Schau:Ikone des Reichtums

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Gnadenlos: Aktionskünstler Sebastian Bürck rückt dem Rolls-Royce mit einer Mischung Essigwasser und Rostgranulat zu Leibe. (Foto: Catherina Hess)

Auf dem Bahnhofsplatz in Gräfelfing lässt Sebastian Bürck einen weißen Rolls-Royce im Zeitraffer verrosten. Die Installation ist Blickfang einer Kunst-Ausstellung im ehemaligen Kiosk des Bürgerhauses

Von Annette Jäger, Gräfelfing

Für manchen Autoliebhaber mag die Kunstaktion auf dem Bahnhofsplatz vor dem Bürgerhaus in Gräfelfing nur ganz schwer zu verkraften sein. Dort parkt ein weißer Rolls-Royce, Baujahr 1977, Modell Silver Shadow - also das, was man unter einer wirklich stattlichen Karosse versteht. "Eine Ikone des Reichtums", nennt Sebastian Bürck die Nobel-Karosse. Und damit ist das gut 5,20 Meter lange Automobil für ihn, den Künstler, Fotografen und Kameramann aus Krailling, bestens geeignet, zum Kunstobjekt zu werden. Bürck lässt die Karosse im Zeitraffer komplett verrosten, inklusive der Kühlerfigur "Spirit of Ecstasy" - eine wahre Provokation. Möglich macht es eine Mischung aus Essigwasser und Rostgranulat. Betrachter können Zeugen dieser Agonie werden, stündlich verändert sich das Objekt. "War das schon alles?", heißt die Installation.

Der rostende Rolls, der mindestens noch bis Montag auf dem Platz vor dem Bürgerhaus stehen wird, ist eines der Kunstobjekte, die zu einer kleinen, aber feinen Ausstellung im ehemaligen Kiosk des Bürgerhauses am Bahnhofsplatz gehören. Neben Bürck stellen sieben weitere Künstler der Ateliergemeinschaft in den Kunstbaracken an der Steinkirchner Straße ihre Arbeiten noch bis Freitag täglich von 15 bis 20 Uhr aus. Der Rolls-Royce, der unter dem Auge des Betrachters nach und nach zur Rostskulptur wird, ist allerdings der Hingucker auf dem Platz, über den die Gräfelfinger hinweg zur S-Bahn streben oder auf die Bahnhofstraße zum Einkaufen radeln, gehen und fahren. Am Mittwochnachmittag hat Bürck das Auto mit der Rostlösung behandelt, seitdem nagt der Zahn der Zeit am Lack. Am Donnerstag soll das Auto komplett mit Rost überzogen sein, hofft Bürck. Er ist selbst gespannt, denn: Die Arbeit ist ein Experiment.

Geradezu klein und bescheiden nehmen sich im Vergleich zum "Rusty Rolls" die Objekte im kleinen Ex-Kiosk aus. Die wenigen Quadratmeter Ausstellungsraum haben die Künstler zu einem originellen Schatzkistchen voller Kunst gestaltet. Dabei treten die Werke der sieben Künstler, die sich zuvor nicht abgesprochen haben, was sie ausstellen werden, in eine spannende Beziehung zueinander. Anscheinend werden die Kunstschaffenden von ähnlichen Themen umgetrieben: Oft geht es in den Arbeiten ums Auseinanderfallen und Zusammenhalten, um Vergänglichkeit und Bewahren. Davon zeugt beispielsweise die Europakarte von Julia Herrmann, bei der Ländergrenzen unter einem blauen Farbsee verschwimmen und zusammenlaufen. Daneben schwebt ein Erdball aus Pappmaché von Barbara Bommers, Restaurator Robert Struthmann platziert darunter eine reich verzierte Schatztruhe. Dazu passt auch das filigrane Papierboot, an zwei langen Haaren der Papierkünstlerin Angela Goebles-Pretzel aufgehängt, das so brüchig wirkt, dass es kaum einer starken Welle standhalten kann. Dazwischen reiht sich noch ein Werk von Maria Sutor ein, die an sie adressierte Postkarten aus aller Welt zu einem Erinnerungsgeflecht verwoben hat. Über allem schwebt ein überdimensionaler, gemalter Engel von Barbara Bommers - ein Schutzengel? -, und Filzkünstlerin Almuth Raupp ermahnt in einer Filzarbeit dazu, all jenen die Hand zu reichen, die sie brauchen. Selbst der sonst eher im großen Rahmen arbeitende Bühnenplastiker Winfried Bethke findet einen Platz im kleinen Kiosk: Er hat eine schuhschachtelgroße Bühne gebaut, auf die man durchs Kioskfenster blickt. Täglich kreiert jeder Künstler dort eine kleine Inszenierung.

Um Vergänglichkeit und Bewahren geht es auch beim Rolls-Royce - trotz Rost soll das Auto nicht auf dem Schrotthaufen enden. Bürck hat Lichter, Scheiben und Spiegel mit Folie abgeklebt, damit sie vom Verfall verschont bleiben. Das Automobil hat nämlich noch bis Januar 2019 eine gültige Tüv-Plakette. Nach der Aktion, die Bürck filmisch dokumentiert, will der Künstler den Oldtimer versteigern.

Unter www.rustyrolls.de kann der Rost-Prozess verfolgt werden. Die Finissage beginnt am Samstag, 24. Juni, um 15 Uhr im Ateliergarten an der Steinkirchner Straße 44.

© SZ vom 22.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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