Leopoldstraße im Umbruch:Von der Flaniermeile zum Investorenliebling

  • Die Leopoldstraße ist im Umbruch. Und mancher Stadtbewohner fürchtet, dass die einstige Prachtmeile ins Banale kippt.
  • Wo einst die Schwabinger Bohème flanierte, machen sich jetzt Handyläden und Modeketten breit.

Von Alfred Dürr und Stefan Mühleisen

Erwin Schumacher gestattet sich ein wenig Wehmut und erzählt erst einmal von Erich Kästner. Der 80-Jährige erinnert sich lächelnd daran, wie er oft seinen Lehrling mit einem Stapel Bücher hinüber geschickt hat auf die andere Straßenseite zum Lokal "Leopold", heute "Bachmair-Hofbräu". Dort saß der berühmte Schriftsteller am Wirtshaustisch, nahm die Lieferung in Empfang - und arbeitete dann weiter an seinen Texten. Doch die Wehmut verweht schnell bei Erwin Schumacher, das war auch bei Kästner so, dem bissigen und mitunter bitteren Satiriker. "Es gibt schon noch Leben auf der Leopoldstraße. Aber leben tut hier kaum noch jemand."

Ein sonniger Nachmittag im Hinterhof der Buchhandlung Lehmkuhl. Ein Holztor dämpft den steten Verkehrslärm von der Leopoldstraße, jener berühmten Promenade, um die es bei diesem Gespräch gehen soll. 46 Jahre lang führte Erwin Schumacher die Buchhandlung Lehmkuhl, von 1960 bis 2006. Der Buchladen ist immer noch eine Institution, Schumacher ein Schwabinger Ureinwohner, einer, der den Wandel dieses weltbekannten Boulevards miterlebt hat. Es ist der Start einer Spurensuche nach dem Zustand und der Zukunft der "Leo", wie die Schwabinger ihre von hohen Pappeln gesäumte Alleestraße liebevoll nennen.

Von der Prachtmeile zum gesichtslosen Einheitsbrei

Der erste Eindruck: Die Leo-Liebe verblasst bei Menschen wie Erwin Schumacher. Sie weicht der Ernüchterung darüber, dass diese einst einzigartige Prachtmeile ins Banale kippt. "Die Leopoldstraße wird immer mehr zum gesichtslosen Einheitsbrei, so wie die Kaufingerstraße", sagt Schumacher.

Streetlife Festival in München, 2011

Laut und voll: Das Streetlife-Festival ist ein Publikumsmagnet.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Indes weiß auch der pensionierte Buchhändler, dass das Gesicht dieser Chaussee nie statisch gewesen ist; die Veränderung ist ein Charakteristikum Schwabings und insbesondere der Leopoldstraße. Dieses Viertel hat sich schon immer dem Zeitgeist angepasst - den Bohémiens, den Beatniks, den Yuppies. Die Meile ist offenbar der stetigen Erneuerung verpflichtet und verliert dabei nie ihre Anziehungskraft. Noch immer werden hier große Gefühle verhandelt und ausgelebt. Anfang der Sechzigerjahre lieferten sich hier junge Demonstranten bei den "Schwabinger Krawallen" Straßenschlachten mit der Polizei; heute strömen Zehntausende herbei, um die Fußball-Nationalmannschaft zu feiern oder, um sich bei den Festivals "Streetlife" und "Corso Leopold" zu amüsieren.

Handyläden, Modeketten, Drogeriemärkte

Immer noch ist diese Alleestraße zudem eine Bühne für Flaneure und geldige Protzer ebenso wie für arme Obdachlose. Touristen knipsen sich vorm "Roxie", wo sie von gackernden Girlies und Mütter-Gruppen milde belächelt werden. Die schachspielenden Rentner am Forum sind auch noch da, und junge, sonnenbebrillte Paare, die neben der Monaco-Franze-Statue beim Café Münchner Freiheit Händchen halten. Doch an den Tischen wird seit Jahren mitunter zornig die Klage geführt, dass der Kommerz mit Macht in die Leopoldstraße drängt, die Investoren geradezu lechzen nach Objekten. Mit Missfallen wird das Wuchern von mittlerweile mehr als einem Dutzend Handyläden registriert, alternierend mit Modeketten, Drogeriemärkten, Kosmetikketten.

Auch Erwin Schumacher auf der Bank im Lehmkuhl-Hinterhof kann sich darüber aufregen. Mit seinem grauen Haarkranz und der fein geränderten Brille erinnert er an Alfred Biolek, den sympathischen Talkmaster. Doch der Pensionär plaudert nicht, er erzählt in kurzen, klaren Sätzen, wie die Leopoldstraße langsam, aber stetig ausblutet. Schon Ende der Siebzigerjahre seien die Kunden nacheinander weggezogen, wegen der hohen Mieten oder wegen des ständig dröhnenden Verkehrs. Er selbst konnte den Straßenlärm 1980 auch nicht mehr ertragen und zog mit der Familie nach Freimann: "Es gibt jetzt fast nur noch Ketten-Läden. Nur die können die horrenden Mieten zahlen."

Die Straße wird moderner

Vor rund 15 Jahren ist die Architektin Aika Schluchtmann in ihr Büro an der Trautenwolfstraße, gleich ums Eck von der Leopoldstraße, gezogen. "Der Boulevard wirkte etwas heruntergekommen, keinesfalls so lebendig und vielfältig wie noch zu Studentenzeiten", sagt sie. "Lokale, Geschäfte, einfach die ganze Straße waren in die Jahre gekommen." Seither hat sie selbst einige Neubauprojekte an der Leopoldstraße entworfen. Seit zehn Jahren verändere sich die Straße, sie werde moderner. Aber große Begeisterung bricht bei ihr angesichts des Angebotes von Läden und Lokalen nicht aus. Die kleinen individuellen Shops und interessante Gastronomie finde man eher in den Nebenstraßen. Das sei keine leichte Situation für die Leopoldstraße, meint Aika Schluchtmann: "Wenn nicht gebaut und modernisiert wird, sinkt das Niveau, andererseits steigen die Mieten."

"Die Leopoldstraße ist eine besondere Marke", sagt Sören Hoffmann, der Einzelhandelsexperte beim Immobiliendienstleister CBRE. Als Feiermeile hat sie sich auch international eingeprägt. Außerdem ist die Straße die repräsentative Einfahrt nach München, wenn man vom Flughafen kommt. "Als Einkaufsstraße ist das keine Top- 1A-Lage, aber eine starke Stadtteil-Lage", sagt Hoffmann. Die Leopoldstraße bot sich gewissermaßen als Ausweichzone für Läden an, die in der Altstadt keinen Platz mehr fanden. Diese Lage ist laut Hoffmann regelrecht gehypt worden, mit durchaus negativen Folgen: viele Baustellen und hohe Mieten, mitunter sogar überhöhte Mieten. Das habe viele Einzelhändler abgeschreckt.

Farblose Fassaden und innovative Kuppelkonstruktion

Erwin Schumacher, der 30 Jahre lang Besitzer der Buchhandlung Lehmkuhl war. Leopoldstraße 45

Immer noch ist diese Alleestraße zudem eine Bühne für Flaneure und geldige Protzer ebenso wie für arme Obdachlose.

(Foto: Florian Peljak)

So haben eine Reihe von neuen Büro- und Geschäftshäusern die Nachkriegsbauten ersetzt. Verschwunden ist etwa das ehrwürdige Postgebäude an der Leopoldstraße 57; ein Neubau wurde zudem an der Hausnummer 35 hochgezogen - hier quartierte sich 2008 die Mode-Kette Zara ein. Schon vor mehr als 20 Jahren ist der "schwarze Riese" an der Münchner Freiheit verschwunden: Das Hertie-Hochhaus, erbaut 1964, wurde um mehrere Stockwerke gekappt und dann zur Karstadt-Filiale. Die farblose Fassade bekam erst vor sechs Jahren einen innovativen Kontrast: Den runderneuerten Bus- und Trambahnhof überspannt jetzt eine grün-weiße Kuppelkonstruktion, "osmanische Postmoderne", wie manche anfangs lästerten.

Das neueste Bauprojekt ist an der Ecke Leopold- und Hohenzollernstraße zu besichtigen: Hier errichtet die Development Partner AG ein sechsstöckiges Wohn- und Geschäftshaus mit Walmdach. Der Komplex soll, so ist zu hören, eher zurückhaltend ans angrenzende, unter Denkmalschutz stehende Gebäude eingepasst werden.

Diese Entwicklung untermauert die Analyse des Einzelhandelsexperten Hoffmann: Schwabing verliert an Farbe, gewinnt aber an Kaufkraft, sagt er. Das bunte Volk der Lebenskünstler, das Schwabing einst geprägt hat, wird immer weniger, dafür kommen immer mehr Besserverdienende. Die Mieten steigen. Doch eine gute Mischung bei den Geschäften mache den Erfolg einer Einkaufsstraße aus, sagt Hoffmann. Er wünscht sich mehr individuelle Läden, weniger Filialen großer Ketten. Stores von jungen Designern aus Deutschland oder aus anderen Ländern - die Leopoldstraße könne so ihr ganz eigenes Profil entwickeln.

Wo ist der Geist der Schwabinger Bohème?

Doch was, so fragen die Schwabinger, bleibt vom Mythos Schwabing, vom Künstler- und Bohème-Viertel? Nur die Statue vom Monaco Franze, findet Erwin Schumacher, der Buchhändler. Weniger melancholisch, dafür sarkastisch sagen andere: Der Mythos lebe, aber nur noch in den Werbeversprechen der Investoren, die sich hier breitmachen. So verkündete zuletzt Maximilian Hurler, Gesellschafter und Enkel der Jost-Hurler-Gruppe: Er wolle "den Geist der Schwabinger Bohème" wieder lebendig werden lassen.

Er sprach über das neue Stadtquartier "Schwabinger Tor", das der Investor derzeit an der Leopoldstraße nördlich der Münchner Freiheit, unweit des Mittleren Rings, emporwachsen lässt. Auf 4,2 Hektar entstehen neun Gebäude, dazu Shops, Restaurants und Cafés sowie ein Luxushotel exakt auf dem Areal, auf dem in den Siebzigerjahren das Pleiteprojekt "Schwabylon" stand. Die Mieten werden nach Hurlers Angaben zwischen 500 Euro in den geförderten Wohnungen und 5000 Euro in Penthouse-Appartements liegen. Ein Teil der Miete der betuchten Penthouse-Bewohner soll an eine gemeinnützige GmbH fließen - zur Finanzierung von Künstlern und Kunstprojekten.

Kritiker unken schon jetzt, dass dies wohl nur ein Feigenblatt ist für ein ansonsten sehr profitables Renditeprojekt. Bisher ist nur zu erkennen, dass der Investor kunstvoll das maximale Baurecht aus dem Areal herausgeholt hat - es blieb nicht einmal Platz für eine Kinderbetreuungseinrichtung.

Verschiedene Urteile über den Wandel der Straße

Während hier ungezählte Bauarbeiter, überragt von elf Kränen, an einem Stück neues Schwabing werkeln, helfen drei Kilometer weiter südlich zwei Männer im Schlendergang vom Siegestor bis zur Münchner Freiheit begeistert bei der Spurensuche mit: Werner-Lederer Piloty und Ekkehard Pascoe. Beide sind seit mehr als zwanzig Jahren Stadtviertelpolitiker im örtlichen Bezirksausschuss - Lederer-Piloty, 73, Architekt, für die SPD; Pascoe, 67, Gymnasiallehrer im Ruhestand, für die Grünen. Es sind zwei kluge Gremiumsrecken, vereint in ihrem leidenschaftlichen Engagement fürs Viertel - doch verschieden im Urteil über den Wandel der Leopoldstraße.

Sie schreiten zunächst die relative Kontinuität an der südlichen Leopoldstraße ab. Gründerzeithäuser hinter schmiedeeisernen Zäunen, in denen schon lange große Versicherungen residieren; die verglaste Fassade von Leo's Sportsclub, der riesige "Walking Man", Restaurants mit Trash-Ästhetik, der rosarote Schweinchenbau der Universität. Eine bunte Melange, mal bieder, mal flippig, typisch Schwabing eben. Doch auf Höhe der Hohenzollernstraße wird Pascoe plötzlich wütend, als er zum Rohbau auf der Ostseite hinüberschaut, dem Neubauprojekt von Development Partner.

"Der Schwabinger Mythos lässt sich gut verkaufen"

Pascoe: "Der Ruf Schwabings wird ausgebeutet. Der Schwabinger Mythos lässt sich gut verkaufen. Die wuchten hier diesen monumentalen Block rein und verlangen Höchstmieten."

Lederer-Piloty: "Du verklärst das. Was ist denn Schwabing? Es war schon immer ein Mischmasch. Und es ist doch gut, wenn man auf dem Grundstück mehr Wohnungen unterbringt."

Pascoe: "Schwabing verliert dadurch an Identität, die zuzeln das Viertel aus. Auf der Leopoldstraße sind bald nur noch die Buchhandlung Lehmkuhl und die Mendel'sche Apotheke übrig. Beide sind in Familienbesitz."

Da hält Werner Lederer-Piloty kurz inne, aber nur kurz. Ganz ohne Wehmut sagt er: "Schwabing hat sich immer gewandelt. Und es hat jeden Wandel überlebt."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: