Schwabing:Wunderkammer

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Das Tams-Theater ist 50 geworden. Mit ihm auch Artefakte, die die Zeit überdauert haben

Von Nicole Graner

Theaterleiter Lorenz Seib. (Foto: Stephan Rumpf)

Wundern? Ist es wirklich so, dass sich die Schwabinger und alle jene, die das kleine Theater an der Haimhauserstraße 13 a lieben, noch wundern über die versteckte Heimat der Kreativität? Kaum. Denn das Tams-Theater hat schon immer gemacht, was es wollte. Hat der Fantasie einen Raum geschaffen - sie im Kleinen gehegt und gepflegt. So kraftvoll, dass sie dem Großen getrotzt hat, dem Schnelllebigen, dem Chic, dem Geldigen. Und mit Inszenierungen der besonderen Art. Eröffnet wurde das von Philip Arp und Anette Spola gegründete Tams am 27. Januar 1970. Auf der Bühne: "Die stummen Affen" in einer Inszenierung von Harald Herzog. Was mag also noch kommen? Das Plakat, das überall hängt - auch im berühmten Foyer mit seinen alten Heizöfen des ehemaligen Tröpferlbads - macht es mit dem Slogan klar: "Ihr werdet Euch noch wundern!" Es geht also noch mehr.

Wundern muss man sich dann auch nicht, dass an magischen Orten der Fantasie nichts verloren geht. Dass alles, was vom Team und den Schauspielern geliebt wird, in den Räumen sichtbar oder versteckt, bewahrt wird. Ob im Fundus und nie entsorgt. Ob im Alltag und täglich in Gebrauch. Sechs Artefakte sind nicht wegzudenken. Und wehe, einer rührt daran! Sie erzählen Geschichten, sind Zeugnis einer bewegten Zeit. Sie sind geliebt und werden gehütet. Wohl auch die nächsten 50 Jahre.

Hölzerner Statist

Das Kassenbrett aus Holz sollte 2016 durch eins aus Edelstahl ersetzt werden. (Foto: Stephan Rumpf)

Er hätte es lieber erst gar nicht versuchen sollen. Lorenz Seib hatte am 17. Januar 2016 nämlich einmal die Idee, das alte Kassenbrett, das zum Kartenverkauf einfach über die Tank-Elemente gelegt wird, mit einer Edelstahl-Variante zu ersetzen. "Man war", erinnert sich Seib lachend, "einfach sprachlos über diese Pietätlosigkeit". Jenes alte Brett zu entsorgen, das es von der ersten Premiere an gibt? Undenkbar. Und um der Sprachlosigkeit eine gewichtige Stimme zu verleihen, schrieb Anette Spola nicht nur eine Ode über das Brett, sondern markierte mit einem schwarzen Stift die Geburtsstunde und das vermeintliche Ende auf dem hölzernen Corpus. Nie mehr hat Seib auch nur im Entferntesten noch einmal über ein neues Kassenbrett nachgedacht - auch wenn das Alte gerne mal verrutscht, wenn kassiert wird. Jede "Menge Geld" hat es wohl also gesehen in diesen 50 Jahren.

Einmal bekam das berühmte Accessoire sogar eine Statistenrolle in einem Theaterstück. Der Tresen im Foyer wurde nachgebaut. Da durfte das Brett nicht fehlen, aber natürlich nicht das Echte. Ein Duplikat musste her. Angst, dass das unscheinbare Holzteil aus Versehen mal verschwinden könnte, hat Seib nicht. 2Dem passiert nichts. Jeder hier weiß, wie es aussieht und wir passen gut darauf auf."

Den Bach runter

Eine Miniatur des Maximilianeums ging einst den "Bach runter". (Foto: Stephan Rumpf)

Ein kleiner Junge ist einfach in den Eisbach im Englischen Garten gesprungen. Er musste es anlangen, das schwimmende Gebäude, musste sehen, wie groß es ist. Und hören. Erklang doch aus diesem Haus die Bayernhymne. Nichts Geringeres schwamm da den "Bach runter" als das Maximilianeum. Ein Heiligtum im Wasser? Das Tams inszenierte draußen. Am Eisbach. Im Jahr 1992. Weißwürste mit Senf, ein Bett mit klingelndem Wecker, Geweihe - 50 Objekte schickte Bühnenbildner Eberhard Kürn auf die Reise. Unter großem Staunen der "Nackerten" und vieler anderer, die sich einen Spaß daraus machten, zu raten was als Nächstes "gewässert" wurde. "Wässerungen" hieß die dreiteilige Theatertrilogie, mit der das Tams erstmals die Bühne verließ und Gastspiele an verschiedenen Orten Münchens gab: Mit "Das letzte Ma(h)l" im ehemaligen Wannen- und Duschbad und "München taut auf" am Jakobsplatz.

Das Maximilianeum hat die Bachfahrt bestens überlebt. Präsent steht es auf einem Regal im Fundus. Ein bisschen verstaubt, aber gut in Schuss. Die roten, kleinen Kacheln der Mauer vor dem Landtag sind verblichen. Das war's. Und weil der Fundus so viele Stücke birgt aus alten Zeiten, will Lorenz Seib im Herbst ein Stück inszenieren, in dem sie wieder auf die Bühne dürfen. Auch das Haus der "göttlichen Eingebungen".

Mittelpunkt aus Stahl

Alles bleibt, alles ist das Tams: Im Theater geht nichts verloren. (Foto: Stephan Rumpf)

Wer gerne Lieder unter der Dusche singt, sich Zeit lässt, beim Brausen und Cremen, der hätte im ehemaligen Tröpferlbad an der Haimhauserstraße keine Freude gehabt. Denn die offizielle Badezeit betrug 20 Minuten. Übrigens einschließlich Aus- und Ankleidezeit! Bei Überschreitung, so macht es die alte Badeordnung unmissverständlich klar, hätte der Gast noch einmal den ganzen Eintritt zahlen müssen. Als 1969 das Tröpferlbad zum Tams Theater umgebaut wurde, blieb etwas ganz Besonderes bestehen: die Heizöfen für das warme Wasser. Aus dieser Kesselanlage wurde der große Tresen im Theaterfoyer.

Die Heizuhren sind auf der Ofenanzeige auf der roten 04 stehen geblieben. Klappen, Ventile - alles funktioniert. Dicke Rohre führen zum Stahlkoloss. "Dass alles so gut erhalten ist", sagt Lorenz Seib, "ist ein großes Glück. Denn das Theater hatte ja auch nie Geld, groß zu renovieren. Also blieb das meiste so." Ein guter Grund für die Denkmalschutzbehörde, das Theater von 16. Oktober 2019 an als Baudenkmal zu sehen.

Der Tresen ist Mittelpunkt. An ihm werden Premieren gefeiert, dort werden Ideen geboren. Wie oft säße man hier zusammen, sagt Lorenz Seib. Wie oft werde heiß diskutiert. Und natürlich ist die Kesselanlage ein gutes Bühnenbild. Bei einem Wilhelm-Busch-Abend saßen Schauspieler zwischen den Rohren. Für eine Klanginstallation kam all das, was sich am Kessel noch bewegen ließ, zum Einsatz. Kläppchen wurden geöffnet, Ketten gezogen. Oben auf der Galerie wurden andere Klänge bedient. Die Kesselanlage ist also alles. Sogar als Altar wurde er einmal von SZ-Journalist Gottfried Knapp bezeichnet. "An diesem Altar müssen wir (...) unser Opfer darbringen." Und meint den Eintritt.

Alter Draht

Das schwarze Telefon hängt schon immer im Tams - auch wenn es wohl nie mehr klingelt. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Kabel ist einfach abgezwackt oder besser: zu einem Knäuel zusammengewickelt. Dass dieses schwarze Telefon mit nostalgisch großem Hörer also nicht mehr klingeln wird, ist leider wahr. Aber es hängt noch da. Weil es schon immer so war. Und wie im Tams üblich, ist das Einst immer noch heutig. Was heißen will: Heute müssen alle, die im Bühnen- oder Foyerraum etwas aus dem Büro brauchen, hinüberlaufen oder das Handy bemühen. Aber damals, ja damals, hat man das schwere Schwarze in die Hand genommen und schnell "rübergefunkt". Zum Beispiel wenn die Kasse besetzt werden musste. Dieses Telefon war, wie Lorenz Seib sagt, so etwas wie der schnelle "Hilferuf nach drüben". Er selbst hat das Telefon nicht mehr ausprobieren können. "Das war vor meiner Zeit." Aber für ihn ist es so etwas wie ein Symbol der Beständigkeit. Es charakterisiert das Tams. Und alles, was sonst in dem Gebäude steckt. Unabhängig zum Beispiel von den alten Kacheln der Duschräume, die die Bühnenwand noch immer zieren, kann man hier, sagt der Theaterleiter weiter, "irgendwie Archäologie betreiben". Von "alten Schichten" spricht er dann, von Entdeckungen, die man ganz zufällig mache. Wenn ein neues Bühnenbild aufgebaut werde. Da hänge man zum Beispiel oben an der Bühnenwand und stoße auf Dinge - kleine Haken, kleine Ösen - und man fragt sich, wozu sie einst gehört haben mögen. Zu welcher Kulisse, zu welchem Gaze-Vorhang?

Flug über die Wüste

Der Zeppelin war Teil des Stücks "Weltuntergang - Riesenblödsinn". (Foto: Stephan Rumpf)

Sand, viel Sand liegt auf der Bühne. Zu kleinen Dünen aufgehäufelt. Auf ihr hinterlassen Menschen sofort in sich zusammenrieselnde Spuren. Menschen mit weißen Kopfbedeckungen und merkwürdigen Utensilien in der Hand. Sie sprechen von ihren Alltagssorgen. Davon, dass es vielleicht Probleme mit der Straßenbahn gibt. 1996 inszenierten Anette Spola und Gerd Lohmeyer Karl-Valentin-Stücke "Weltuntergang - Riesenblödsinn" und Bühnenbildner Eberhard Kürn verlagerte sie mitten in die Wüste.

Lorenz Seib kann sich noch gut an diese Inszenierung erinnern. Er war noch Schüler, half im Tams aus und war für die Abendtechnik zuständig. "Irgendwann", erinnert er sich gut, "durchschwebte ein kleiner, silberner Zeppelin den Wüstenhimmel." Das Luftschiff D-LZ-127 aus Pappmaché war an einer Schiene angebracht. Ein Motor transportierte es über die Bühne. "Man musste höllisch aufpassen, dass man den Motor rechtzeitig abstellte, damit sich die Schnur nicht um den Zeppelin wickeln konnte." Ganz prägend war diese Szene für das Theaterverständnis des Theaterleiters. Die groteske Szenerie, in der die Menschen alltägliche Probleme in einer ausweglosen Situation diskutieren - und dann, in schönes Licht getaucht, glitzerte der Zeppelin. "Ich schaute von hinten durch den Gaze-Vorhang auf den Zeppelin. Das war ein Moment der Poesie, der bis heute in meinem Kopf ist und er prägte mich sehr. Humor und Poesie gehören seitdem für mich auf der Bühne zusammen", erzählt Seib und nickt mit dem Kopf. So als ob er sich in die Kürnsche Wüste zurückträumen würde.

Das Tams verliert nichts. Bewahrt. Den Zeppelin gibt es noch immer. Leicht liegt das aus einem Bastelbogen, liebevoll nachgebaute Schiffchen in der Hand. Nur ein paar Dellen beweisen, dass er wohl schon oft im Fundus hin- und hergeschoben worden ist: immer in Erinnerung an eine denkwürdige, von der Presse hochgelobten Inszenierung.

Zeichen im Boden

Die Zange wurde beim Verlegen des Bodens in den Achtzigern nicht versehentlich eingelassen. (Foto: Stephan Rumpf)

Nur zufällig stupst man vielleicht mit der Schuhspitze an den leicht erhöhten Kopf der Zange, wenn man in den Bühnenraum geht. Eine Zange? Im Boden? Klar, dass Besucher häufig fragen, ob denn das gute Stück beim Umbau einfach vergessen worden ist. Doch weit gefehlt. Ganz absichtlich hat sie Bühnenbildner Eberhard Kürn, fast wie ein Baumeister-Signum, rechts am Türstock in den Boden eingelassen. Wie auch noch andere Werkzeuge: einen kleinen Schraubstock vor der Bar, eine Maurerkelle am Fenster. Auch einen Hammer muss es gegeben haben. Doch der ist, wie Lorenz Seib sagt, "irgendwie verschwunden". Die Zange ist schnell gefunden, nach den anderen beiden Werkzeugen muss man suchen. Verlegt wurde der Boden wohl in den frühen Achtzigerjahren. Und das schöne Pflaster im Foyer ist ein Teil Münchner Straßengeschichte: Als immer mehr Straßen asphaltiert worden sind, verschwand das alte Münchner Straßenpflaster Stück für Stück. Das Tams hat die Steinplatten gesammelt, Jahr für Jahr. Solange, bis es für den Fußboden gereicht hat.

© SZ vom 31.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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