Schwabing:Party bis der Morgen graut

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Die Schwabinger feiern zwar vor allem die Neugestaltung des Wedekindplatzes, aber auch sich selbst, ihre Künstler und ihre Geschichte

Von Johannes Korsche, Schwabing

Als der italienische Wahlschwabinger Vitto Micci Evergreens singt, sein Enkel Dominik dazu einen Breakdance vorführt und der 80-jährige Walter Kilger und seine 68 Jahre alte Tanzpartnerin Karinna Görling neben der krummen "Schwabinger Laterne" tanzen, ist beim Schwabinger Bürgerfest alles vereint: die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft Schwabings. Die Schwabinger feiern zwar vor allem die Neugestaltung des Wedekindplatzes, aber auch sich selbst, ihre Künstler und ihre Geschichte. Auf dem Platz ist dafür eine Bühne mit etwa hundert Sitzplätzen aufgebaut. Die Stühle sind den ganzen Tag über besetzt. An den Rändern des Platzes sind Bierbänke aufgestellt, die Bürger feiern und tanzen. Über den Samstag verteilt, werden es wohl 5000 Besucher gewesen sein, schätzt die Polizei. "Genauso habe ich mir das vorgestellt", sagt Wolfgang Roucka, einer der Organisatoren des Bürgerfestes, zufrieden.

Zufrieden - das sind eigentlich alle am Samstag: Münchens Tiefbau-Chef Karl Höferle sieht durch die Umgestaltung des Platzes einen "lang ersehnten Bürgerwunsch" in Erfüllung gehen. CSU-Stadtrat Thomas Schmid erkennt in dem Fest einen "Altschwabinger Dorfhock" und Werner Lederer-Piloty (SPD), Vorsitzender des Bezirksausschusses Schwabing-Freimann, findet, der Platz sei "erstklassig" geworden. Nach den Festreden erinnert der Leiter des Münchner Stadtarchivs, Michael Stephan, an die Geschichte Schwabings und die Besonderheiten des Wedekindplatzes. Zum Beispiel an die Schwabinger Krawalle im Jahr 1962, die von vier singenden Studenten auf dem kleinen Platz an der Feilitzschstraße ausgegangen waren. "Und heute baut die Stadt die Bühne für die Künstler auf", sagt Stephan.

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(Foto: Catherina Hess)

Mit nostalgischen Anklängen feierten 5000 Bürger den Umbau des Wedekindplatzes mit Frank Wedekinds Enkel Anatol Regnier...

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(Foto: Catherina Hess)

...und Alt-OB Christian Ude (Mitte).

Viel los unter den Bäumen: die Feier zur Eröffnung des neugestalteten Wedekindplatzes.

Bevor allerdings die Musiker auf die Bühne kommen, stellt Alt-OB Christian Ude, inzwischen "Bürgermeister der Traumstadt Schwabing", Hermann Geiselers Traumstadt-Bild aus den Siebzigerjahren vor. Es zeigt in einer fiktiven Zusammenstellung das Schwabing der damaligen Zeit. Ude deutet auf kleine Details, erzählt Anekdoten und zitiert Gedichte. Er erzählt mit einer Begeisterung, dass mancher sich wundert, wie aus Ude einst Anwalt und Oberbürgermeister und nicht etwa ein Kunsthistoriker werden konnte. Das Eintauchen in die "Traumstadt-Welt" ist mehr als nur Nostalgie. Später enthüllt Brigitta Rambeck vom Seerosenkreis die moderne Version eines Bildes, das der Münchner Künstler Martin Blumöhr gemalt hat. Herausgekommen ist ein Bild, das Kritik und Bewunderung für den Stadtteil vereint. Zwischen "Gentrifizierung" und "einem eigenen Geist, der erlaubt, seine Eigenheiten auszuleben", sieht Blumöhr das Viertel.

Anschließend beginnt das Musikprogramm. Anatol Regnier, Enkel von Frank Wedekind, macht den Anfang. Wie bei der Eröffnung des Platzes im Juli 1959 singt er aus Wedekinds Theaterstück "König Nikolo" jene Verse, die auf dem Wedekindbrunnen eingemeißelt sind. André Hartmann, einst Schröder-Darsteller auf dem Nockherberg, zeigt auf Zuruf seine Kunst als Stimmimitator und am Klavier. Vitto Micci bringt mit Liedern wie "Volare" italienisches Flair nach Schwabing - der Ausschank von Aperol Spritz scheint während seines Auftrittes sprunghaft anzusteigen. Gut gelaunt nehmen die Chartbreakers die Schwabinger mit auf eine musikalische Zeitreise. Angefangen mit dem Beatles-Song "Sgt. Pepper's Lonely Hearts Club Band" über ABBAs "Mamma mia" bis zu aktuellen Pophits. Abi Ofarim, in den Sechzigerjahren mit seiner damaligen Ehefrau Esther weltberühmt, sorgt mit dem allseits beklatschten "Hava Nagila" für Lebensfreude. "Das ist wie im Urlaub", sagt Ofarim zwischen zwei Liedern, "Schönes Wetter, alle auf der Straße, alle lachen und singen."

Zu hören waren auch die Zeilen, die in den Brunnen eingemeißelt sind. (Foto: Catherina Hess)

Viel besser hätte man das Bürgerfest nicht zusammenfassen können. Inge Matzdorf und Ilsche Mutzky wohnen seit mehr als 20 Jahren nur ein paar Straßen weiter. Sie freuen sich schon darauf, an Sommerabenden auf dem Platz zu sitzen - so wie am Samstag. "Die heutige Atmosphäre ist einfach sehr nett", sagen sie beide. Das dürfe ruhig öfter so sein. Auch Robert freut sich, "dass in Schwabing mal wieder was los ist". Martin Blumöhr wünscht sich sogar, dass die Bühne "ständig da ist". Doch Matzdorf und Mutzky winken wissend ab: "Ob die Nachbarn das mitmachen?"

Am Ende des Festes - es dämmert inzwischen - wird es auf einmal ganz ruhig auf dem Platz. Die Bühnen- und Straßenbeleuchtung ist aus, der neu gestaltete Wedekindplatz liegt im Dunkeln, nur die "Schwabinger Laterne" leuchtet. Im Hintergrund besingt Gisela ihre Laterne, die lange Jahre Wahrzeichen des Lokals "Bei Gisela" war. Geht es nach Wolfgang Roucka, soll es bald wieder so stimmungsvoll auf dem Wedekindplatz werden: "Ich habe da schon was im Hinterkopf für das nächste Mal." Die Schwabinger werden sich freuen.

© SZ vom 09.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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