Prozess:Mann rempelt 87-Jährigen auf Bahnsteig um - das Opfer stirbt

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  • Bei einer Auseinandersetzung auf einem vollen U-Bahnsteig in München soll ein heute 37-Jähriger einen 87-Jährigen umgestoßen haben. Das Opfer starb zweieinhalb Monate später.
  • Nun steht der mutmaßliche Täter in München vor Gericht. Er sagt, er wolle sich entschuldigen und bedaure den Tod des 87-Jährigen zutiefst.
  • An den Vorfall könne er sich kaum erinnern, weil er seit Jahren drogenabhängig sei.

Von Thomas Anlauf

Der Bahnsteig am Marienplatz ist voller Menschen an jenem 3. Juni 2016. Als die U-Bahn in Richtung Moosach um 13.43 Uhr einfährt, kommt es zum Gedränge. Ein 87-jähriger Mann soll Martin S. dabei angerempelt haben. Der reagiert offenbar handgreiflich - was tödliche Folgen hat: Der heute 37-jährige Münchner, der seit Donnerstag vor Gericht steht, soll den Rentner zur Seite gestoßen haben. Der Mann stürzte, schlug mit dem Kopf auf und starb zweieinhalb Monate später laut Staatsanwaltschaft an den Folgen des Sturzes.

Der Angeklagte hält zum Prozessauftakt vor dem Landgericht München I eine Aktenmappe vors Gesicht, als ihn Fotografen ablichten. S. ist angeklagt wegen Körperverletzung mit Todesfolge. Der gebürtige Münchner sagt später, er wolle sich entschuldigen und bedaure den Tod des 87-Jährigen zutiefst. "Das macht mir schwer zu schaffen". Zum Tathergang will er zunächst keine Angaben machen, sein Anwalt sagt, er habe nur noch schemenhafte Erinnerungen. S. sei "seit Jahren abhängig von Betäubungsmitteln".

Das Leben von Martin S. klingt wie ein dramatischer Drogenrausch. Mit 15 Jahren gerät er nach eigenen Angaben "auf die schiefe Bahn". Er beginnt, Marihuana zu rauchen, die Schule interessiert ihn nicht, dabei versichert ihm der Vorsitzende Richter "extrem hohe" Intelligenzwerte, wie ein Gutachter festgestellt hat. Den Quali macht er mit Leichtigkeit, auch wenn er in der Schule häufig fehlt und lieber mit seiner Clique durch die Gegend zieht. Er ist begeisterter Fußballer und auch im Verein aktiv, doch schon als 12-Jähriger muss er Tabletten nehmen gegen ADHS.

Marienplatz
:U-Bahn-Rempler nach tödlichem Sturz eines Rentners in Untersuchungshaft

Der 36-Jähriger hatte den 87-Jährigen im Gedrängel am U-Bahnsteig Marienplatz umgestoßen. Die Polizei geht von Vorsatz aus.

Von Martin Bernstein

Er sei immer unterwegs gewesen, hibbelig in dieser Zeit, erzählt S. vor Gericht. Dann muss sein Vater mit seiner Firma Konkurs anmelden, von einem Tag auf den anderen zieht die Familie um nach München, ohne dem jungen Martin zuvor davon zu erzählen, sagt S. am Donnerstag. Der lange Absturz von S. begann.

Mit 16 Jahren nimmt er die Partydroge Ecstasy regelmäßig und finanziert die Pillen mit Diebstählen und Dealen. Eine Lehre macht er fast nebenbei, geht aber meist nur arbeiten, wenn er genug unter Drogen stand. 1999, kurz vor dem Ende seiner Lehre, schmeißt er alles hin. Aber da sind immer zwei Seiten in ihm, die Drogen und der Wille, etwas Sinnvolles zu tun. Im Jahr darauf beginnt er als Rettungssanitäter zu arbeiten, erst ehrenamtlich, dann hauptberuflich. Bis 2002, das ist sein letzter Job.

Zu dieser Zeit ist er bereits mit seiner langjährigen Freundin zusammen, mit der S. sogar eine neunjährige Tochter hat. 17 Jahre lang hält die Beziehung, bis ihn die Partnerin vor die Wahl stellt: Drogen oder Familie. Die Sucht gewinnt.

S. nimmt alles Mögliche, Tabletten gegen Angstzustände, Methadon, Psychopharmaka, Valium, Crystal Meth. Er ist deshalb zwei Jahre in einer Entziehungsanstalt, auch im Gefängnis sitzt er wegen mehrerer Delikte. Dann findet er wieder eine Freundin, bei der er auch wohnt. Mit ihr ist er am 3. Juni 2016 mit der U-Bahn unterwegs, als es zu der folgenschweren Begegnung mit dem 87-Jährigen kommt.

Am Donnerstag schilderten mehrere Zeugen, dass S. nach dem Sturz des Rentners offenbar selbst bestürzt war von dem, was geschehen war. Einer Zeugin zufolge soll er gesagt haben, er habe gar nicht gewusst, wie das passiert sei. Er soll den Rentner beim Einsteigen mit dem Arm beiseite gewischt haben, doch danach hat er angeblich den Gestürzten gestützt und ihn in Richtung Sitzbänke gebracht. Als er dann laut Zeugen wieder in die U-Bahn steigen wollte, hielt ihn ein Passant davon ab. Aggressiv wirkte er auf keinen der Zeugen. Der Prozess dauert an.

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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