Schwabing:Wachsender Druck

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Die Bürgerversammlung ist geprägt von Konflikten im Verkehr, Sorgen um bezahlbaren Wohnraum und der Angst vor einem Abbau der medizinischen Infrastruktur. Die Bewohner stellen in mehr als 50 Anträgen zum Teil sehr weitgehende Forderungen

Von Ellen Draxel, Schwabing

Wo Platz rar ist, ist der geringe Raum stark umkämpft. Das zeigt sich auf der Straße, wenn Konflikte zwischen Autofahrern und Radlern auf der Fahrbahn oder zwischen Fahrradfahrern und Fußgängern auf Gehwegen offen zutage treten. Das zeigt sich bei den Preisen für Wohnraum in München. Das offenbart sich aber auch, wenn Bürger aus Angst vor einer nicht ausreichenden Gesundheitsversorgung gegen die Kürzung der Bettenanzahl für die Notfallversorgung in der München Klinik Schwabing protestieren. Den Westschwabingern, die in dem am dichtesten besiedelten Stadtbezirk Münchens leben, brennen diese Themen besonders auf den Nägeln, wie mehr als 50 Anträge und Anfragen bei der Bürgerversammlung am Donnerstagsabend verdeutlicht haben.

Verkehr

Fahrradstraßen, da sind sich die Westschwabinger einig, sind eine gute Sache. In München gibt es, verglichen mit anderen Städten, die meisten Fahrradstraßen in Deutschland: 78 sind es derzeit. Weitere sollen auf Wunsch der Stimmberechtigten folgen, die Hörwarthstraße zwischen Leopold- und Bonner Straße etwa oder die Hiltenspergerstraße als erste Nord-Süd-Tangente durch das Viertel. Das "Problem", das mehrere Antragsteller sahen, sind aber die Autos auf den Strecken. "Das Symbol einer Fahrradstraße suggeriert ein entspanntes Radeln", meinte Ulrike Findeisen. "Trotzdem werde ich täglich angehupt und muss mich den Autos unterordnen." Sie forderte die Stadt auf, die Einhaltung der Regeln auf Fahrradstraßen "konsequent durchzusetzen". Andere, wie Marvin Lüben oder Stephan Theuring, gehen noch einen Schritt weiter: Sie plädierten dafür, diese Strecken gänzlich für Autos und Motorräder zu sperren. Lediglich Anwohner, ergänzte Theuring, sollten noch eine Zufahrtsberechtigung erhalten.

Besonders heikel ist die Situation mehreren Antragstellern zufolge in der Clemensstraße. Dort gilt zwar nach wie vor Tempo 30. Die frühere Vorfahrtsregelung "rechts vor links" wurde aber wegen eines Pilotprojekts geändert und die Straße formal aus einer bestehenden Tempo-30-Zone ausgenommen. Die Stadt will dort testen, ob es sinnvoll sein könnte, in Fahrradstraßen ein Vorfahrtsrecht für Radler einzuführen. Die Folge, so die Schwabinger, sei überhöhtes Tempo. Veränderungen an der Beschilderung, erklärte dazu Irmgard Schmidt vom Kreisverwaltungsreferat, seien allenfalls nach der Evaluierung des Pilotprojekts möglich, also frühestens in einem Jahr. Im Übrigen kontrolliere die kommunale Verkehrsüberwachung die Clemensstraße schwerpunktmäßig - "und die Beanstandungsquote liegt bei lediglich 5,7 Prozent". Die Ursache des Fehlverhaltens, davon ist Schmidt überzeugt, sei auf die "Verkehrsmoral" zurückzuführen, "die erheblich nachgelassen hat".

Der öffentliche Nahverkehr nahm diesmal nur wenig Raum ein, die Forderung war dafür umso komplexer. Mit Unterstützung der Stimmberechtigten forderte Matthias Wanckel den Stadtrat auf, mehr Geld für den Ausbau des ÖPNV zur Verfügung zu stellen. "Die Kapazitäten sollten bis zum Jahr 2025 verdoppelt werden."

Wohnen

Schwabing ist eines der teuersten Pflaster Deutschlands. Das macht sich an den Mietpreisen bemerkbar, aber auch an lukrativen Nachverdichtungen auf Kosten der Wohnqualität. Ein solches Projekt ist an der Herzog-/Ecke Apianstraße geplant: Ein vierstöckiges Gebäude soll in einem Innenhof errichtet werden, die von den Bewohnern angelegte grüne Oase müsste dafür weichen. Die Lokalbaukommission (LBK) hat den Vorbescheid bereits genehmigt, laut LBK-Jurist Thomas Krämer blieb der Behörde nicht anderes übrig. "Die Rechtslage ist im Moment leider noch so, dass ein Baum weg muss, wenn er im Weg steht." Die Bewohner haben nun von der Bürgerversammlung zumindest formal die Rückendeckung erhalten, dass die Bäume stehen bleiben sollen. Außerdem stellte Bettina Schopis den positiv aufgenommenen Antrag, die Stadt möge in Zukunft "keine Nachverdichtung um jeden Preis mehr zulassen" - vor allem dann nicht, wenn schützenswerter Grünbestand dem Neubau zum Opfer fällt und Abstandsflächen missachtet werden. "Härter durchgreifen" angesichts der vielen Wohnungslosen müsse die Stadt zudem bei spekulativen Leerständen und Zweckentfremdungen von Wohnraum, fand Christian Schwarzenberger. "In letzter Konsequenz heißt das auch, dass der Wohnraum beschlagnahmt werden muss."

Gesundheitsversorgung

Um die medizinische Notfallversorgung im Münchner Norden machen sich die Schwabinger und Milbertshofener ebenfalls nach wie vor Sorgen. Seniorenbeirätin Ingrid Seyfarth-Metzger hatte einen Antrag formuliert, der, begleitet von 1500 unterstützenden Unterschriften und jetzt auch dem positiven Votum der Bürgerversammlung, "keine weitere Kürzung der Bettenanzahl, die derzeit für die Notfallversorgung zur Verfügung steht" verlangt. Eine Rückstufung auf eine Basis-Notfallversorgung für die Erwachsenen-Notaufnahme sei nicht ausreichend, erklärt die Ärztin und Vorsitzende des Vereins "Bürger für unser Münchner Stadtklinikum".

In Schwabing soll die Anzahl der Betten in der Inneren Medizin und Chirurgie von 283 auf künftig 95 und die Stationen von neun auf drei reduziert werden. "Die Notfallversorgung, wie sie in jedem normalen Krankenhaus gegeben ist, ist damit aber garantiert", versprach Tim-Oliver Guderjahn, Mediziner und kaufmännischer Leiter der München Klinik. Denn die Engpässe verursachten eher die weniger schweren Fälle - also Patienten, die auch ambulant versorgt werden könnten.

© SZ vom 12.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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