Riem:Zum Greifen nah

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Auf dem städtischen Gut gibt es jetzt einen Mitmach-Stall. Vor allem Kinder lernen auf dem Bio-Bauernhof von pädagogisch geschulten Landwirten, wie artgerechte Tierhaltung aussieht

Von Patrik Stäbler, Riem

Zaghaft schiebt Thalia ihre Hand durch die Eisenstäbe - dorthin, von wo aus sie vorhin einen Apfel hat zu Boden plumpsen lassen. Über das Obst macht sich gerade, geräusch- und wonnevoll, eine sicher 150 Kilo schwere Muttersau her. Währenddessen nähern sich Thalias Fingerspitzen dem Rücken des Tieres, im nächsten Moment berührt sie vorsichtig dessen Borsten. "Es war das erste Mal, dass ich ein Schwein angelangt habe", wird die Elfjährige später strahlend erzählen. Wie es sich anfühlt? "Nicht so weich wie bei einem Hund", sagt Thalia, "sondern glatt und trocken".

1,5 Millionen Euro haben sich Stadt und Stadtgüter den Mitmach-Stall kosten lassen. In ihm und auf der vier Hektar großen Weide leben Schafe, Schweine, Kühe und zwei Esel. (Foto: Catherina Hess)

Es sind prägende Eindrücke wie diese, die sich das städtische Gut Riem erhofft, wenn der Bio-Bauernhof Besuch von Kindergärten, Schulklassen oder privaten Gruppen erhält. Schon bisher gab es dort Hofführungen zu verschiedenen Themen, etwa die "tolle Knolle" Kartoffel oder Getreide "vom Saatkorn bis zur Semmel". Nun ist auf dem Areal im Münchner Osten ein neuer Mitmach-Stall eröffnet worden, und als erste Klasse darf die 6 b der Willy-Brandt-Gesamtschule aus dem Hasenbergl einen Vormittag lang mit anpacken, ausmisten und Tiere füttern. Während Thalia und die anderen die Schweine mit Äpfeln und die Schafe mit Heu versorgen, liefern sich weiter hinten Verena Dietl und Kristina Frank - angespornt von etlichen Fotografen - fast schon einen Wettstreit ums beste Bildmotiv.

Saucool: Unter Anleitung erfahren Kinder der Willy-Brandt-Gesamtschule im neuen Mitmach-Stall, wie sich Nutztiere anfühlen und was sie brauchen. (Foto: Catherina Hess)

Zunächst haben die beiden Frauen, die in ihren Funktionen als 3. Bürgermeisterin sowie als Werkleiterin der Stadtgüter zur heutigen Eröffnung gekommen sind, Seite an Seite die Schweine gefüttert. Danach zog Verena Dietl die Objektive auf sich, als sie ein Kälbchen namens Marie liebevoll im Nacken kraulte. Inzwischen aber umlagern die Fotografen Kristina Frank, die ein Lamm auf den Arm genommen hat und nun innig mit ihm kuschelt. "Dieses Projekt ist ein Herzensprojekt der Stadtgüter", hat sie zuvor über den 500 Quadratmeter großen Mitmach-Stall gesagt. Zuletzt habe die Nachfrage nach Hofführungen die Kapazitäten in Riem deutlich überstiegen. "Gleichzeitig wurde oft gewünscht, dass Tiere zum Greifen nah sind", sagt Frank. Dies sei im Mitmach-Stall möglich, und obendrein könne man nun 200 statt bisher 80 Führungen im Jahr anbieten - "eine wahnsinnige Steigerung". Das neue Angebot solle bei jungen Menschen aber auch bei Erwachsenen das Bewusstsein schärfen für den Wert artgerechter Tierhaltung und nachhaltiger, regionaler Landwirtschaft, sagt Kristina Frank. "So gewinnen wir Verständnis für die Belange der Landwirtschaft und zeigen, dass Kühe nicht lila sind." Ähnlich klingt das bei Verena Dietl, die von dem Ziel spricht, "Landwirtschaft sichtbar, greifbar und erlebbar zu machen". Vor allem Kinder und Jugendliche wolle man hier praxisnah an das Thema Landwirtschaft heranführen.

Das neue Angebot solle bei jungen Menschen aber auch bei Erwachsenen das Bewusstsein schärfen für den Wert artgerechter Tierhaltung und nachhaltiger, regionaler Landwirtschaft, sagt Kristina Frank. (Foto: Catherina Hess)

1,5 Millionen Euro haben sich Stadt und Stadtgüter den Mitmach-Stall kosten lassen. In ihm und auf der vier Hektar großen Weide leben Schafe, Schweine, Kühe und zwei Esel. "Wir wollen zeigen, wie Tierhaltung in einem ökologischen Betrieb aussieht", sagt Alfons Bauschmid, 2. Werkleiter der Stadtgüter. Wobei man zwei große Vorteile habe: Erstens lebten hier "alle gängigen Nutztiere in einem Stall", so Bauschmid. Und zweitens: "Die Klassen und Gruppen können mit der S-Bahn kommen." Als Konkurrenz zu privaten Bauernhöfen, die ebenfalls Führungen für Schul- und Kindergartenkinder anbieten, will Bauschmid die Stadtgüter nicht sehen. Schließlich sei die Nachfrage "viel größer als das Angebot".

In Riem leiten pädagogisch geschulte Landwirtinnen und Landwirte die Hofführungen. Eine davon ist Julia Stark, die den Kindern aus dem Hasenbergl vorhin erklärt hat, worauf sie beim Schweinefüttern achten sollen - etwa auf die Zähne der Tiere. "Es geht gar nicht so sehr darum, den Kindern hier viel Wissen zu vermitteln, sondern sie sollen ein Gefühl für die Tiere bekommen, sie schätzen und lieben lernen", sagt Stark. "Denn was man schätzt und liebt, das schützt man auch." Bei der elfjährigen Thalia hinterlässt der Besuch jedenfalls tiefen Eindruck. "Richtig cool" sei es auf dem Bauernhof, sagt die Sechstklässlerin. Was ihr am besten gefallen hat? Auf die Frage antwortet sie sogar noch schneller, als die Muttersau zuvor ihren Apfel verschlungen hat. "Die Schweine", sagt Thalia und grinst. "Die waren echt total süß."

© SZ vom 28.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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