Prozess:Gutachter zweifelt an Todesursache

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Vier Experten der Verteidigung sollen angeklagten Vater entlasten

Von Imke Plesch

Hat Giovanni S. seine Tochter, die sechs Wochen alte Alessia, im Oktober 2017 zu Tode geschüttelt? Um diese Frage geht es seit November vor der ersten großen Schwurgerichtskammer am Landgericht München I. Als die Mutter des Kindes kurz im Badezimmer war, soll der Angeklagte nach Ansicht der Staatsanwaltschaft das weinende Kind so geschüttelt haben, dass es aufhörte zu atmen. Trotz Wiederbelebungsversuchen durch die Eltern und den herbeigerufenen Rettungsdienst starb das Kind etwa dreizehn Stunden später im Krankenhaus.

Die Verteidiger des 33-jährigen Angeklagten, Peter Guttmann und Antonio Agosta, werfen den Rechtsmedizinern vor, dass diese in ihrem Gutachten andere Todesursachen wie einen plötzlichen Kindstod oder eventuelle Vorerkrankungen nicht ausgeschlossen hätten. Deshalb haben sie nun selbst vier Experten aus ganz Deutschland beauftragt.

Der erste von ihnen, Walter Joachim Schulz-Schaeffer, Neuropathologe an der Universitätsklinik des Saarlandes, versuchte am Montag darzulegen, dass aus den rechtsmedizinischen Unterlagen nicht eindeutig hervorgehe, dass Alessia an einem von Giovanni S. innerhalb weniger Minuten verursachten Schütteltrauma starb. "Dass es bereits unmittelbar nach dem Schütteln zu einem Atemstillstand kommt, ist sehr selten", erklärte Schulz-Schaeffer. Als die Mutter aus dem Badezimmer kam, habe das Kind aber bereits nicht mehr geatmet. Sollte dieser Zustand durch das Schütteln durch den Vater hervorgerufen worden sein, müssten "massive axonale Schäden" vorliegen. Das bedeute, dass durch "erhebliche physische Kräfte" der Kopf des Säuglings so stark hin und her geschüttelt werde, dass ganze Bündel von Nervenfasern im Atemzentrum reißen, erklärt Schulz-Schaeffer. Solche Bündel von zerrissenen Nervenfasern seien bei der Untersuchung des Gewebes aber nicht festgestellt worden. Außerdem habe das Kind auch keine Verletzungen der oberen Halswirbel und keine Griff- oder Haltespuren aufgewiesen.

"Was könnte dann zum Tod von Alessia geführt haben?", will der Vorsitzende Richter Michael Höhne wissen. Da will sich der Gutachter, der selbst keine medizinischen Untersuchungen vorgenommen hat, sondern sich auf die Unterlagen der Rechtsmedizin stützt, nicht festlegen. "Das ist reine Spekulation." Das festgestellte subdurale Hämatom, also die Hirnblutung, könne zum Beispiel bei der Geburt entstanden sein, oder aber durch Vorfälle, die vor jenem Tag im Oktober 2017 lagen. Dass die Eltern angaben, Alessia habe an den Tagen vor dem Vorfall mehr geweint als sonst, könnte ein Indiz für eine Vorerkrankung sein. Der Prozess wird am Donnerstag fortgesetzt. Bis dahin entscheidet das Gericht, wer von den weiteren Gutachtern dann gehört werden soll.

© SZ vom 12.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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