SZ-Adventskalender:Sprachlos wegen ein paar Buchstaben

SZ-Adventskalender: "Ansprache und Körperkontakt mag er", sagt Stefanie K. über Jonas. "Dann hat er sogar manchmal ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen."

"Ansprache und Körperkontakt mag er", sagt Stefanie K. über Jonas. "Dann hat er sogar manchmal ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen."

(Foto: Catherina Hess)

Jonas kann wegen des Gendefekts KCNT-1 nicht reden, die kleine Marijana hat einen Gehirnschaden. Beide brauchen dringend Hilfe.

Von Florian Fuchs

Eigentlich muss Stefanie K. ihren Sohn über eine Spritze und eine Sonde ernähren. Ein bisschen was kann Jonas inzwischen aber auch so essen, und da hat der Dreijährige Süßes für sich entdeckt, wie eben die meisten Kinder. Also gibt ihm K. ab und zu Obst und Joghurt, und wenn sie ihn dann noch auf ihren Schoß setzt und wippt, wenn sie ihn ein bisschen massiert und mit ihm redet, dann gefällt ihm das offensichtlich. "Ansprache und Körperkontakt mag er", sagt K. "Dann hat er sogar manchmal ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen."

Die 26-Jährige kann Jonas nicht einfach fragen, wie es ihm geht, deshalb ist dieses Lächeln etwas Besonderes. Natürlich spürt eine Mutter, was ihr Sohn gerade braucht, aber er wird es ihr nicht sagen können. Jonas wird wahrscheinlich nie lernen zu sprechen, er wird auch nicht laufen und sich sein Obst und seinen Joghurt selbst holen können. Ansonsten ist aber gar nicht so klar, wie es mit Jonas weitergeht, wie sich sein Gendefekt genau auswirkt, und das ist vielleicht das Schlimmste.

KCNT-1, ein paar Buchstaben und eine Ziffer, so heißt das defekte Gen, aber die Diagnose hilft auch nicht viel weiter. Das Krankheitsbild ist 2012 überhaupt erst entdeckt worden, im Geburtsjahr von Jonas. "Es gibt kaum Erfahrungen, die Schulmedizin weiß nicht weiter", sagt K. Ihrem Arzt ist sie trotzdem unendlich dankbar, er hat ein Medikament gefunden, mit dem es Jonas wenigstens ein bisschen besser geht. Er hat jetzt nur noch etwa zwanzig epileptische Anfälle pro Tag. Früher waren es bedeutend mehr.

Wie die Krankheit bei Jonas entdeckt wurde

Angefangen mit den Anfällen hatte es kurz nach der Geburt. Das kann schon mal passieren, lautete die Auskunft der Ärzte. Aber Jonas hörte nicht auf zu krampfen, worauf die Ärzte irgendwann sagten: "Könnte auch etwas Schlimmeres sein." Nur was genau, das wusste niemand. Stefanie K. setzte sich an den Computer und suchte nach Hinweisen, nach Anhaltspunkten. Es war die absolute Hilflosigkeit, wo sie doch ansonsten auch kaum Hilfe hatte, vom Vater des Kindes war sie da schon getrennt, er kam mit der Situation nicht klar. Die Ärzte gaben Jonas Kortison, sie machten MRTs und entnahmen Gehirnwasser, es muss eine Tortur gewesen sein für das Baby. K. fuhr in eine Spezialklinik für Epilepsie, aber die Ärzte dort zuckten auch nur mit den Schultern.

Dann kam die Diagnose: Der Gendefekt bewirkt, dass die sogenannten Kaliumkanäle überaktiv sind, was die Arbeit der Zellen im Körper stört. Die Folge sind die epileptischen Anfälle sowie schwere Spastiken, das Gehirn setzt immer wieder aus, dann gehen die Atmung und die Herzfrequenz runter. Jonas ist ein hübsches Kind mit blonden Haaren, aber er ist bleich, früher hat er eigentlich fast ständig geschlafen, wegen der Medikamente. Nachts ist er immer an ein Gerät angeschlossen, das die Vitalfunktionen misst und schrill piepst, wenn etwas nicht stimmt. Wenigstens steht das Gerät zu Hause.

"Nach einem Jahr nur in Krankenhäusern wollte ich nicht mehr", erzählt K. Sie hat ein Kinder-Palliativteam gefunden, mit dem sie zusammenarbeitet. Das heißt nicht, dass Jonas bald stirbt. Die Spezialisten dieses Teams haben 24 Stunden Rufbereitschaft, falls Jonas' schwere Anfälle hat, ist schnell jemand da und hilft. Und so kann sich K. ein wenigstens halbwegs geregeltes Leben aufbauen, bei sich zu Hause.

Wie Jonas' Leben nun aussieht

Wobei geregelt nicht der richtige Ausdruck ist: Zur Arbeit zu gehen ist noch überhaupt nicht möglich, und auch ansonsten dreht sich der Alltag immer um Jonas. "Selbst wenn ich Wäsche zusammenlege, bei den banalsten Dingen, habe ich immer im Hinterkopf, ob bei ihm gerade etwas passiert", sagt K. Seit September ist die Situation ein bisschen besser, Jonas ist jetzt in einem Förder-Kindergarten. Zwar hat er oft Fieber, weil sein Immunsystem so geschwächt ist, weshalb er trotzdem häufig zu Hause ist.

Wenn sein Zustand stabil ist, weiß K. ihren Sohn bei den Betreuern aber in guten Händen. Seit drei Monaten hat sie deshalb das erste Mal seit langer Zeit wieder die Möglichkeit, auch einmal abzuschalten. "Das tut ganz gut", sagt sie. "Ich hatte die letzten Jahre gar nicht mehr realisiert, dass Bäume blühen und auch mal Vögel zwitschern." Jetzt kriegt sie auch langsam den Kopf so weit frei, dass sie darüber nachdenken kann, ob sie eine Arbeit findet, die mit der Pflege ihres Sohnes zu vereinbaren ist.

Eltern mit einem geregelten Leben können so etwas manchmal gar nicht nachvollziehen: Wie wichtig es ist, einfach mal Zeit für einen Spaziergang zu haben oder auch nur vor dem Fernseher zu sitzen. "So eine Belastung kann man auf die Dauer sonst kaum schultern", sagt Helga Brenoth-Kurth, die sich bei Bib, dem Verein zur Betreuung und Integration behinderter Kinder und Jugendlicher, um die Beratung von Eltern kümmert.

So können Sie spenden

Wer helfen will, wird um ein Geldgeschenk gebeten, Sachspenden können leider nicht entgegengenommen werden. Bareinzahlungen sind von Montag bis Donnerstag von 9.30 bis 18 Uhr sowie Freitag und Samstag von 9.30 bis 16 Uhr im SZ-Servicezentrum, Fürstenfelder Straße 7, möglich. Sicher online spenden können Leser im Internet unter www.sz-adventskalender.de. Überweisungen sind auf folgendes Konto möglich. "Adventskalender für gute Werke der Süddeutschen Zeitung e.V." Stadtsparkasse München IBAN: DE86 7015 0000 0000 6007 00 BIC: SSKMDEMM Spenden sind steuerlich abzugsfähig; bis zu einem Betrag in Höhe von 200 Euro reicht der vereinfachte Nachweis. Bei Spenden in Höhe von mehr als 200 Euro senden wir Ihnen die Spendenbestätigung zu, sofern auf der Überweisung der Absender vollständig angegeben ist. Jede Spende wird ohne Abzug dem guten Zweck zugeführt. Alle Sach- und Verwaltungskosten, die entstehen, trägt der Süddeutsche Verlag.

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Das Schicksal der kleinen Marijana

Eltern behinderter Kinder täten sich allerdings oft schwer loszulassen, um ihren Sohn oder ihre Tochter von anderen betreuen zu lassen. Oder sie wissen gar nicht, welche Hilfen es gibt. Brenoth-Kurth musste schon Eltern beraten, deren Kinder zehn Jahre alt sind und noch keinen Behindertenausweis haben. "Die Informationen müssen die Eltern besser erreichen, am besten schon in den Kliniken." Viele Eltern haben neben der Pflege nicht die Kraft, auch noch selbst langwierig im Internet nach Hilfen zu suchen.

Die Eltern von Marijana sind hier offenbar genauso wie Stefanie K. eine Ausnahme. Sie haben Beratung in Anspruch genommen und Informationen eingeholt. Mutter Mariya S. hat trotz der Pflege ihrer Tochter sogar noch eine Ausbildung als Krankenschwester abgeschlossen, oft musste sie nachts lernen. Marijana kam als Frühgeburt in der 31. Schwangerschaftswoche auf die Welt. 1360 Gramm wog sie. Der Körper war noch schwach, da fing sie sich einen Krankenhauskeim ein.

"Wir haben erst gar nicht realisiert, was das für Folgen hat", sagen S. und ihr Ehemann Kabyn O. Ihre Tochter hat eine Cerebralparese, sie erlitt also durch den Keim einen Gehirnschaden. Die Zehnjährige hat Spastiken am ganzen Körper, der Kopf fällt immer wieder zur Seite und muss im Rollstuhl gestützt werden. Einen Stift zu halten ist ihr deshalb nicht möglich, die Motorik ist gestört. Manchmal ist Marijana schwer zu verstehen, wenn sie spricht.

Wenn das Leben am behinderten Kind ausgerichtet ist

Sie ist trotzdem ein fröhliches Mädchen, ständig lacht sie, dann rutscht die bunte Brille auf der Nase ein bisschen nach oben. Marijana zeigt stolz, wie sie die Zahlen von eins bis zehn auf Englisch aufsagen kann, wenn sie in einem Lernbuch blättern will, hilft ihr auch gerne ihre Schwester Juliana. Die Eltern schaffen, was laut Sozialpädagogen wie Brenoth-Kurth in manchen Familien zu kurz kommt: Mariya S. und Kabyn O. richten ihr Leben nach ihrer behinderten Tochter aus, aber sie kümmern sich auch um Juliana, die gerne turnt und tanzt - auch das gesunde Kind kommt zu seinem Recht.

Diesen Spagat zu schaffen ist nicht einfach, Marijanas Pflege kostet viel Kraft: So müssen die Eltern zum Beispiel fünf bis sechs Mal pro Nacht aufstehen, um ihre Tochter umzudrehen und so ihre Schlafposition zu verändern.

Mariya S. arbeitet im Krankenhaus im Drei-Schicht-Betrieb. Kabyn O. ist gelernter Arzt, aber als er vor Jahren nach Deutschland kam, hat er in Bayern keine Zulassung bekommen. Also hat er sich als Kabelverleger selbstständig gemacht, so dass er seine Zeit einteilen und auf die Kinder aufpassen kann, wenn seine Frau arbeitet. Dann muss er aber Aufträge absagen, es bleibt weniger Geld übrig.

Was die Familie dringend braucht

Bald zieht die Familie um, das Bad in der neuen Wohnung soll behindertengerecht ausgebaut werden. 10 000 Euro kostet das, die Familie bekommt einen Zuschuss, den Rest kann sie allerdings alleine nicht bezahlen. Das Bad muss so breit sein, dass ein Rollstuhl hinein passt, es braucht eine Duschtoilette. Schön wäre auch ein höhenverstellbares Waschbecken, dann kann sich Marijana selbst waschen. "Das wäre wichtig, um ihre Selbstständigkeit zu fördern", sagt S.

Stefanie K. würde ihre kleine Wohnung auch gerne behindertengerechter ausstatten, unter anderem bräuchte Jonas ein Bett und im Treppenhaus wäre eine Rampe eine große Hilfe. Geht K. einkaufen, muss sie immer erst Jonas hinauftragen und danach die Einkäufe holen. K. hat aber auch noch einen anderen Wunsch: Sie würde gerne einen Baum für Jonas pflanzen. "Eine Eiche, tief verwurzelt", sagt sie. "Bäume haben etwas Beruhigendes. Und Überdauerndes."

Service

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