Prozess:Gericht verurteilt zwei junge Männer zum Lesen

Lesezeit: 1 min

Der Schaden beträgt nur 20 Euro, aber die Strafe soll erziehen. (Foto: Amtsgericht)

Sie hatten in angeheitertem Zustand die Weihnachtsdeko eines Restaurants zerstört. Weil die beiden nicht zum ersten Mal auffielen, landete die Affäre Tannenbaum vor dem Jugendrichter.

Von Stephan Handel

Das mag ein junger Mensch durchaus als Zumutung empfinden: Zur Strafe für sein Fehlverhalten gezwungen zu werden, ein Buch zu lesen - und zwar nicht von überstrengen Eltern, sondern von einem Richter am Amtsgericht. So ging es jetzt zwei Burschen, die einem Dumme-Jungen-Streich zu weit getrieben hatten.

Die Vorfall ereignete sich im Advent des vergangenen Jahres. Die beiden jungen Männer, einer 18, der andere 19 Jahre alt, entdeckten in der Rosenheimer Straße vor einem italienischen Restaurant einen Christbaum - allerdings keine Nordmanntanne oder sonst etwas gewachsenes, sondern einen aus Holzbrettern. Sie fanden es nun lustig, auf die Latten zu klettern und darauf herumzuspringen. Die Latten hielten das auch, nicht aber die Lichterkette, die bei der Aktion kaputtging. Dumm für die beiden Randalierer: Sie bemerkten die Polizeistreife nicht, die das Geschehen beobachtete und schließlich einschritt.

Jugendarrest Stadelheim
:"Lesen ist das Einzige, was ich hier machen kann"

Münchner Studenten wollen straffällig gewordenen Jugendlichen Bücher wieder näher bringen. Der Besuch im Gefängnis lässt sie in eine andere Welt eintauchen.

Reportage von Isabel Bernstein

So landete die Affäre Tannenbaum vor dem Jugendrichter - auch, weil beide Delinquenten zuvor schon weitere Kleinigkeiten auf ihr Schuld-Konto geladen hatten, die dazugehörigen Verfahren waren aber immer ohne Verhandlung eingestellt worden. Irgendwann aber reicht es dem Rechtsstaat, so fanden sie sich nun auf einer Anklagebank wieder. Dabei sagte eine Polizeibeamtin über das Verhalten der Jugendlichen nach der Tat aus: "Die Stimmung bei der Kontrolle war nicht so gut. Es war ein respektloser Umgang. Die beiden waren eher angeheitert als betrunken."

Wie es das Wesen des Jugendstrafrechts ist, ging es bei der Verurteilung weniger um Strafe, sondern mehr um Erziehung: Der angerichtete Schaden war nicht so groß, gerade mal 20 Euro war die zerstörte Lichterkette wert. Die beiden Burschen müssen aber persönlich bei dem geschädigten Wirt erscheinen und ihre jeweils zehn Euro abliefern. Darüber hinaus wies der Jugendrichter sie an, 25 Stunden am Leseprojekt "Kontext" teilzunehmen. Dabei müssen jugendliche Delinquenten Bücher lesen und mit Pädagogen über deren Inhalte und ihre persönlichen Konsequenzen aus der Lektüre sprechen.

Das Projekt ist an der Hochschule für angewandte Wissenschaften angesiedelt und soll nach eigenen Worten "die Projektteilnehmer zum Nachdenken über die Lektüreinhalte und sich selbst anregen, ihr Interesse an Büchern wecken und ihre Bildung in einem umfassenden Sinne fördern". Denn belesene Jugendliche, so die Hoffnung, neigen deutlich weniger dazu, auf der Straße aufgestellte Latten-Christbäume zu demolieren. Das Urteil ist rechtskräftig. (AZ: 1035 Ds 470 Js 111655/18 jug)

© SZ vom 19.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: