Pullach:Den Zenit überschritten

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Der Autor und Verleger Bernd Steets arbeitet an der 25. Ausgabe seines "Theateralmanachs". Es wird auch die letzte sein

Von Udo Watter, Pullach

Bernd Steets ist ein kultivierter, älterer Herr, der sich druckreif auszudrücken weiß. Auf die Frage, wie es um die deutsche Theaterlandschaft bestellt sei, antwortet er jedoch ohne bildungsbürgerliche Zurückhaltung: "beschissen." Viele Kommunen müssten sparen, die Theater würden zusammengelegt, verkleinert, manchmal betreffe die Einbuße nur einzelne Sparten, manchmal ganze Theater, besonders in Ostdeutschland. "Das geht zu Lasten des Personals. Auf die Dauer ist das tödlich für die Ensemble-Theater."

Der Pullacher Autor und Verleger muss es wissen. Wie kaum ein anderer hat der 72-Jährige seit vielen Jahrzehnten das Geschehen auf und rund um die Bühnen im gesamten deutschsprachigen Raum im Auge. Seit 1993 gibt der ehemalige Dramaturg den "Theateralmanach" heraus. Es ist ein Standardwerk, das jeweils zu Beginn der Spielzeit einen Überblick über die deutschsprachige Theaterlandschaft liefert, das viele relevante Informationen zu Etats, Personal, Besucherzahlen und anderes Wissenswertes versammelt. Mitte August erscheint die 25. Ausgabe für die Saison 2017/18, das Jubiläumswerk wird auch die letzte Printausgabe sein. "Es rentiert sich nicht mehr", sagt Steets. "Es ist jedes Jahr eine Wahnsinnsarbeit, und inzwischen kann man ja vieles im Internet nachlesen." Steets, in Norddeutschland geboren, aber in München und Bayern aufgewachsen, erledigt zudem alles selber: Er recherchiert, kommentiert, tippt, zeichnet fürs Layout verantwortlich.

In der Blütezeit bis vor sechs, sieben Jahren betrug die Auflage 3000 Stück, und viele Schauspieler, Theaterleute und andere Bühnen-Aficionados nutzten es noch als praktisches Kompendium oder auch für die Jobsuche. In diesem Jahr beträgt die Auflage 1000, künftig wird es die "Topografie der deutschsprachigen Theaterlandschaft" nur noch digital geben (www.editionsmidt.de/Theateralmanach). Einige Leute äußerten zwar ihr Bedauern, dass sie Informationen zu Intendantenwechseln, Etats, Spielplänen, Zuschüssen oder auch kommentierende Einführungen über die Situation in den verschiedenen Bundesländern respektive Österreich und der Schweiz nicht mehr in Buchform werden genießen können. Gleichwohl wirkt Steets, der zu dem Almanach von einem Studenten inspiriert wurde, als er Anfang der Neunziger an der Münchner LMU Seminare über die deutsche Theaterlandschaft gab, nicht allzu sentimental.

Der Pullacher bleibt seiner Passion Theater ja in vielfältiger Form verbunden. In seinem Verlag "Edition Smidt" veröffentlicht er weiterhin Stücke hauptsächlich unbekannterer Bühnen-Autoren: Ziel ist, deren Manuskripte zur Aufführung zu bringen. Dazu gehören auch Bearbeitungen aus eigener Feder. Seine bekannteste ist die Psycho-Groteske "Immer nie am Meer", basierend auf dem gleichnamigen österreichischen Film, die unter anderem vier Jahre lang am Schauspielhaus Hamburg lief. Des weiteren hat Steets, der an der Deutschen Journalistenschule und Theaterwissenschaften an der LMU studierte, dann zwölf Jahre lang als Dramaturg arbeitete, ein Stück über das Leben von Hans Albers verfasst. Und im September wird sein Stück "Marilyn Monroes letztes Band" am Landestheater Dinkelsbühl uraufgeführt.

Der 72-Jährige, der viele Jahre lang auch als Theateragent bei der ZBF, der Künstlervermittlung des Arbeitsamts, arbeitete und in der Szene hervorragend vernetzt ist, probiert sich zudem immer wieder als Übersetzer, etwa südafrikanischer Autoren. Viele eingesandte Manuskripte lehnt er freilich ab. Derzeit verlegt er Stücke von rund 50 Autoren, hauptsächlich unbekanntere Dramatiker, etliche sind auch Schauspieler, die sich als Dichter versuchen. Zu den wenigen Prominenten, die Steets verlegt, gehört Johano Strasser.

Ins Theater selbst geht Steets nicht mehr so oft. Früher, als er noch Agent bei der ZBF war und Schauspielern bei der Jobsuche half, besuchte er etwa 150 Vorstellungen im Jahr. Auch manche von ihm einst verehrte Regisseure wie Peter Stein, Frank Castorf oder Claus Peymann hält er inzwischen nicht mehr für allzu spannend. "Sie haben ihren Zenit überschritten." Szene-relevante Debatten wie die um Matthias Lilienthal und seine ästhetisch-performative Neuausrichtung der Münchner Kammerspiele oder den umstrittenen Intendantenwechsel Castorf/Chris Dercon an der Berliner Volksbühne sieht er aus der Perspektive des konservativen Theatermannes, und mit einer gewissen Gelassenheit. Und obgleich er den Zustand der Theaterlandschaft als suboptimal betrachtet, gibt es für ihn auch positive Zeichen: "Es kommen schon auch immer wieder spannende Regisseure nach." Mancherorts entsteht gegen den Trend sogar Neues: In Reutlingen etwa wird gerade ein Theater neu gebaut.

Den Theateralmanach als Printausgabe gibt es ab Mitte August unter steets@editionsmidt.de.

© SZ vom 12.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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