Schwabing:Die Leopoldstraße und die Leichtigkeit des Scheins

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Die legendären Discos sind verschwunden, stattdessen gibt es heute eingedeutschte Weltküche wie im Don Luca. (Foto: Lukas Barth)

Die "Leo", wie die Münchner ihren Schwabinger Boulevard nennen, war schon immer mehr Legende als Wirklichkeit. Doch früher gab sie sich mehr Mühe mit ihrem Make-Up.

Von Franz Kotteder

Schwer zu sagen, was einmal den Zauber der Leo ausgemacht hat. "Die Leo", als wäre sie ein vertrautes Mädchen, nennt sie der abkürzungswütige Münchner, der auch gern den Reichen in "der Maxi" beim Einkaufen zuschaut oder in den Biergarten "am C-Turm" oder "aufm Vik-Markt" geht.

In der Erinnerung an diese Schöne tauchen unwillkürlich immer Bilder auf aus "Zur Sache, Schätzchen" oder aus irgendwelchen Klaus-Lemke-Filmen, ohne dass man genau zu sagen wüsste, ob diese Szenen tatsächlich in der Leopoldstraße spielten. Wie auch immer: Sie würden gut dort hinpassen, wegen des spielerischen Leichtsinns und der stenzhaften Frechheit, die sie verkörpern.

Denn dafür steht die Leopoldstraße doch eigentlich: Für "ein bissl was geht allerweil, Fräulein", fürs Lage-Sondieren aus sicherer Warte im Eiscafé Venezia, und auch für hochhackige Damenschuhe, knappe Miniröcke und ein leicht arrogantes Geschau hinter Sonnenbrillen mit etwas zu großen Fassungen. Die Leo, dieser breiteste Schwabinger Boulevard, stand für umstandsloses Balzen, entspanntes Abhängen in Cafés, bis endlich das Nachtleben begann.

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So weit die Legende, an der tatsächlich vieles wahr ist. Nur: Heute merkt man davon nicht mehr viel, wenn man die Straße entlang geht. Klaus Lemke engagiert zwar angeblich immer noch die Hauptdarstellerinnen für seine kleinen, schmutzigen Filme vom Gehsteig weg. Ganz wie früher kommt es ihm dabei ersichtlich nur auf die äußeren Werte an und auf eine Art von Schönheit, die einen leichten Drall hin zum Ordinären hat.

Das wiederum passt ganz gut zur Straße selbst, über die Jahrzehnte hinweg. Klar, die Popper und die Vokuhila-Burschen mit den Bomberjacken und den Streifenjeans sind verschwunden, und die Mädchen wollen heute kaum noch aussehen wie Claudia Schiffer. Inzwischen sind mehr so Jennifer Lopez und Shakira die Vorbilder, man macht auch in Unterschleißheim auf Latina, und die Buben bevorzugen frisurtechnisch die Halbglatze.

Das Leopoldkino ist in den Hinterhof und Keller gewandert

Allerdings nicht, wie ihre Vorväter, gezwungenermaßen oben, sondern völlig freiwillig seitwärts oder hinten. Es ist wichtig, das so ausführlich zu beschreiben, der äußere Schein ist wichtig in dieser Straße.

Ihn zur Schau zu stellen, das war einst ihre Aufgabe. Drüberhalb des Siegestors, in der Ludwigstraße, herrscht der Ernst des Lebens mit Universität, Staatsbibliothek und Ministerien. Hier aber, nördlich davon, hatte immer schon die sehr erträgliche Leichtigkeit des Seins ihren Platz. Leider bemisst sich deren Spielraum in einer Stadt wie München vor allem an Grundstückspreisen und Quadratmetermieten.

"Der Leo" merkt man das inzwischen an. Schon oben, an der Münchner Freiheit, sind die einstmals sehr beliebten Leopoldkinos in den Hinterhof und in den Keller gewandert, vorne sind jetzt die Telekom eingezogen und ein Frozen-Joghurt-Laden. Was den Mobilfunk angeht, lässt die Leo sowieso nichts zu wünschen übrig. Wo früher kleine Plattenläden oder schlampige Mini-Boutiquen waren, haben sich O2, Vodafone, Mobilcom, Telekom und M-Net eingenistet.

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Kulinarisch betrachtet hat man eine reiche Auswahl zwischen Steak, Pizza, Souflaki, Taco und Burger, die einschlägigen Ketten sind relativ umfänglich vertreten. Selbst das Roxy, einst klassische Szene-Bar für junge Aufsteiger, wird jetzt ein Kettenrestaurant. Nach dem Umbau wird es hier "Pizza al metro" geben, also Pizza meterweise. Das erinnert an Zeiten, als es in der Occamstraße in den damals noch zahlreich vorhandenen Absturzkneipen "einen Meter Pils" zu ordern gab. Das war so ziemlich das unterste Niveau, das ein Gastronom erreichen konnte: einen Meter volle Pilsgläser am Stück zu verkaufen.

Freilich, Bachmaier Hofbräu - "Highway to Helles" verkündet ein Transparent - ist geblieben, auch das Wirtshaus Zur Brezn ist noch da. Es gibt "Kunst und Spiel", ein kleines Kaufhaus für Rudolf-Steiner-Fans. Wie praktisch, die Waldorfschule ist gleich schräg gegenüber, neben dem McDonald's. Man findet auch noch einige überlebende Leopoldstraßenkünstler, die ihre Werke am Straßenrand feilbieten, und nach wie vor bleibt das Gesundheitsamt trotz der evidenten Augenkrebsgefahr untätig.

Andere im weitesten Sinne kulturelle Einrichtungen mussten weichen. München galt ja einmal bundesweit als die Stadt der Türsteher. Das lag nicht nur am P 1, sondern vor allem an den Discos in der Leopoldstraße, die sich ihr Publikum aussuchen konnten und wollten. Babalu Club und Bar, Round Up, Citta 2000, Sunset, Friday, Skyline (im alten Hertie-Hochhaus) und wie sie alle hießen. Es gibt sie längst nicht mehr. In der alten Babalu Bar, die zeitweise der Prager Frühling war, haust heute das Deluxe, das laut Plakat für seine "Orient Night" bekannt ist. Und auch das Schwabinger Bräu ist längst Geschichte.

Nichts wäre schrecklicher, als wenn alles noch so wäre wie damals, erst der Wandel lässt so eine Straße ja leben. Gut, das Eiscafé in Familienbesitz heißt jetzt eben Starbucks oder Coffee Fellows, es sitzen immer noch flirtwillige Menschen dort, auch wenn sie immer öfter die Gestalt von grauhaarigen Möchtegern-Playboys in Ed-Hardy-Hemden angenommen haben.

Noch bleiben die Nagelstudios in den Seitenstraßen. Noch. Und es gibt sie nach wie vor, die Gemüsehändler in ihren Karren auf den Gehsteigen. Etwa den Italiener vor der Bäckerei Wimmer, der standhaft "Peperoni friggitelli" mit weißer Kreide auf das kleine Schild schreibt, weil es ihm egal ist, ob der Schwabinger das kennt oder nicht.

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Und es besteht auch Hoffnung. Aus dem Schickeriatreff Café Extrablatt des Gesellschaftsreporters Michael Graeter an der Ecke zur Georgenstraße wurde die Bar Giornale, ein schönes Straßencafé mit kleinem Ristorante - ein Zeichen dafür, dass man selbst hier noch Gastronomie betreiben kann, die noch nicht von den Schrecken des Tourismusbetriebs angekränkelt ist.

Und an einem ganz normalen Samstag kann man ein Brautpaar sehen, das sich in vollem Ornat stolz vor dem Siegestor fotografieren lässt, während vom Gehsteig aus ein Altrocker im AC/DC-Tourshirt mit seiner wasserstoffsuperoxydblonden Freundin in Leoparden-Top und Superslimlederhose zusehen. Auch das ist Schwabing.

Die Leo, diese Schöne, sie war immer schon mehr Behauptung als Realität. Aber früher hat sie sich deutlich mehr Mühe mit dem Make-Up gegeben. Heute scheint es ihr wurscht zu sein, ob der Lippenstift mal verrutscht ist oder nicht. Schade.

© SZ vom 19.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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