafel wöchentlich mit Lebensmittelspenden, etwa 2000 davon sind arm, weil sie aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht mehr erwerbsfähig sind, wie es im Amtsdeutsch heißt. Orthopädische Probleme, chronische Krankheiten sind die Ursachen. Aber auch psychische Probleme, Depressionen. Auch Akademiker seien darunter, für die der Leistungsdruck zu groß wurde, die sich nach einem Burn out nicht mehr derrappeln konnten, wie Tafel-Sprecherin Angela Zacher erklärt. Da wird die Miete schnell zu teuer, eine billigere Wohnung findet sich nicht gleich, eine Abwärtsspirale setzt ein.

Was die Tafel zukauft und austeilt, hilft und gibt dem Leben vieler Bezieher ein wenig mehr Qualität: Wer inkontinent ist und die nötigen Utensilien nicht hat, traut sich nicht mehr raus, wird immer einsamer. Wer in der Kindheit und Nachkriegszeit mangelhaft ernährt wurde, spürt im Alter die Langzeitwirkung, den bauen eine kräftigende Suppe, Hülsenfrüchte, Vollkornprodukte wieder auf. Auch an selbstverständlich erscheinenden Dingen sparen viele Menschen, Corega Tabs, Zahnbürsten, Creme gegen trockene Haut, an gesundheitsfördernden Tees, Hilfsmitteln zur Wundpflege. Wenn die Tafel für jeden ihrer Bezieher jede Woche nur einen Euro ausgibt, kosten diese Zusatz-Produkte im Jahr stolze 364 000 Euro. Da sind Dinge wie dicke Wollsocken gegen die Kälte oder ein Schwimmbadbesuch zur Aktivierung des Körpers, ein paar Buntstifte für die Kreativität oder auch mal eine Kinokarte noch gar nicht mitgezählt.

Was immer die Organisatoren zukaufen, sie versprechen eines: "Jedes Geschenk, jeder Artikel, jeder Gutschein wird würdevoll und gerecht persönlich an die Gäste überreicht", so Sprecherin Zacher: "Und dies schenkt den Ärmsten unserer Stadt ein Stück Zuversicht, aus dem sie Kraft für die Zukunft schöpfen können." Auguste Moersch ist eine dieser Armen. Und sie ist zuversichtlich: "Bis jetzt ist es immer noch jut jegange", sagt sie in schönstem Rheinland-Dialekt.

© SZ vom 27.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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