Ramersdorf:Aus der Wunschbox in die Wirklichkeit

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Beim Aktionstag "Aktiv gegen Armut" suchen die Akteure von fünf Ramersdorfer Einrichtungen das Gespräch mit Menschen, deren Geld kaum zum Leben reicht. Mit deren Forderungen will man nun die Politiker konfrontieren

Von Jana Sauer, Ramersdorf

Ein Infostand, der mit bunten Wimpeln geschmückt ist: So will Ramersdorf an diesem Tag am Karl-Preis-Platz gegen das Problem wachsender Armut kämpfen. Auf dem Tisch sind verschiedene Kuchen auf Platten arrangiert, daneben steht eine unscheinbare Pappschachtel. Sie ist der Star der Stunde, immer wieder halten Passantinnen und Passanten inne und werfen etwas hinein.

Geld, wäre ein naheliegender Schluss, Geld für diejenigen, um die es heute gehen soll. Um Banknoten handelt es sich nicht, und dennoch sind die Kärtchen viel mehr wert als das Papier, auf dem sie gedruckt sind: Es sind Ideen. Fünf Ramersdorfer Einrichtungen haben sich an diesem Tag zusammengeschlossen, um das Abstrakte greifbar zu machen. Hannah Suttner vom Nachbarschaftstreff Ramersdorf-Süd ist nicht hier, um darüber aufzuklären, dass es in dem Stadtteil Menschen in Not gibt: "Wir wollen heute nicht informieren, die Probleme sind bekannt. Wir wollen Lösungen finden", erklärt die Projektleiterin. Dafür fordern sie und ihre Mitstreiter Vorbeigehende dazu auf, unabhängig vom jeweiligen Einkommen Ideen, Wünsche und Vorschläge zum Umgang mit Armut im Stadtteil zu notieren.

Bekannt sind die Probleme auch einer Frührentnerin, die in der Nähe des Karl-Preis-Platzes lebt. Sie habe neulich eine alte Frau, die ihr häufig auf den Straßen begegne, dabei beobachtet, wie diese Essensreste aus einer Pappschachtel im Abfallbehälter genommen habe. Das habe ihr wehgetan, sagt die Anwohnerin, niemand solle unter solchen Umständen leben müssen. Ihr selbst sind die Sorgen des täglichen Lebens nicht fremd, gerade hat sie große Angst, weil sie dringend Zahnersatz benötigt. "Seit einem Monat esse ich nur Suppe, ich kann nicht mehr kauen. Die Krankenkasse will nicht zahlen", berichtet sie. Eine Freiwillige des Nachbarschaftstreffs mischt sich ein. Sie wolle nicht stören, erklärt sie, aber sie habe wichtige Informationen. Sie reicht der Rentnerin die Broschüre "Günstiger leben in München", herausgegeben vom Sozialreferat der Stadt. Die obere rechte Ecke der Seite mit Informationen zum Thema Kostenübernahme für Zahnersatz hat sie umgeknickt.

Mitten im Viertel: Beim Aktionstag auf dem Karl-Preis-Platz wurde das Problem der wachsenden Armut ins Zentrum gerückt. (Foto: Catherina Hess)

Das hilft der Frau mit den Zahnschmerzen durchaus weiter. Auf der Karte, die sie selbst in die Ideenschachtel geworfen hat, steht unter anderem der Wunsch, man möge den Geringverdienern in den Stadtvierteln mehr Zeit widmen. Dass jemand da ist, der ihnen zuhört, sie vielleicht ab und zu auf Ausflüge einlädt. Vieles könnte schon durch mehr Personal in sozialen Einrichtungen verbessert werden, da ist sie sicher. Das passt zu einer anderen Karte, die schon in der Schachtel verschwunden ist. Eine Rentnerin hat darauf notiert: "Armut ist für mich auch Einsamkeit. Wenn man aufeinander zugeht, kann man so gegen Armut helfen."

Ruth Wassermann grübelt lange darüber, was sie auf ihrer Karte notieren möchte. Sie könne sich glücklich schätzen, dass sie durch ihren früheren Beruf als Altenpflegerin jetzt in einer städtischen GWG-Wohnung leben darf, sagt sie. Dass viele Menschen in ihrer Umgebung auf Sozialwohnungen angewiesen sind, verärgert sie. Wütend ist sie auf viele Arbeitgeber, auch mit der Rentenpolitik ist sie nicht einverstanden. Die Stadt München aber kümmere sich gut um Geringverdiener: "Sonntags bezahle ich im Museum nur einen Euro Eintritt, mit meinem Rentnerticket fahre ich günstig mit öffentlichen Verkehrsmitteln", benennt sie Beispiele. Das Rentnerticket könne vielleicht im Preis ein wenig gesenkt und an den Tarif des Sozialtickets angepasst werden. Am wichtigsten sei ihr aber, über Angebote informiert zu werden, ohne das Internet nutzen zu müssen. Zeitungen, Litfaßsäulen und Plakate würden ihr dabei helfen.

Auf den Ideenkärtchen landen auch Alltagssorgen der Ramersdorfer. Eine Anwohnerin wünscht sich mehr Unterstützung bei der Finanzierung ihrer Medikamente. (Foto: Catherina Hess)

Genau auf diese Art von Hinweisen haben die Engagierten aus den Nachbarschaftstreff gehofft: "Ich bin selbst nicht in der Situation, ich weiß oft nicht, was da aus ganz praktischen Gründen heraus wichtig ist", begründet Hannah Suttner. Die Ergebnisse des Tages sollten nicht nur die Situation dokumentieren, sondern konkrete Veränderungen herbeiführen, wünscht sich Martina Hartmann. Sie ist Geschäftsführerin von "Regsam", des regionalen Netzwerks für soziale Arbeit in München, das den Aktionstag in Ramersdorf in seine Veranstaltungsreihe "Aktiv gegen Armut" aufgenommen hat. Die Ideen wandern aus der Box in einen Rechner und von dort aus auf große Plakate, die abends zum Finale des Aktionstags ausgestellt werden. Danach geht es aber weiter. Sie sollen ihren Weg in die Bezirksausschüsse, das Sozialreferat und den Stadtrat und vielleicht, mit ein wenig Glück, bis in den bayerischen Landtag finden.

Die Broschüre "Günstiger leben in München" liegt im Rathaus, den Stadtteilbüchereien, Sozialbürgerhäusern (SBH) und den Alten- und Service-Zentren (ASZ) aus. Im Internet gibt es sie unter www.muenchen.de (Stichwortsuche: Günstiger leben in München) als PDF.

© SZ vom 19.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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