Schwabing:"Inakzeptables Verhalten"

Lesezeit: 3 min

Weil das Max-Planck-Institut für Psychiatrie neu bauen will, bangen die Mieter an der Kraepelinstraße um ihr Zuhause

Von Ellen Draxel, Schwabing

Ruhig schlafen können die Mieter in den Häusern Kraepelinstra- ße 4, 4 a und 4 b schon lange nicht mehr. Vor gut eineinhalb Jahren haben sie erfahren, dass das Gebäude, in dem sie wohnen, abgerissen werden soll. Es steht auf dem Klinikareal und damit einem Neubau des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, für das die meisten Mieter arbeiten, im Wege. Nach den bereits erfolgten Kündigungen wird nun in Einzelgesprächen mit den Betroffenen versucht, den Weg für die Pläne des Instituts frei zu machen.

"Die aktuelle Situation aus den frühen Sechzigerjahren ist auf Dauer nicht mehr tragbar", erläutert Max-Planck-Sprecherin Anke Schlee die Neubau-Planungen. "Vor allem leiden Patienten unter extrem kleinen Zimmern und Bädern, die sie meist mit mehreren Zimmernachbarn teilen müssen." Nur durch den Neubau der Klinik sei es möglich, pro Jahr 2000 Patienten stationär und 7000 ambulant "zeitgemäß und auf höchstem wissenschaftlichem Niveau" zu versorgen.

Künftig sollen Stationen, Tageskliniken und Ambulanzen unter einem Dach vereint sein. Der Psychotherapie werden mehr Räume zur Verfügung stehen, auch eine neue Sporthalle und ein Schwimmbad für Sporttherapie sind geplant. Der rund 11 000 Quadratmeter große Neubau soll aus drei Gebäudeteilen mit je vier Geschossen und großzügigen Lichthöfen bestehen. Das alte Klinikgebäude wird nach dem Umzug in die neuen Räumlichkeiten abgerissen, dort entsteht ein Park für die Patienten. "Das Mitarbeiter-Wohnhaus an der Kraepelinstraße 4 im Zuge des Neubaus abzureißen, ist leider unerlässlich", sagt Schlee. Externe wie interne Gremien hätten Alternativen geprüft, aber: "Die jetzt geplante Variante ist die wirtschaftlichste und genehmigungsfähigste."

Über Kreuz: Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie und die Anwohner in der Kraepelinstraße. (Foto: Stephan Rumpf)

Dass die Klinik modernisiert werden muss, leuchtet den Mietern ein. Warum das aber zu Lasten der eigenen Mitarbeiter passieren muss, ist für sie nicht nachvollziehbar. Seit der Abriss-Ankündigung leiden die Bewohner an Existenzängsten, da sie nicht wissen, was auf sie zukommt. Fast alle arbeiten für das Institut, sind Pflegekräfte und Angestellte der Klinikverwaltung. Zwar hat die Klinik ihren Mietern mit dem Kündigungsschreiben im Dezember 2015 Ersatzwohnraum auf dem Gelände angeboten. Aber "nach wie vor herrscht totale Verunsicherung", erzählt eine Angestellte, die lieber anonym bleiben will. "Würdelos, schäbig und zu leichtfertig behandelt" fühlten sie die Mieter. "Weil alles so ein Gemauschel ist, weil es nie einen Informationsabend mit allen Betroffenen gab, bei dem die Karten nachvollziehbar auf den Tisch gelegt wurden." Stattdessen fänden seit einigen Wochen Einzelgespräche statt - "um die Möglichkeiten mit den Mietern individuell zu besprechen", wie es aus dem Institut heißt.

Für Mietersprecher Markus Sieger, dessen Eltern seit 50 Jahren in dem Haus an der Kraepelinstraße 4 wohnen und einen unbefristeten Mietvertrag auf Lebenszeit haben, ist das ein "inakzeptables Verhalten". Man habe, kritisiert er, "in dem ganzen Genehmigungsverfahren so getan, als würde da ein Hasenstall stehen und kein Wohnhaus". Da das Gebäude im Flächennutzungsplan als Werksgebäude und nicht als Wohnhaus gekennzeichnet ist, haben Behörden und Lokalpolitiker der von der Klinik beantragten Zweckentfremdung der Kraepelinstraße 4, 4 a und 4 b schon frühzeitig zugestimmt. Der Bezirksausschuss Schwabing-West hat zwar später noch versucht, eine alternative Planung des Neubaus durch eine Verschiebung des Komplexes nach Westen anzuregen. Doch die Fläche, die dann bebaut werden müsste, ist ein geschütztes Biotop. "Aber warum", fragt sich Sieger, "kann man das neue Gebäude nicht einfach 15 Meter kürzer und dafür höher bauen? Oder man bricht statt des Hauses 4 die ohnehin maroden Häuser Kraepelinstraße 12 und 14 ab."

Alternativen gibt es aus Sicht der Bewohner und des Mietervereins genug, entscheidend sei der Wille. Im Prinzip, meint Bezirksausschuss-Chef Walter Klein (SPD), könne die Klinik "jederzeit machen, was sie will": Denn im Grundbuch stehe, dass die Stadt zustimmen werde, sofern Baumaßnahmen wissenschaftlichen Zwecken dienten. "Und das", konstatiert er, "ist beim Max-Planck-Institut immer der Fall, damit ist Tür und Tor für alles geöffnet". Er persönlich sieht auch "tatsächlich nicht so viele andere Möglichkeiten", wenn der Klinikbetrieb weiterlaufen soll.

31 Wohnungen hat das Gebäude mit den drei Hausnummern an der Kraepelinstraße, davon stehen laut Mietersprecher Sieger zwischen 13 und 17 leer. "Zwei Parteien sind seit der Ankündigung vor eineinhalb Jahren gegangen, weil sie dem Druck nicht mehr ausgesetzt sein wollten." Die anderen Appartements seien schon länger nicht mehr vermietet worden. Schlee dagegen spricht von 24 Mietern, die "bereits ausgezogen" seien.

Sieger betont aber, dass "diejenigen, die jetzt noch drin sind, alle bleiben wollen". Zumal ihr Haus erst vor vier Jahren grundlegend saniert wurde und der Mieterverein die ausgesprochenen Kündigungen für nichtig hält. Auch wenn Schlee versichert, dass die Kraepelinstraße 12, die das Institut den Bewohnern als Ersatzwohnraum anbietet, ebenfalls aufwändig saniert werden soll. "Neben der Erneuerung der Heizungs- und Trinkwasseranlage werden neue Bäder und Küchen den Mietern einen höheren Standard als in ihren bisherigen Wohnungen bieten."

Der Umzug der Mieter ist für Ende 2017 geplant, Anfang 2018 soll das Haus 4 abgerissen und bis zum Frühjahr 2021 der Klinikneubau errichtet werden. "Wir möchten mit unserem Neubau auch destigmatisieren", sagt Klinikdirektor und Chefarzt Martin Keck. "Psychiatrische Patienten haben keine Lobby, deshalb müssen wir uns für sie stark machen." Dazu gehöre auch, "die beste Versorgung in optimaler Umgebung zur Verfügung zu stellen". "Traurig" sei nur, meint eine Angestellte, wie ein Institut, das Patienten mit Depressionen, Panikattacken und Angstzuständen behandle, mit seinen eigenen Leuten so umspringen könne.

© SZ vom 14.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: