Ramersdorf:Ein Mann, ein Wort

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Friseurmeister Hans Müller wollte nicht mehr zusehen, sondern helfen: Auf eigene Faust reist er nach Lesbos, heuert als Freiwilliger in einem Flüchtlingscamp der Vereinten Nationen an - und macht bedrückende Erfahrungen

Von Hubert Grundner, Ramersdorf

"So wie ich hinfahre, so komme ich nicht zurück. Das war mir vorher schon bewusst", sagt Hans Müller. Der gebürtige Münchner, Jahrgang 1949, war vom 24. Januar bis zum 7. Februar auf der griechischen Insel Lesbos. Knapp vier Wochen später ist im Gespräch mit ihm noch immer spürbar, wie sehr ihn das dort Erlebte aufwühlt. Ja, die Begegnung mit den Menschen, die die Flucht übers Meer überlebt haben und im Auffanglager Moria gestrandet sind, hat ihn sichtbar gezeichnet.

Auf eigene Faust hatte sich der Ramersdorfer auf den Weg gemacht, erst mit dem Flugzeug nach Athen, dann mit der Fähre nach Lesbos. Mit eigenen Augen wollte er sehen, ob das, was er bis dahin nur aus den Medien kannte, der Realität entsprach. Auslöser war zum einen ein Fernsehbericht über einen Schweizer, der sich ebenfalls in Eigeninitiative um Flüchtlinge gekümmert hatte. Und dann war da noch eine Kundin - Müller ist selbständiger Friseurmeister -, die ihn, als man diskutierte, gefragt habe, was er denn eigentlich mache. Da sei ihm bewusst geworden: außer Schimpfen nicht viel. Deshalb habe er beschlossen: "Jetzt machst du etwas."

Chaotisch: Die Zustände im Flüchtlingslager Moria ließen Hans Müller und viele andere Helfer schier verzweifeln. (Foto: Hans Müller)

Also reist er nach Lesbos. "Es war eiskalt, einmal hat's bis zum Meer runtergeschneit", erzählt Müller. Er hatte sich vorgenommen, den Flüchtlingen zu helfen, aber: "Ich hatte keinen Plan." Er mietet sich zunächst in einem Hotel in Mytilene ein. Am nächsten Morgen besorgt er sich einen Leihwagen und fährt kurzerhand in das nordwestlich gelegene, nur wenige Kilometer entfernte "Moria Refugee Camp". In diesem Hotspot werden jene Flüchtlinge registriert, die kurz vorher am Strand von meist windigen Schlauch- und Holzbooten heruntergeholt werden. Durchnässt, unterkühlt, hungrig und oft dehydriert kommen sie im Lager an.

Dort wird den Menschen dann geholfen. Genauer gesagt: Freiwillige aus aller Welt versuchen ihnen zu helfen, so gut es eben geht. Ab und zu sieht Müller zwar Leute von der UNHCR, dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen. Doch einen offiziellen Leiter des Camps kann er nicht identifizieren. Anweisungen kommen eher zufällig von Leuten, die ein Walkie-Talkie in der Hand haben. Für Müller beginnen die Probleme aber schon damit, dass das Lager im Grunde komplett verkehrt angelegt ist. Vier große Zelte - Informations-, Umzieh-, Kleider- und Medizin-Zelt - stehen in einer Mulde, die mit Wasser voll läuft. Die kleineren Unterkunftszelte ducken sich an einen Hang, ständig in Gefahr, vom Regen fortgespült zu werden. Feste Wege gibt es nicht, mit der Folge, dass die Menschen durch Abfall, Dreck und Schlamm waten müssen. Müller, der ursprünglich dachte, er würde vielleicht Tee und Essen verteilen, schließt sich deshalb einem spontan ins Leben gerufenen Bautrupp an. Der soll auf einem Grundstück oberhalb des Lagers einen Entwässerungsgraben schlagen. Es gerät zur sinnlosen Schinderei, weil kein geeignetes Werkzeug dafür vorhanden ist. Erst Tage später rückt ein Bagger an, der bis dahin in einem benachbarten Lager ungenutzt herumgestanden hatte. Außerdem hat man es versäumt, mit dem Grundstückseigner zu verhandeln, der glücklicherweise ein Einsehen hat.

Hans Müller, ehemaliger Friseur aus München, ist auf eigene Faust nach Lesbos gereist, um dort im Flüchtlingscamp zu helfen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Überhaupt geht es im Lager oft drunter und drüber. Vor allem, wenn der nächste Schwung aus dem Meer gefischter Flüchtlinge ankommt, weil es dann besonders schnell gehen muss. So hat man einmal keine Socken vorrätig und zerschneidet Rettungsfolien als "Wärmedämmung" für die Füße. Kaum ist die Aktion beendet, bringt jemand Strümpfe vorbei.

Während seiner Zeit in Moria sollen eine Frau und ein Kind erfroren sein. Er selbst hat einen Fünfjährigen versorgt, der so steif gefroren war, dass er sich nicht mehr selbst von seinen nassen Klamotten befreien konnte. Nun hat der Münchner also mit eigenen Augen gesehen, was man sich in seiner Heimatstadt trotz aller Medienberichte kaum vorzustellen wagt. Ja, und er konnte helfen, hat eigenes Geld fremden Menschen in die Hand gedrückt. Beeindruckt hat ihn die Selbstlosigkeit der freiwilligen Helfer, die aus aller Welt kamen. Ansonsten aber werde auf Lesbos viel Geld, viel Kraft und viel guter Wille verschwendet, sagt Müller. Für die Politik hat er im Grunde nur noch Verachtung übrig.

© SZ vom 26.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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