Ramersdorf:Tafeln und schwafeln wie zu Luthers Zeiten

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Bei "Pratenvonneswine" und "Gebassenem" geht es fröhlich zu an den Tischen der evangelischen Gemeinde Gustav Adolf. Die Gäste essen mit den Fingern und hören zwischen den Gängen Erbauliches aus der Feder des Reformators

Von Renate Winkler-Schlang, Ramersdorf

Das Wasser ist angenehm lauwarm, mit dem Pfarrer Stefan Ammon die Hände der "hohen Herren und Damen" im Pfarrsaal der evangelischen Gemeinde Gustav Adolf in einer am Eingang bereitgestellten Schüssel wäscht. Eine schöne Geste - und eine Notwendigkeit, denn am Platz liegt für sie nur ein Holzlöffel bereit. Ansonsten esse man mit den Fingern, schließlich soll an diesem Abend alles möglichst so sein wie beim Reformator Doktor Martin Luther zu Wittenberg vor 500 Jahren. Nur ein großes Messer pro Tisch gibt es, um das reichlich vorhandene Fleisch grob zu teilen.

Genuss wie vor fünfhundert Jahren: "Mägde" und "Knechte" reichen "Brodt und Schmalz". (Foto: Heiko Witzke)

Leinen in gedeckten Naturfarben, anstelle der Knöpfe Schnüre oder Lederbänder, eine Kappe oder Haube auf dem Kopf: Pfarrer Ammon, die ehrenamtliche Organisatorin Angela Zielke und die meisten Konfirmanden, die als Mägde und Knechte die reiche Nahrung aus der Küche und die Tonkrüge aus dem Vorraum heranschleppen, haben sich mittelalterlich gewandet. Turnschuhe in Neonpink verbergen sich unter langen Röcken. Bei manchem kam auch die Wiesn-Lederhose zum Einsatz. Auch die Gäste wie Thomas und Petra Molinaro oder Ingeborg Pascher haben sich sichtlich bemüht, aus dem heimischen Fundus Angemessenes herauszufischen. "500 Jahre alte Klamotten hat halt keiner daheim", lacht Thomas Molinaro, Mitglied im Kirchenvorstand. Der Raum ist hauptsächlich mit Kerzen illuminiert, irdenes Geschirr steht auf den Tischen.

Bei Kerzenlicht und dezenten Lautenklängen als Hintergrundmusik langen die Gäste ordentlich zu. (Foto: Heiko Witzke)

Gustav Adolf ist nicht die einzige Gemeinde, die "Tafeln und Schwafeln wie zu Luthers Zeiten" am Ende des Reformations-Jubiläumsjahres anbietet, am Abend zuvor hatte die Jubilatekirche in Waldperlach geladen. So gibt es denn auch einen zentralen Fundus, aus dem die Ramersdorfer Aktiven sich die passenden Requisiten leihen konnten.

"Unglaublich viele Impulse" habe das Lutherjahr seiner Gemeinde und auch ihm persönlich gebracht, erzählt Ammon in einer Pause zwischen den fünf Gängen oder "Trachten", wie das damals hieß. Luther hatte viel Kritik und brachte viel in Bewegung, aber er habe ganz bestimmt nicht gewollt, dass die Kirchen sich trennen, sagt Ammon. Der Ablasshandel war Luther ein Gräuel - "nur Christus selbst befreit uns", das sei auch beim Konfi-Camp unter dem Motto "vergnügt - erlöst - befreit" so richtig deutlich geworden oder im Juli beim "Worttransportfest".

Auch auf altertümliche Robe wurde Wert gelegt. (Foto: Heiko Witzke)

Doch Ammon hat keine Zeit mehr, die Knechte und Mägde wie Ida, Olivia, Janeke und Ellinor tragen "Pratenvonneswine und Würste, Gebassenes (Sauerkraut), Sellerie-Purree und Erbsen fein" herein, die dritte Tracht nach "Brodt und Schmalz" und "Brühe von Kürbsen". Und sie kredenzen neuen Wein. Zwischen den Gängen wird gebetet und gesungen, gibt es Erbauliches und Erheiterndes aus Luthers Tischreden, teils von einem Teufelchen in hochhackigen roten Stiefeln und einem Engel mit Goldlockenperücke vorgetragen. "Sündige nicht, denn du könntest bald sterben", heißt es da, oder "In keiner Hinsicht ist am Reichtum etwas Gutes, darum gibt Gott Reichtum nur den groben Eseln, denen er sonst nichts gönnt." Ammon erzählt vom Leben im Hause Luther, von den großen Tischgesellschaften mit Freunden, Studenten und Tutoren. Fröhlichkeit, nicht Askese, habe da geherrscht, sagt der Pfarrer. Angela Zielke bittet zum Luther-Quiz: Was etwa hat Luther über die Bayern gesagt? Was tat Katharina von Bora nach der Hochzeit mit Luther als erstes? Ein Brief an die Base über ihre "Küssewoche"? Falsch. Richtig ist: "Sie warf Luthers stinkenden Strohsack weg."

Einen jungen Besucher hat es besonders gefreut, dass beim Luther-Dinner das Besteck in der Schublade bleiben darf. (Foto: Heiko Witzke)

Lautenmusik erklingt dezent im Hintergrund, die Gespräche werden lauter, die Menschen fröhlicher, eine Frau im Schlapphut zeigt verschmitzt ihr heimlich benutztes Taschenmesser. Sie knabbern an gebackenen Lutherköpfen mit Zimt und Honig, ehe der gebratene Apfel aufgetragen wird. "Gut, dass man nicht sieht, ob in den Tonkrügen Wein oder Wasser ist", sagt einer. Dann werden alle Kostümbeschaffungs- und Küchenhelfer beklatscht. Gerne habe man für dieses Fest ein paar Gulden gegeben, "damit das Haus nicht dem Elend verfalle", lobt der Kirchenvorsteher Norbert Pietsch. Nun hoffe er nur, dass man nicht wieder Hundert Jahre warten müsse auf so ein festliches Gelage. Alt und Jung applaudiert. Die Jugend in der Küche freut sich auf die Party danach: "Luther rockt."

© SZ vom 17.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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