Schwabing:Opa, der Bürgerschreck

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Ein gutes Gefühl, wieder auftreten zu dürfen: Anatol Regnier freut sich auf das Schwabinger Bürgerfest und über Giselas schiefe Laterne. (Foto: Robert Haas)

Gitarrist Anatol Regnier, Enkel des Dramatikers Frank Wedekind, wird beim Schwabinger Bürgerfest am Wedekindplatz wie schon 1959 auf der Bühne stehen. Erinnerungen werden wach an eine besondere Familie

Von Johannes Korsche, Schwabing

Es war ein milder Sommerabend, man schrieb den 10. Juli 1959. Kerzen und bunte Lampions tauchten den Schwabinger Marktplatz an der Feilitzschstraße in eine lauschige Atmosphäre, die Schwabinger feierten. Der Marktplatz hieß von nun an Wedekindplatz, auf dem Platz wurde der Wedekindbrunnen enthüllt. "Sie hatten da", sagt Anatol Regnier und deutet in Richtung des McDonald's-Restaurants an der Marktstraße, "eine hölzerne Bühne aufgebaut". Davor standen Tribünen für die Zuschauer. Auf der Bühne sang seine Mutter Pamela Wedekind, eine Tochter Frank Wedekinds. "Sie war eine tolle Erscheinung, mit ihren roten Haaren", erinnert sich Regnier. Daneben der 14-jährige Anatol mit Gitarre und "allerweltsblonder" Frisur. Bei der Eröffnung begleitete er seine singende Mutter, am Samstag, 7. Mai, tritt er beim Schwabinger Bürgerfest am Wedekindplatz alleine auf. Da werden Erinnerungen an das Weinfest im Juli 1959, seine Familie und das Schwabing seiner Jugend wach.

Sogar das Fernsehen war seinerzeit gekommen. "Da schwenkt die Kamera einmal zur Seite, und dann sieht man mich am Bildrand", erzählt Regnier noch heute amüsiert. Ob ihm die vielen Zuschauer damals denn nichts ausgemacht haben? - "Nein, das hat mich nicht vom Hocker gerissen." Regnier studierte später am Royale College of Music in London und reiste als Gitarrist durch die Welt. Er hat Spaß daran, auf einer Bühne zu stehen. Wie sein Großvater. Schon Frank Wedekind war für seine Auftritte mit Gitarre auf den Kleinkunstbühnen Schwabings berühmt und für seine Liedtexte berüchtigt.

Unter den vielen Schwabingern, die zu dem Weinfest gekommen waren, fand sich auch allerlei Prominenz. Doch wer genau da war, weiß Regnier heute nicht mehr. "Der Oberbürgermeister - war das schon der Vogel oder noch der Wimmer?" - Es war Thomas Wimmer. Und der Kulturreferent Herbert Hohenemser wird wohl da gewesen sein und etwas gesagt haben. Aber so recht interessiert hat ihn das damals nicht. Noch so eine Parallele zu seinem Großvater, auch der hätte auf die Reden nicht allzu viel gegeben.

Viel lebhafter erinnert sich Regnier an einen anderen Auftritt. "Da", seine Hand zeigt in die Marktstraße, "kamen die Scharfrichter raus". Mit roten Henkersroben und brennenden Fackeln, so wie das Kabarett einst um die Jahrhundertwende bekannt geworden war, sangen sie den Chorus der "Elendskirchweih" aus Wedekinds Theaterstück "König Nikolo". Regnier ist seine jugendliche Faszination noch heute anzumerken. "Wilhelm Hüsgen, damals der letzte noch lebende originale Scharfrichter war dabei", sagt er. Hüsgen trat 1901 und 1902 mit Wedekind gemeinsam bei den "Elf Scharfrichtern" auf.

Wie die Scharfrichter sang auch Pamela Wedekind aus dem "König Nikolo". Die ersten Zeilen des Liedes sind auf dem Wedekindbrunnen eingraviert: "Seltsam sind des Glückes Launen/Wie kein Hirn sie noch ersann/Dass ich meist vor lauter Staunen/Lachen nicht noch weinen kann", heißt es da - "meine Großmutter Tilly hat sich den Spruch ausgesucht." Was er, der den Großvater nie kennengelernt hat, "schön und lustig" fand, war für die früh verwitwete Tilly Wedekind ein "sehr großer Moment": ein Münchner Platz, benannt nach ihrem Frank. Sie habe für das Gedenken an ihren Ehemann gekämpft und viel Hohn und Spott einstecken müssen.

Wedekinds Theaterstücke wie "Lulu" oder "Frühlings Erwachen" gehören inzwischen zum literarischen Kanon - zur Entstehungszeit undenkbar. Zu eindeutig schrieb Wedekind gegen die Sexualmoral der bürgerlichen Gesellschaft an, zu offensichtlich machte er deren Heuchelei. Vielleicht habe die Stadt deswegen ihre Schwierigkeiten mit dem unbequemen Künstler gehabt, versucht Regnier zu erklären. Denn erst vierzig Jahre nach Wedekinds Tod würdigte die Stadt den vielleicht schillerndsten und mutigsten Künstler der Schwabinger Bohème: "Das war das erste Mal, dass sich die Stadt an den Wahlmünchner erinnerte."

Regnier wuchs nur wenige Meter entfernt an der Leopoldstraße auf und ging oft die Feilitzschstraße hinunter: "Ein ruhiges Viertel mit einigen Lokalen". Da habe es zum Beispiel diesen Schuster gegeben, vor seinem Laden sei ein großen Stiefel gewesen. Darin habe immer eine Blume gesteckt. Aus dem Livemusik-Club "Tarantel" wurde McDonald's. Wo heute der Drugstore zu finden ist, ging man früher in die bayerische Kneipe Hartlwirt. "Im Occamkino liefen diese französischen Kunstfilme" und nebenan - wo heute das Vereinsheim ist - war damals noch das Lokal der "Schwabinger Gisela". "Es war immer schön, hier vorbeizugehen."

Am Samstag, 7. Mai, ist von 14 Uhr an ein vielfältiges Programm geplant. Um 15 Uhr übernimmt der Verein "Traumstadt Schwabing" den musikalisch-kulturellen Teil. Weitere Infos unter der Telefonnummer 34 80 30.

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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