Sanitäter auf dem Oktoberfest:Insel der Nüchternen

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Schwerstbetrunkene, Wagemutige nach einer rasanten Karussellfahrt und Bedienungen, die sich an einem Maßkrug geschnitten haben: Auf der Wiesn-Wache des Roten Kreuzes stranden all jene, deren Gesundheit die Strapazen des Oktoberfest-Besuchs nicht aushält. Ein Besuch.

Christina Warta

Sie tragen ihn herein, einer links, einer rechts, denn er kann nicht mehr laufen. Sein linker Fuß ist dick mit einem Verband umwickelt, ein paar Blutspritzer sind darauf zu sehen. Am Empfang der Erste-Hilfe-Station auf dem Oktoberfest müssen die Italiener ihren verletzten Freund kurz absetzen, denn sie sind außer Atem. Der junge Mann hat sich am Fuß verletzt, doch wie es genau passiert ist, wird nicht recht klar. Alle reden und gestikulieren durcheinander , dann greifen zwei Sanitäter dem Verletzten unter die Arme und bugsieren ihn samt Seppelhut durch die hellblaue Tür in die Sanitätsstation.

Aus den Hygienevorwürfen des Vorjahres hat das BRK Konsequenzen gezogen - es wurden Qualitätsmanager eingestellt und Behandlungsabläufe standardisiert. (Foto: Catherina Hess)

Auf der Theresienwiese, gleich hinter dem Schottenhamel-Zelt, liegt zwischen Polizeistation und städtischer Festleitung die Wiesn-Wache des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK). Auf dieser Insel der Nüchternen stranden all jene, deren Gesundheit die Alhohol- und anderen Strapazen des Wiesnbesuchs nicht aushält: Schwerstbetrunkene, deren Kreislauf zusammengebrochen ist, Bedienungen, die sich an einem zerbrochenen Krug geschnitten haben, oder Wagemutige, denen nach einer Karussellfahrt mehr als nur blümerant zumute ist.

Allein in der ersten Woche mussten 4671 Patienten in der BRK-Station betreuen lassen. "Eigentlich passiert relativ wenig, wenn man bedenkt, wie viele Menschen die Wiesn besuchen", sagt der Rechtsmediziner Florian Fischer, der seit 2010 gemeinsam mit Ulrich Hölzenbein ärztlicher Leiter der BRK-Wiesnwache ist. 3,5 Millionen Besucher waren es zur Halbzeit, die Betreuungsquote liegt damit bei 0,13 Prozent.

Die Notfallambulanz machte in den vergangenen Jahren aber nicht nur mit Zahlen rund um Bierleichen und Schnittwunden von sich reden. 2009 wurde bekannt, dass einer der ehrenamtlich tätigen Ärzte in der Station das Blut von rund 400 Patienten für eine Studie verwendet hatte, ohne für alle Entnahmen Einverständniserklärungen vorlegen zu können. Ein Jahr später folgten Zeitungsberichte über einen angeblichen Hygiene-Skandal: Das Gesundheitsreferat habe bei einer Begehung eine rostige Schere und nicht gekühlte Salben gefunden. Anfang 2011 schließlich wurden in Münchner Kliniken Einweg-Instrumente mit gefälschten Hygiene-Zertifikaten entdeckt - und auch bei der BRK-Wache.

Für die Beteiligten waren diese Nachrichten eine Katastrophe - schließlich ist der Betrieb der Sanitätszentrale auf dem Oktoberfest für den BRK-Kreisverband München eine Sache von Prestige und Ehre. "Es gibt hier ein starkes Wir-Gefühl", sagt Werner Masanz, als Kreisbereitschaftsleiter der Gesamtverantwortliche für die Wiesn-Wache und seit 30 Jahren dabei.

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Seit 126 Jahren existiert die Anlaufstelle für Verletzte und Kranke, und in all den Jahren stand nie zur Debatte, dass die Ambulanz von einem anderen Sanitätsdienst betrieben werden sollte. Nach den Vorwürfen änderte sich das: Die Stadt schrieb den Betrieb der Wiesn-Wache europaweit aus.

Im Münchner Kreisverband haben sie nun nachgebessert. "Wir haben aus den Fehlern gelernt, unsere Entscheidungswege und Abläufe überprüft, Qualitätsmanager eingestellt, die Behandlungsschemata standardisiert und ein Hygienemanagement installiert", erklärt Sprecher Peter Behrbohm. Außerdem hat sich die BRK-Wiesnwache vom Verein zur Qualitätssicherung und Zertifizierung für den Mittelstand während des Betriebs 2010 zertifizieren lassen, um alle Zweifel auszuräumen. "Wir sind jetzt die einzige Sanitätswache mit Qualitätszertifikat", sagt Behrbohm.

Das BRK bekam von der Stadt den Zuschlag für den Betrieb der Wiesnwache bis 2014 - niemand sonst hatte sich an der Ausschreibung beteiligt. "Daran sieht man, wie komplex die Aufgabenstellung ist", argumentiert Behrbohm, "außerdem kann die Wache ohne die Hilfe Ehrenamtlicher nicht betrieben werden." 180.000 Euro zahlt die Stadt nun für den Betrieb, "wir hoffen, dass wir dadurch erstmals mit einer schwarzen Null dastehen." Bislang sei die Wache finanziell stets ein Verlustgeschäft gewesen. "Für unsere Leute ist der Großeinsatz auf der Wiesn aber die beste Übung", so Behrbohm.

Schon wieder geht die Tür auf. Sanitäter fahren eine Trage herein, auf der eine bewegungslose junge Frau liegt. Christine Föllmer, im normalen Alltag Assistenzärztin der Anästhesie, beugt sich über sie und untersucht sie. "Die Arbeit hier ist einfach interessant", sagt sie hinterher. Föllmer ist an diesem Tag für die Sichtung und Verteilung der Patienten auf die Behandlungszimmer zuständig.

Neben Kabinen, in denen Schnittwunden und ähnliches behandelt werden, einem Ruheraum und einem Akutbehandlungsraum gibt es auch einen Überwachungsraum für all jene, die das Wiesnbier niedergestreckt hat. Auf 15 Betten liegen die Alkoholisierten, ein Team von Ärzten und Sanitätern überwacht ihren Zustand. Die hier eingelieferten Wiesnbesucher dürfen erst dann gehen, wenn sie wieder laufen können und wissen, wie sie heißen und warum sie sich auf einer Krankenstation befinden.

Doch es gibt auch ernstere Fälle: Am Montagnachmittag erst brachten die Sanitäter einen 75-Jährigen in die Station, der über Unwohlsein klagte: In der Wache zeigte ein EKG kurz darauf den Herzstillstand an, Kardiologe Andreas Rösch leitete eine Reanimation ein - und rettete damit das Leben des Patienten.

© SZ vom 29.09.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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