Pro Frühlingsfest:Wiesn mit menschlichem Maß

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Für wahre Volksfestfreunde: Das Frühlingsfest auf der Theresienwiese. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Normale Zelte, keine Designer-Dirndl und am Autoscooter die Westend-Buben: Das Frühlingsfest ist ein echtes Volksfest und genau deshalb liebenswert.

Ein Kommentar von Franz Kotteder

Man hat es nicht leicht in München, wenn man bloß ein einfaches Volksfest ist. Da gibt es in der Verwandtschaft ja schon jene liebenswerte Alte, die Auer Dult, die dreimal im Jahr am Mariahilfplatz Hof hält und die alle gern haben, weil sie ein bisserl schrullig daherkommt, mit ihrem billigen Geschirr und den warmen Socken, dem ganzen alten Tand. Und dann gibt es, schlimmer noch, den fett herausgefressenen Protz von Oktoberfest, der sich jeden Herbst breitarschig auf die Theresienwiese vor die Bavaria hinhockt und neben sich nichts anderes mehr gelten lässt. Wie soll man gegen eine solche Verwandtschaft bloß anstinken? Da kann man doch nur den Kürzeren ziehen - noch dazu, wenn man denselben Festplatz bespielt wie der steinreiche Verwandte.

Trotzdem ist das Münchner Frühlingsfest ein ausgesprochen schönes Volksfest. Nicht nur, weil es nicht so aufs Blech haut wie die Wiesn, von wegen "größtes Volksfest der Welt". Nein, das Frühlingsfest, das es heuer seit 50 Jahren gibt und das folgerichtig zum 51. Mal stattfindet, es hat einige recht eigene Qualitäten, für die man es einfach lieben muss.

Da ist einmal eine gewisse Übersichtlichkeit. Statt 16 Bierzelten, für die sich die Stadt immer aberwitzigere Regelungen ausdenken muss, damit man dort einen Platz bekommt, gibt es nur deren zwei, die aber längst nicht so groß sind wie die auf der Wiesn. Selbst das Frühlingsfest-Hippodrom des früheren Wiesnwirts Sepp Krätz, das jetzt von seiner Frau und seiner Schwester betrieben wird, ist nur eine sehr vereinfachte Miniatur-Kopie des Originals und sieht so aus, als hätte es eine strenge Abmagerungskur hinter sich.

Was das Frühlingsfest auszeichnet

Und die Schaustellerei? Zwei große, breite Gassen - damit hat sich die Sache. Links und rechts jeweils eher traditionelle Fahrgeschäfte: Riesenrad, Geisterbahn und Autoscooter statt PS- und Tempo-Geprotze und freiem Fall mit Bandscheibenstaucher nebst Kotzgarantie. Klar, die Ansager vor den Fahrgeschäften haben ihre Superlative schon auch drauf. Aber hier sind sie eben genau so großsprecherisch, wie sie auf einem Volksfestplatz sein müssen. Die Wiesn ist eine Materialschlacht. Auf dem Frühlingsfest hingegen ist Sprüchemacherei ganz einfach nötig, um selbst das Dosenwerfen zur Sensation zu machen.

Contra Frühlingsfest
:Rummel ohne Reiz

Billigdirndl, schlechtes Essen und Vorstadt-Teenies auf der Balz: Das Frühlingsfest ist eine schlechte Kopie der Wiesn - eine Provinzdult halt.

Ein Kommentar von Andreas Schubert

Selbst das Publikum scheint ein wenig anders zu sein als beim großen Bruder im Herbst. Gewiss, es kommen auch Reisebusse, aber nicht aus Frankfurt oder Essen, sondern mehr aus Ebersberg und Miesbach. Auf dem Platz gibt es entschieden weniger Almrausch-, Lola-Paltinger- oder sonstige Designer-Dirndl; die stammen eher von Lidl oder Kik, bestenfalls noch aus dem Schlussverkauf vom Angermaier, wenn die neue Kollektion ansteht und das Lager geräumt werden muss.

Der besondere Charme

Vor allem nachmittags ist das Gelände fest in der Hand der Jugend von der benachbarten Schwanthalerhöhe. Die hat nicht selten einen soliden Migrationshintergrund, und so sammeln sich zum Beispiel coole Türkenbuben vor dem Autoscooter und zelebrieren voller Stolz den eigenen Westend-Slang: "Wos heißt da Dönerdepp, du Opfer? Kauf dir erst mal Tüte Deutsch, hey!" Wenn sie Glück haben, ernten sie dafür einen bewundernden Blick von der Seite. Der kommt aus den Augen einer bauchnabelfreien, vermeintlichen Latino-Schönheit, die es faustdick auf der Haut hat. Die Schminke nämlich.

Krätz-Zelt auf dem Frühlingsfest
:Schausteller wollen Hippodrom halten

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Von Thomas Schmidt

Ja, das Frühlingsfest ist vielleicht eine Wiesn mit menschlichem Maß. Seinen Bierzeltkapellen sieht man an, dass ihre ehrbaren Unterhaltungsmusiker oft ein langes, aufreibendes Unterhaltungsmusikerdasein hinter sich haben, und wenn die Champions League spielt, dann wird halt die Champions League übertragen, da gibt's kein Pardon. Man stelle sich das auf der Wiesn vor!

Mit all dem kann man vielleicht keine Promis und keine Australier oder Italiener anlocken, schon wahr. Aber gerade das verleiht dem Frühlingsfest einen ganz eigenen Charme. Auf seine Art ist es einfach eine berückend schöne Vorstadtpflanze.

© SZ vom 16.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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