Schuldneratlas:So pleite sind die Münchner

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  • Die Zahl der Münchner, die massiv verschuldet sind, ist im vergangenen Jahr dramatisch angestiegen.
  • Hauptursachen sind Arbeitslosigkeit, Krankheit und schlechte Haushaltsführung.

Von Thomas Anlauf, München

Die Zahl der Münchner, die massiv verschuldet sind, ist im vergangenen Jahr dramatisch angestiegen. Im Oktober waren 100 054 Menschen in der Landeshauptstadt in akuter Geldnot. Fast 60 000 sind derart pleite, dass ihnen Pfändungen, Zwangsvollstreckungen oder Privatinsolvenzen drohen. Der Anstieg an extrem überschuldeten Münchnern sei im Vergleich zum Vorjahr mehr als viermal so hoch wie im bundesweiten Trend, teilte das Wirtschaftsauskunftunternehmen Creditreform am Dienstag bei der Vorstellung des Münchner Schuldneratlasses mit.

Die Hauptgründe für eine Überschuldung sind plötzliche Arbeitslosigkeit, Scheidungen oder der Tod des Partners, Erkrankungen oder Unfälle, schlechte Haushaltsführung oder gescheiterte Selbständigkeit. Die Münchner, die eine Schuldnerberatung aufsuchten, waren durchschnittlich 34 096 Euro in den Miesen.

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Der typische Münchner Pleitier ist männlich, zwischen 50 und 59 Jahren alt und lebt im Hasenbergl. Der Stadtteil im Münchner Norden ist seit vielen Jahren das Viertel mit den meisten überschuldeten Menschen. 15,4 Prozent von ihnen konnten in diesem Jahr nicht mehr ihre Verbindlichkeiten zahlen. Allerdings verbessert sich die Situation dort leicht: Vor zehn Jahren war mit 22,7 Prozent beinahe jeder vierte Hasenbergl-Bewohner hoffnungslos verschuldet. Auf Platz zwei der Negativliste liegt Berg am Laim mit mehr als 14,8 Prozent hoch Verschuldeten und die Ludwigsvorstadt mit 13,3 Prozent. Dort, sowie in der benachbarten Isarvorstadt, ist die Zahl derer, die mit ihrem Geld nicht mehr klarkommen, besonders signifikant gestiegen.

"Jeder zwölfte Münchner ist überschuldet", sagt Philipp Ganzmüller, geschäftsführender Gesellschafter von Creditreform München. Das sei der höchste Stand seit der Finanzkrise 2008. Dennoch stehe München noch immer vergleichsweise gut da: Im Bundesdurchschnitt sitzt jeder Zehnte in der Schuldenfalle. Die Landeshauptstadt nähere sich aber dem Bundesdurchschnitt an.

Heuer hat München nicht mehr die niedrigste Quote im Vergleich zu den anderen Landeshauptstädten. Spitzenreiter ist nun Mainz, wo weniger als acht Prozent der über 18-Jährigen hoch verschuldet sind, München liegt bei mehr als 8,3 Prozent (2014: 8,0). Im Umland liegt die Schuldnerquote niedriger, aber auch hier steigt sie überall: Im Landkreis München von 5,94 (2014) auf 6,09 Prozent, in Bad Tölz-Wolfratshausen auf 6,57 (6,39), in Dachau auf 6,18 (6,10), in Ebersberg auf 5,67 (5,49), in Freising auf 6,63 (6,50), in Fürstenfeldbruck auf 6,28 (6,19), in Starnberg auf 6,06 (5,80) Prozent. Nur in Erding blieb die Quote bei 6,15 Prozent konstant.

Ein neues Phänomen beobachtet Ganzmüller in München bei der Verteilung der Privatpleiten in den einzelnen Stadtvierteln. "Mittlerweile sind auch Stadtteile betroffen, in denen die private Überschuldung bislang moderat war." Am stärksten stieg die Zahl der Zahlungsunfähigen in der Isarvorstadt, Thalkirchen und Am Hart. Riem hingegen, das jahrelang als sozialer Brennpunkt in München galt, legt sein Schuldner-Image zusehends ab: Stand im Jahr 2008 noch jeder fünfte Riemer vor der Pleite, ist es heute nur noch jeder neunte. Die Münchner mit den solidesten Finanzen wohnen in Obermenzing, Harlaching und Bogenhausen.

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Mit Besorgnis beobachten die Finanzexperten die wachsende Altersarmut in München. In diesem Jahr sind die Schuldner zwischen 60 und 69 Jahren deutlich mehr geworden. In einigen Stadtteilen, etwa in der Ludwigsvorstadt, in Berg am Laim, in der Isarvorstadt und auf der Schwanthalerhöhe liegt die Quote sogar deutlich über dem Durchschnitt des jeweiligen Viertels. Erika Schilz von der städtischen Schuldner- und Insolvenzberatungsstelle hat beobachtet, dass sich viele ältere Münchner über günstige Kredite größere Anschaffungen leisten, diese dann aber nicht mehr zurückzahlen können, wenn sie in Rente gehen. Grundsätzlich gelte: "Je älter, desto höher sind die Schulden."

Im vergangenen Jahr waren immerhin 12,5 Prozent der Münchner, die zu einer der neun Schuldnerberatungen in der Stadt gingen, älter als 60 Jahre. Von 2006 bis 2014 ist auch die Zahl der Münchner, die Grundsicherung im Alter beziehen, von 3,6 auf 5,2 Prozent angestiegen, Ende 2014 erhielten 13 700 Senioren Sozialleistungen.

© SZ vom 02.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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