Schwabing:"Pfusch und Liederlichkeit"

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Am Beispiel der verschwundenen Sphinx-Figuren vor dem Eingangsportal entzündet sich die Diskussion um eine notwendige Sanierung des Nordfriedhofs aufs Neue

Von Stefan Mühleisen, Schwabing

Auf einer historischen Aufnahme von 1910 präsentiert sich die Westfassade am Eingang des Nordfriedhofs mit dem Portal in seiner ganzen Pracht. Figurenreliefs umranken die drei Oberlichtfenster, schmücken auch die Seitengebäude. Beidseits der Freitreppe thronen Sphinx-Figuren mit Hahnenköpfen und Heiligenscheinen. Allein, von der alten Pracht ist heute kaum mehr etwas zu sehen, mehr noch: Das Erscheinungsbild dieses einst so bemerkenswerten Bauwerks stimmt die Lokalpolitiker aus Schwabing und Freimann äußerst missvergnügt. "Dieses ist ein bedeutendes Stück Münchner Baugeschichte und sollte nicht in einer verunstalteten Form weiter existieren", echauffieren sich Dieter Borchmeyer und Horst Engler-Hamm (beide Freie Wähler) jetzt in einem Antrag für die November-Sitzung des Bezirksausschusses (BA) Schwabing-Freimann.

Nach einer Initiative der CSU im Stadtrat richten sich nun einmal mehr die Augen im Stadtviertel auf die zwischen 1896 und 1899 von Architekt Hans Grässel errichtete Friedhofsanlage - und vor allem auf die verschwundenen Sphinxe am Eingangsportal, für deren Mehrzahl früher die Bezeichnung Sphingen üblich war. Eine "barbarische Entfernung", wie Borchmeyer und Engler-Hamm in ihrem Vorstoß schreiben. Die Skulpturen sollen, so die Forderung, ebenso rekonstruiert werden wie die Originalgestalt der gesamten Westfassade.

Der Nordfriedhof entfaltet auf der Gartenseite die ganze Pracht seines Ensembles. (Foto: Robert Haas)

Die beiden FW-Politiker wollen offenbar dem Vorstoß von CSU-Stadträtin Ulrike Grimm Rückenwind verschaffen. Sie hatte im September beantragt, die Skulpturen nachbilden zu lassen und 2019, zum 200-jährigen Bestehen der Münchner Friedhofsverwaltung, wieder vor dem Portikus aufzustellen. Der BA-Antrag geht aber noch weiter, er macht sich einen dringenden Appell des Münchner Thomas-Mann-Forums zu eigen, beziehungsweise von dessen Vorsitzenden Dirk Heißerer.

Der Literaturwissenschaftler, Veranstalter von Exkursionen, Buchautor und Schwabinger Kunstpreisträger war bereits in einem Zeitungsbeitrag für die komplette Wiederherstellung eingetreten. In einem eigens für den Freie-Wähler-Antrag angefertigten "Befundbericht" resümiert er nun: "Die Rekonstruktion der Westfassade der Aussegnungshalle des Nordfriedhofs ist somit ein religions- und kulturgeschichtliches Projekt von kaum zu überschätzender Bedeutung." Er sieht die Sphinx-Figuren als integralen Bestandteil des historischen Friedhofensembles, die nach seinen Worten von einem "eigenmächtigen Münchner Baurat" entfernt, sodann an einen "Steinmetz aus Niederbayern" abgegeben worden seien. Zuletzt widersprach allerdings ein Landshuter Archivar dieser These; er hatte bei seinen Nachforschungen keinerlei Belege dafür gefunden.

An der Ungererstraße hat es einmal prächtiger ausgesehen als heute. (Foto: Robert Haas)

Auch die Stadt München distanziert sich von der Vermutung, die steinernen Fabelwesen seien verscherbelt worden. Wohl seien diese im Krieg beschädigt und dann auch entsorgt worden, hieß es. Was die Bedeutung des verschwundenen Fassadenschmucks angeht, hat wiederum Dirk Heißerer Dokumente gefunden, einen Beitrag in der Allgemeinen Bauzeitung von 1901 zum Beispiel, der die symbolischen Darstellungen der "discret polychromen Flachreliefs" würdigt.

Unterdessen ist der Verdruss über den äußeren Eindruck des Friedhofbaus im Bezirksausschuss Schwabing-Freimann nicht neu, er wallt seit Jahren immer wieder auf. Dabei ging und geht es den Lokalpolitikern noch nicht einmal um eine aufwendige historische Rekonstruktion, sondern schlicht um eine aus ihrer Sicht dringend nötige Sanierung. Von einem "erbärmlichen Zustand" schrieb SPD-Planungssprecherin Petra Piloty 2009 in einem Antrag, der forderte, die Aussegnungshalle und den Eingangsbereich "in eine der Würde des Ortes angemessenen Zustand zu versetzen". Ihre Mängelliste, an der sich kaum etwas geändert habe: deutliche Bauschäden, stark abgenutzte und korrodierte Türen, "unsensible" Detaillösungen an der Behindertenrampe sowie ein "insgesamt verwahrloster Zustand".

Fünf Jahre später hakte sie mit einem weiteren Antrag nach: "Geschehen ist seither nichts", hieß es darin. Schlimmer noch, wie ihr Ehemann und Vorsitzender des Bezirksausschusses, Werner Lederer-Piloty (SPD), jetzt - also wiederum vier Jahre später - zu verstehen gibt. "Was sich hier die Stadt im sogenannten Bauunterhalt leistet, ist, maßlos untertrieben, ein Ausbund an Dilettantismus. Was hier an Pfusch und Liederlichkeit all die Jahre vollbracht wurde, hinterlässt den nur halbwegs aufmerksamen Betrachter fassungslos", sagt er.

© SZ vom 06.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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