Restaurant Tian:Siebter Himmel für Vegetarier

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Das Publikum im Tian ist relativ jung, der Service herzlich, die Stimmung gut und die Preise sind moderat. (Foto: Catherina Hess)

Kulinarisch besteht München hauptsächlich aus Haxn, Leberkäs und Ochsenfetzensemmel. Bislang. Denn das Tian ist das erste überzeugende vegetarische Restaurant in München - die veganen Gerichte dagegen haben noch Potenzial nach oben.

Von Tankred Tunke

Für Vegetarier und Veganer, seien wir ehrlich, ist München kulinarisch in etwa so interessant wie die Wüste Gobi. Dem unbedarften fleischlosen Hascherl, das im Stadtzentrum der Hunger ereilt, bleibt oft nur der Griff in die Gemüsekisten des Viktualienmarktes und der Rückzug an den eigenen Herd. Der Rest ist Haxn, Leberkäs und Ochsenfetzensemmel. Und selbst, wenn das jetzt einen kleinen Proteststurm der aufrichtig Entrüsteten nach sich zieht, so lautet die rhabarbersaure Wahrheit: Bis vor wenigen Monaten gab es in München kein einziges wirklich gutes vegetarisches oder veganes Restaurant. Nämlich bis in der Frauenstraße, neben dem Derag Living Hotel, das Tian eröffnet hat. Was nicht nur für Vegetarier eine gute Nachricht war, um das Urteil gleich vorwegzunehmen.

"Tian" bezeichnet entweder einen französischen Gemüseeintopf oder das chinesische Wort für "Himmel". Wer jedoch nur einen Bruchteil der Lobeshymnen über das gleichnamige Wiener Schwester-Restaurant (ein Michelin-Stern) gelesen hatte, der war versucht, es mit "siebter Himmel" zu übersetzen. Vorschusslorbeeren also, die aber nicht unberechtigt wirkten, gab es doch mehrere Anzeichen dafür, dass sich da endlich ein Lokal der fleischlosen Küche auf die einzig überzeugende Weise näherte: über den Geschmack. Dafür sprach schon die Wahl des Küchenchefs Christoph Mezger, der zuvor in den Südtiroler Stuben am Platzl gekocht hat, an einem Ort also, der des radikalen Gemüsefundamentalismus völlig unverdächtig ist.

Wo Luxus und Nachhaltigkeit vereint werden

Aber ganz ohne Weltanschauung geht es offenbar heute nicht mehr in der Gastronomie. Das Design des Restaurants ist wild entschlossen comme il faut. Satte Erd- zu zarten Blautönen, edle wie schlichte Stoffe auf Polster-Wänden, Moos und Treibgut in den Kronleuchtern. Das (übrigens fantastische) Sauerteigbrot liegt auf schwarzen Steinen, die unglasierten Öl-Flakons thronen sphärisch auf Olivenholzwurzeln, Purismus und Green Chic, wohin man blickt. Auf gut Münchnerisch heißt das: Nachdem er seinen Geländewagen mit Hybridmotor im Parkhaus am Oberanger sicher untergebracht hat, kann der solvente Gast sich hier in der angenehmen Gewissheit zurücklehnen, dass Luxus und Nachhaltigkeit sich aufs Köstlichste vereinbaren lassen.

Doch wollen wir sachlich bleiben: Das Publikum im Tian ist relativ jung, der Service herzlich, die Stimmung gut und die Preise sind moderat (auch wenn das Vier-Gang-Menü zwischen unseren beiden Besuchen von 42 auf 45 Euro anzog). Schon der Gruß aus der Küche, ein zart knusperndes Rote-Beete-Macaron mit Sesam-Crème fraîche und mild-scharfem Meerrettich, weckt Hoffnung auf alles Weitere.

Zu viel der österreichischen Erdapfelseligkeit

Mit der Wahl für ein vegetarisches ("Emotion", nun ja) und ein veganes Menü ("Dahoam") wird das Spektrum der Küche gut abgedeckt und - ein frappanter Unterschied offenbar: Bei den vegetarischen Gerichten gelingt es mühelos, eine stimmige Abfolge mit Spannungskurve auf die Teller zu bringen, wobei der Gast nichts vermisst. Das vegane Menü im Tian zeigt dagegen, wie viel eine Küche ohne tierische Produkte selbst versierten Köchen mit Ideen noch abverlangt. Sie wird tatsächlich immer besser, aber da ist noch Potenzial.

So kippt schon die vegane Vorspeise, eine Kartoffelschnitte mit Feldsalatcreme, Radieschen-Essenz und Röstzwiebeln ins Säuerliche, was auch die Kartoffel in ihrem etwas dumpfen Opportunismus nicht auszugleichen vermag. Und wenn auf die Kartoffelschnitte als Hauptgang die Kartoffelrolle folgt, dann ist es der österreichischen Erdapfelseligkeit vielleicht ein wenig zu viel (mit Pilzen, Petersiliencreme, geraspelter Petersilienwurzel, blanchierten Babymöhren und (wieder zu säuerlicher) Zitronenessenz).

Es gibt aber auch viel Erfreuliches: Die fast schon speckig schmeckenden Räucherlinsen, die mit glasierten, bissfesten Wurzelsticks, Mais und Schnittlauch kommen. Der Mais, der dank feiner Röstaromen zum Zentrum einer Vorspeise wird, inmitten knackiger Selleriekugeln, süßlichem Romanesco und verschiedenen Kräutern. Oder der Bulgur mit gerösteten Pinienkernen und Kamille, als nussig-blumige Insel in feiner Brennnesselsoße.

Hauptgänge sind hier richtige Hauptgänge

Optisch sind die Teller im Tian, wie man vielleicht hört, ein fast uneingeschränktes Vergnügen. Ebenso wie die vegetarischen Menüs. Wann würde man sich sonst Bärlauch bestellen? Hier wird er mit Mozzarella, Yuzu und krossen Löwenzahn-Chips serviert, auf einer behäbigen Artischocken-Creme, die alle süßen, sauren, salzigen und scharfen Luftsprünge im Mund so harmonisch abfedert wie ein Trampolin. Der Dinkel kommt als nussiges Risotto mit Rote Beete, Kürbis und Dill. Und mag es auch noch so abgedroschen klingen: Die Hauptgänge sind hier richtige Hauptgänge. Zum Beispiel Quinoa mit Spinat und Rosenkohl, dem Parmesan und Shi Take Pilze die richtige Dosis Umami verpassen und geröstete Haselnüsse das richtige Maß an Abwechslung. Oder die Polenta-Schnitte mit Sellerie-Lauch-Püree, Kräutersaitlingen und einer schön balancierten Soße.

Die Weinberatung - auf der Karte dominieren Riesling und Grüner Veltliner - dürfte bei so viel Abwechslung auf dem Teller gern forscher werden. Die Desserts aber - Topfen-Cheesecake mit Cassis-Sorbet und Schokolade oder Basilikum-Sorbet mit Pfefferschaum, Minze, Mango und Passionsfrucht - machen jede Wüste Gobi zum frischen Vergnügen.

© SZ vom 02.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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