Mehr als 4000 Wohnungseinbrüche verzeichnete das Polizeipräsidium München im Jahr 1986, die Statistik für 2015 weist gerade einmal 1108 auf. Im vergangenen Jahr gab es bis Oktober 965 Einbrüche, 28 mehr als im gleichen Zeitraum des Vorjahrs - die Schadenssumme betrug 4,5 Millionen Euro. Mit der langfristigen Entwicklung könnte die Polizei als eigentlich ganz zufrieden sein, wäre da nicht dieser "Peak", wie Kriminalhauptkommissar Arno Helfrich die etwas ungewöhnliche Entwicklung nennt: 1426 Wohnungseinbrüche im Jahr 2014, nachdem die Häufigkeit in der Stadt 2010 mit 798 Fällen auf einem Tiefstand war. Helfrich kann sich diese Steigerung nicht so recht erklären, nur annehmen, dass organisierte Banden tätig sind.
Dass die Fallzahlen 2015 dann wieder um fast ein Viertel zurückgingen, führt die Polizei auch auf ihre Präventionsarbeit zurück. Auf 100 000 Einwohner kommen in München 78 Einbruchsdelikte. In Köln und in Hamburg liegt diese Zahl mit 489 beziehungsweise 511 deutlich höher. Prävention und Aufklärung erfordern zwar erhöhten Aufwand, doch der lohnt sich, wie ein Blick in die bayerische Statistik zeigt. Auch landesweit gab es nämlich mit 12 984 Wohnungseinbrüchen neun Prozent weniger als 2014. Der dabei entstandene Schaden in Höhe von 23,8 Millionen Euro lag um fast zehn Millionen unter der Schadenssumme des Vorjahrs (33,3 Millionen Euro). Und die 9893 Festnahmen nach Wohnungseinbrüchen in Bayern bedeuteten sogar eine Steigerung der polizeilichen Erfolgsquote um 41,5 Prozent.
Kriminalität:Sieben Mythen über den Schutz vor Einbrechern
Einbrecher kommen am liebsten nachts und suchen sich bestimmt keine Wohnung unter dem Dach aus? Falsch.
Trotzdem ist die Aufklärungsquote bei Wohnungseinbrüchen gering. Während sie bei allen kriminellen Delikten insgesamt in der Stadt bei 60 Prozent liegt, konnten die Münchner Ermittler gerade einmal 15,9 Prozent der Wohnungseinbrüche aufklären. Ein schwacher Trost ist es, dass diese Quote in anderen deutschen Großstädten sogar nur bei sieben Prozent liegt. Einen Hoffnungsschimmer sieht die Polizei in der Tatsache, dass es 2015 in München in gut 47 Prozent der Fälle bei versuchten Einbrüchen blieb: Das heißt, die Täter schafften es nicht, in die Wohnung einzudringen, weil die Sicherheitsmaßnahmen griffen oder sie gestört wurden.
Dass ein Teil der Wohnungseinbruchdiebstähle nach dem Gesetz bisher nur als minderschwere Fälle bestraft werden, das will das bayerische Kabinett nicht länger hinnehmen. Es setzt auf Abschreckung und will im Bundesrat einen entsprechenden Gesetzentwurf einbringen. In vielen Fällen werde bisher zu wenig berücksichtigt, dass solche Einbrüche für die Opfer auch psychische Folgen haben. Zum anderen soll durch die Gesetzesänderung auch die Aufklärung von Wohnungseinbrüchen erleichtert werden, indem auch sogenannte Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen erlaubt werden.
Beim Nachbarn ist vor kurzem eingebrochen worden. Jetzt hat man Angst und will wissen, wie man sich schützen kann. Solche Anrufe gehen viele ein im Kommissariat für Prävention und Opferschutz der Münchner Polizei. 20 Beamte sind dort tätig, "allein fünf für die Beratung vor Ort", wie Kommissariatsleiter Arno Helfrich stolz anmerkt. Doch die kommen kaum nach bei den vielen Anfragen. Mit bis zu sieben Wochen Wartezeit müssen Interessenten rechnen, wenn sie sich in ihrer Wohnung oder ihrem Haus in Sachen Einbruchschutz kompetent von der Polizei beaten lassen wollen. Die Beratung sei kostenlos, muss Helfrich dann den Anrufern immer wieder versichern.
Prävention ist Aufgabe der Polizei, dieses Engagement sei auch politisch gewollt, betont Helfrich. In München mit seinen 1,5 Millionen Einwohnern und etwa 810 000 Privathaushalten hat sein Kommissariat da gut zu tun, zumal sich auch Firmen beraten lassen. "Ich wundere mich immer, wie wenig die Leute wissen", sagt Helfrich, auch die Sorglosigkeit sei manchmal erstaunlich. Zur Einbruchsbilanz eines Wochenendes im Dezember gehöre beispielsweise eine Leiter im Garten nebst überhoher Hecke, die den Einbrecher praktisch zum Einsteigen über die gekippte Balkontür eingeladen hätten. Es gehöre dazu aber auch der Wachhund, der mit der Familie oben im Wohnzimmer saß, ohne anzuschlagen, während im Erdgeschoss die Täter nach Beute suchten.
Bei der konkreten Beratung vor Ort suchen die Beamten zuerst nach den Schwachstellen. "Sie müssen das so sehen wie ein Einbrecher", umschreibt Helfrich diese Methode. Anschließend gibt es Tipps und Ratschläge, wie die Wohnung einbruchssicher gemacht werden kann. Aus Fragebogenaktionen weiß die Polizei, dass 80 Prozent der Beratenen anschließend in die Sicherheit investiert haben. Um die Bevölkerung zu sensibilisieren, informiert die Polizei auch in der Straßenbahn, in den U-Bahnen, auf Messen und Wochenmärkten. Sie hat dafür sogar ein eigenes rollendes Sicherheitsmobil, "Rosi" genannt.
Jeder müsse sich fragen, was ihm seine Sicherheit wert sei. Denn ein Einbruch bedeute meist nicht nur materiellen Schaden, weiß der Beamte. Kinder und auch ganze Familien seien danach "völlig neben der Spur", weil ein Unbekannter in den privatesten Bereich eingedrungen sei. Deshalb sei der Opferschutz wichtig. Man berate die Betroffenen und nenne ihnen auch die entsprechenden Anlaufstellen zur weiteren Betreuung.
Oft reicht schon ein Schraubenzieher oder auch eine alte Fahrradspeiche, und schon ist der Einbrecher in der Wohnung. Falls er überhaupt auf Hindernisse trifft. Denn die Leute sind oft leichtsinnig: Auf dem Land vor allem werden Eingangstüren immer noch offen gelassen. Auch gekippte Fenster oder Terrassentüren machen das Eindringen leicht. Und der im Blumentopf neben der Eingangstür versteckte Schüssel ist schon gar keine gute Idee. Auch wenn durch die nicht verhangenen Fenster in der Wohnung Gegenstände wie Handys oder Laptops zu sehen sind, gleicht das einer Einladung für Einbrecher.
Alles abzuschließen, das allein reicht oft nicht: "Eine normale Terrassentür ist in zehn Sekunden auf", sagt Kommissariatsleiter Arno Helfrich. Eingangstüren mit einem Normalschloss, das nur zuschnappt, seien für den "Fachmann" kein Problem: "Da meinen Sie, der sperrt die Tür auf," sagt der Präventionsspezialist der Polizei. Oft seien die Türblätter vor allem bei Wohnungen in Mehrfamilienhäusern auch so schwach, dass schon ein fester Tritt genüge. Mit Kampagnen und Broschüren versucht die Polizei die Bevölkerung in Sachen Einbruchsicherheit zu sensibilisieren. Das Thema finde inzwischen allgemeine Aufmerksamkeit, doch die entsprechende technische Ausrüstung sei oft ein finanzielles Problem, weiß Helfrich. Denn Sicherheit kostet, egal ob zusätzliche Riegel, Schrauben, ein neues Schloss oder gar eine elektronische Alarmanlage.
Das Landeskriminalamt hat eine ganze Liste mit sogenannten "einbruchshemmenden Produkten" zusammengestellt. Dort können Hersteller ihre Waren auch entsprechend zertifizieren lassen. In Helfrichs Kommissariat ist eine kleine Ausstellung aufgebaut, in der alles zu finden ist, was Einbrüche verhindern soll: vom tonnenschweren Tresor bis zur Metallplattensicherung, von der Pilzkopfschraube bis zur elektronischen Schließanlage, die nur auf Fingerabdrücke reagiert. Helfrich kann nicht verstehen, dass sich die Industrie in Deutschland in Sachen Einbruchschutz keine Normen gibt. Er führt als Beispiel Holland an, wo alle Fenster mit den Pilzkopfschrauben ausgestattet würden, die ein einfaches Aufhebeln verhindern.
Die Investition in zertifizierte Sicherheit rentiert sich in jedem Fall: So registrierte die Münchner Polizei zuletzt 47 Prozent Einbrüche, bei denen es nur beim Versuch blieb. Denn jedes Hindernis kostet den Einbrecher Zeit, und die hat er nicht.
Precobs heißt der unsichtbare Kollege, der die Polizei auf bevorstehende Einbrüche aufmerksam machen soll. Der Name steht für "Pre Crime Observation System" - eine Prognosesoftware, die mit Daten vergangener Einbrüche und verdächtiger Wahrnehmungen gespeist wird. Sie soll mit "hoher Wahrscheinlichkeit" Zeit und Gegend künftiger Wohnungseinbrüche vorhersagen können, hieß es in diesem Herbst bei einer Pressekonferenz des Münchner Polizeipräsidiums. Wichtig sind genügend Daten und gute Algorithmen, die aus statistischen Berechnungen gewonnen werden.
Im "Vorgangsverwaltungssystem" speichert die Polizei jeden Einbruch der vergangenen fünf Jahre mit genauem Ort und anderen Daten: Ob der Tatort eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus war oder ein Einfamilienhaus, ob der Täter "hebelte" oder "einstieg". Wird ein neuer Einbruch gemeldet, den die Software als Teil einer möglichen Serie erkennt, löst der Computer Alarm aus. Die Beamten bekommen eine Mail mit Karte und Hinweisen. Precobs zeigt auf Quadraten von 250 mal 250 Metern entsprechend der statistischen Wahrscheinlichkeit, dass es in der Gegend innerhalb eines bestimmten Tages zu einem Einbruch kommt. Rote Gebiete sind besonders gefährdet.
Die Fahnder wissen, dass professionelle Täter vor jedem Einbruch eine Art "Kosten-Nutzen-Rechnung" aufstellen. "Ausbaldowern" nennt das Kriminalhauptkommissar Arno Helfrich. Darin sind Muster zu erkennen, die sich der Computer zunutze macht und quasi eine "Gegenrechnung" aufstellt. Precobs zeigt der Polizei, wann und wo sie am dringendsten benötigt wird. Dann sind auch Personen- und Autokontrollen möglich. Das könne zwar "Zeitverzögerungen für die Bürger" bedeuten, sagt Polizeivizepräsident Werner Feiler, trage jedoch zu ihrem Schutz bei.
In Zürich ging die Zahl der Einbrüche, seit die Polizei dort mit Precobs arbeitet, um die Hälfte zurück. Sich auf den elektronischen Kollegen allein zu verlassen, reicht der Polizei nicht. Der führt laut Helfrich zwar zu einem "Verdrängungseffekt, er ist aber kein Allheilmittel".
"Da müssen Sie mal sehen, wie schnell die Straße blau wird" - so beschreibt Arno Helfrich einen Einsatz der Münchner Polizei, wenn sie die Meldung "Soeben Einbruch in... " oder "Verdacht auf Einbruch in ..." erreicht. München habe da verglichen mit anderen Regionen zum Glück eine sehr hohe Polizeidichte, sagt der Erste Kriminalhauptkommissar. So habe man erst im Dezember vier Einbrecher festnehmen können, weil einer aufmerksamen Frau in Milbertshofen Leute im Garten des Nachbarn aufgefallen waren, "die nicht dorthin gehören". Die Frau habe sofort die Polizei angerufen, die Beamten seien dann bei einer Straßenkontrolle auf ein Auto mit den Verdächtigen gestoßen. Als die Polizei deren Hotelzimmer durchsuchte, fand sie dort reichlich Diebesgut, das aus Wohnungseinbrüchen in München stammte.
Wenn man etwas Verdächtiges wahrnehme, etwa Leute, die sich seltsam benehmen, die Strahlen einer Taschenlampe im Nachbarhaus oder Geräusche wie das Klirren von Fensterscheiben, dann sei Zurückhaltung verkehrt, sagt Helfrich. Lieber einmal zu viel bei der Polizei anrufen, als einmal zu wenig, lautet deshalb sein Rat. Wenn nach einem Einbruch die ermittelnden Kollegen die Nachbarn befragen, zeige sich immer wieder, dass denen sehr wohl vorher etwas aufgefallen war, hat Helfrich festgestellt. Leider würden solche Wahrnehmungen dann aber oft nicht ernst genommen, oder die Leute verzichteten aus Bequemlichkeit oder Scheu auf den Anruf bei der Polizei.
2016 konnte die Münchner Polizei an die 70 Einbrecher auf frischer Tat ertappen und festnehmen, weil sie von aufmerksamen Zeugen benachrichtigt wurde. Trotzdem: "Wir würden uns wünschen, dass der Nachbar besser mitmacht", heißt es im Präsidium. Das gilt nicht nur für Beobachtungen: Wenn jemand auf längere Zeit seine Wohnung verlässt, dann können die Nachbarn den Briefkasten leeren, ab und zu die Jalousien bewegen oder das Licht anmachen, den Garten kontrollieren, so dass Einbrecher erst gar nicht auf die Idee kommen, die Wohnung sei verlassen.
Ist der Täter erst einmal verschwunden, wird es schwierig für die Ermittler. Die Aufklärungsquote bei Wohnungseinbrüchen ist niedrig, gerade einmal 15 Prozent im Bereich des Polizeipräsidiums München, anderswo beträgt sie sogar nur sieben oder acht Prozent. Dabei ist der Aufwand bei den Ermittlungen groß. In jedem Fall kommt die Spurensicherung, denn jeder Täter hinterlässt bei einem Einbruch seine ganz eigene Markierung. Es gibt Spuren, die auf das benutzte Werkzeug schließen lassen. Dann kann es reichen, wenn die Beamten bei einer Fahrzeugkontrolle den entsprechenden Schraubenzieher im Kofferraum finden.
Für die unterschiedlichen Einbruchsmethoden hat der Polizeijargon eigene Kategorien: Es gibt den Schlossabdreher, den Kletterer, den Fensterbohrer, den Entriegler und den Hebler. Das sind Täter, die Türen oder Fenster aufhebeln, was in der Mehrheit der Fälle geschieht. Gesucht wird auch nach Fingerabdrücken. Meist tragen die Täter jedoch Handschuhe, doch auch da finden sich typische Spuren. Wichtig sind für die modernen Ermittlungsmethoden vor allem DNA-Spuren.
Auch aus dem, was gestohlen wird, lassen sich Rückschlüsse ziehen. Oft sind es Bargeld, ein bisschen Schmuck, Handys, Laptops, Kameras - alles, was sich schnell und leicht mitnehmen und einfach veräußern lässt.
Aus all dem kann die Polizei ein Profil gewinnen, das sich dann den Tätern zuordnen lässt. Sie zu erwischen, ist trotzdem schwierig. Da gibt es welche, die nur kurz einreisen, nahe an einer Autobahnausfahrt Beute machen, um dann sofort wieder zu verschwinden. Manche mieten sich aber auch für längere Zeit in Hotels ein, die Zimmer nutzen sie als Lager für ihre Beute. Doch die will zu Geld gemacht werden, und da hat die Münchner Polizei eine Besonderheit zu bieten, für die sie andere beneiden: eine eigene Sachfahndertruppe. Die gebe es als Dienststelle in dieser Größe nur in München, sagt Kriminalhauptkommissar Helfrich. Die Sachfahnder klappern Leihhäuser so wie An- und Verkaufsstellen nach Diebesgut ab und untersuchen auch die Angebote auf Auktionsplattformen im Internet.