Schwabing:Begegnungen im Beton-Riff

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Kunst im Untergrund mit leuchtenden Videoarbeiten und einem ausgegossenen Maulwurfsgang. (Foto: Stefphan Rumpf)

Welt der Vision: In der Tiefgarage des Schwabinger Tors zeigen 16 Künstler ihre Arbeiten - und schaffen einen neuen Raum

Von Nicole Graner, Schwabing

Es sind keine Orte, an denen man normalerweise gerne länger verweilt. In feucht-muffig riechenden und düsteren Betonschläuchen unter der Erde. Dort, wo große und kleine Ölflecken skurrile Kunstwerke auf den Boden getropft haben und der Geruch zur Ruhe gelegter Motoren die Frischluft vertreibt. Tiefgaragen sind Fluchträume, die man wie Nestflüchter schnell verlassen möchte, oder "Unorte", wie die Künstler und Kuratoren der Ausstellung, "easy! upstream" (Susi Gelb, Niko Abramidis & NE, Quirin Brunnmeier und Jessica Peden), sie nennen. Und genau an einem jener "Unorte" erschaffen sie Gegenwelten, fiktive Plätze. Vielleicht sogar eine künstliche Natur. In der riesigen, neuen Tiefgarage am Schwabinger Tor, die einmal die Schlafstätte für 900 Autos sein soll und - im Gegensatz zu vielen anderen - normalerweise sehr hell ausgeleuchtet ist, haben sie mit Arbeiten von 16 Künstlern einen internationalen Kunstparcours auf 3000 Quadratmetern Fläche inszeniert, der einer Art Raumpfad gleicht. Denn die Videoarbeiten, Lichtobjekte und Skulpturen sind perspektivisch miteinander verbunden, bedingen einander und schaffen es so, in der Tat eine neue, nicht alltägliche Welt zu kreieren.

Mit weiß verhüllten Autos, aus denen Sounds zum Betrachter dringen, beginnt der Weg durch den musikalischen Kunstraum. Da sind jene schweren, gelackten Beton-Bilder, die Christine Liebich schafft und bewusst wieder zerstört, sie zeigen Schnittstellen zwischen dem Heilen und Ganzen, dem Zerbrochenen und Kaputten. "The Dark Knights" nennt sie ihre Ritter. Da sind die Loops, die dem dunklen Raum Farbe und eine Dreidimensionalität verleihen. Und da ist das Wasser: von Susi Gelb zu Beispiel. Sie hat sich mitten in die Isar gestellt, zwei Kunst-Kristalle auf ein mit Alufolie bespanntes Brett montiert, in das Wasser gelegt und gefilmt. Verlangsamt kräuseln sich die kleinen Wellen in ihrem Video rund um die Quader - wie schön es in der Untergrund-Welt sein kann! Und dann diese Fantasie-Pflanzen von Alexander Skorobogatow, die plötzlich in einem hellen Durchbruch blühen. Im Tageslicht? Nein, Sonne dringt nicht durch die Mauern. Es ist eine Vision. Auch das Wandbild von Niko Abramidis & NE, das ein wenig an die alten Höhlenmalereien erinnern soll, zeigt einen Menschen mit überdimensionalen Füßen und Händen, merkwürdig verformt. Eine Schlangenfrau vor den glitzernden Sternenpünktchen der Andromeda-Galaxis, ein ausgegossener und ausgegrabener Maulwurfsgang - alles in dieser Schau ist nicht nah, nicht fern, wirklich und unwirklich zugleich; es ist ein Weg, so beschreiben es die Künstler selbst, durch ein Beton-Riff, an das Kunst-Korallen andocken. "Coral North" heißt dann auch die Ausstellung, die in einer gut durchdachten Struktur an einem "Unort" wirklich wirken kann. "Wir haben großen Wert darauf gelegt, dass sich die Kunstwerke entfalten können, nicht gegenseitig stören", sagt Susi Gelb, die mit ihren Kollegen seit August an der Werkschau arbeitet. Und in der Tat ist eine Parallel-Welt entstanden, eine Welt unter dem Oben. Mit anderen Farben, anderen Begegnungen und Geräuschen. Von wegen "Unort".

"Coral North": Park One, Tiefgarage Schwabinger Tor, Eingang Leopoldstraße 182. Bis 19. Oktober, 11 bis 20 Uhr. Auch ist die Ausstellung an diesem Samstag, 15. Oktober, zur Langen Nacht der Museen von 19 bis 2 Uhr früh zu sehen.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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