Politik:Grenzen des Wachstums

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Die Grünen waren die großen Gewinner der Kommunalwahl, auch in vielen Bezirksausschüssen. Doch daraus resultiert nicht unbedingt Gestaltungsmacht - eine Zwischenbilanz aus ausgewählten Stadtbezirken

Von Thomas Kronewiter, Birgit Lotze, Stefan Mühleisen und Anita Naujokat, München

Schaut man auf bundesweite Stimmungsmesser wie den Deutschlandtrend oder das Politbarometer, ist immer von den "langfristigen Grundüberzeugungen" der Menschen die Rede. Wie sich in München und seinen 25 Stadtbezirken im Laufe der vergangenen Jahrzehnte die Grundüberzeugungen gewandelt haben, war in den jüngsten Kommunalwahlen perfekt abzulesen. Hatte es 1996 - damals noch als eine Art Politausrutscher - den ersten grünen Bezirksausschuss-Vorsitzenden überhaupt an der Isar gegeben, konnte man den Siegeszug der Ökopartei fortan im Sechs-Jahres-Rhythmus beobachten. War dieses prestigeträchtige Amt Jahrzehnte aufgeteilt zwischen Rot und Schwarz, hat Grün zumindest aufgeschlossen. 2014 profitierten die Grünen noch vom Newcomer-Effekt und sicherten sich in fünf der 25 Gremien den Vorsitz. 2020 kann man sie als die Wahlsieger ansehen.

Dass die Grünen in der aktuellen Amtsperiode dennoch nur zehn Vorsitzende stellen, obwohl sie in 15 Stadtbezirken die stärkste Fraktion stellen, ist verschiedenen Ursachen zuzuschreiben - der politischen Unerfahrenheit in einigen Gremien ebenso wie übergroßer Kraftmeierei in anderen, nicht zuletzt der Tatsache, dass die Platzhirsche von CSU und SPD die Reihen dicht schlossen, um dem nunmehr ernst zu nehmenden ehemaligen Juniorpartner nicht das Feld zu überlassen. Wo sie nicht die Lokalpolitiker anführen dürfen, versuchen die Grünen nun, aus Unterausschüssen heraus und mit Sacharbeit grüne Politik zu machen. Wie sehr das an Grenzen stößt, zeigt sich vor allem in Gremien, in denen weniger der Kompromiss und die fraktionsübergreifende Sacharbeit als vielmehr Profilierung angesagt waren und sind. In Sendling, wo viele neue Mitglieder im Bezirksausschuss (BA) dazukamen, hat die starke Konzentration auf die Unterausschüsse bislang geklappt, auch wenn noch keine besonders richtungweisenden Vorschläge herauskamen. Für die ist bis dato im Viertel eher die SPD bekannt.

Weit auseinander: die Vollversammlung des Maxvorstädter Bezirksausschusses in der Markuskirche unter Corona-Bedingungen. (Foto: Robert Haas)

Das spektakulärste Ergebnis haben die Grünen im Gremium der Maxvorstadt eingefahren. Mit 48,2 Prozent der Stimmen errangen sie zwölf Sitze - und verpassten nur um ein Mandat die absolute Mehrheit. Das stellte die politische Architektur des BA auf den Kopf. Denn zwei Amtsperioden lang, seit 2008, waren die Grünen in dem Gremium zwar stark vertreten, wurden aber von einem Bündnis aus SPD und CSU beiseite gedrängt - vor allem, was die Posten der Unterausschuss-Vorsitzenden anbelangt. So blieb den Maxvorstädter Grünen über viele Jahre die Oppositionsrolle, und die füllten sie mitunter äußerst verbissen aus. Viel wurde gestritten im "Palais der schlechten Laune", wie der frühere Tagungsort, das Palais Dürckheim an der Türkenstraße, der gereizten Debatten wegen genannt wurde. Zahllos die Beispiele, bei denen die Ökopartei-Vertreter vehement für ihre Anträge warben - und die Abstimmung dann verloren.

Nun treffen sich die Stadtviertelvertreter seit Monaten coronabedingt in der Kirche St. Markus, wo die einstige Opposition qua Wählerwillen quasi als Stadtviertelregierung mandatiert ist; die Öko-Partei hat sich alle Posten mit der SPD geteilt. Eine Art kleiner Revolution also, einerseits. Andererseits agieren die Grünen mitunter weiter wie eine Oppositionsfraktion - und haben seit Mai schon eine ganze Reihe Abstimmungen über ihre Anträge verloren - jedes Mal fehlte eine Stimme. Es dürfte pures Glück gewesen sein, dass der AfD-Vertreter entweder nicht anwesend war oder offenbar sein Potenzial noch nicht erkannt hat, den Grünen für sie äußerst peinliche Abstimmungssiege zu verschaffen - wobei die SPD sichtlich keine Lust hat, allein die Mehrheitsbeschafferin zu geben.

Vorsitzender Sebastian Weisenburger (Untergiesing-Harlaching). (Foto: Robert Haas)

Welch großer Einschnitt die Kommunalwahl war und wie stark die Kräfteverschiebung zwischen Rot und Grün ausgefallen ist, zeigte sich in mehrfacher Hinsicht am westlichen Stadtrand, ein Stammland der CSU. In Aubing-Lochhausen-Langwied musste selbst ein als moderat und ausgleichend geltender Bezirksausschuss-Chef von der stärksten Fraktion - also der CSU - um seine Wiederwahl bangen. Erst die Abspaltung zweier Genossen von der ohnehin nur vierköpfigen SPD-Gruppe und die Formierung der mittlerweile wieder aufgelösten Fraktion der "Jungen Aubinger" half, bei der Postenvergabe die alten Verhältnisse zu zementieren und beließ Sebastian Kriesel (CSU) im Amt. Die gedacht starke grün-rote Achse hielt nicht, der Streit hinterließ zudem im Gefüge der an sich sachorientierten Aubinger, Lochhauser und Langwieder in den ersten Monaten der neuen Amtsperiode tiefe Spuren. Die Stimmung wurde im Zuge der Sacharbeit wieder besser, erst recht, als die beiden abtrünnigen Genossen ihre Ämter niederlegten und aus dem Gremium ausschieden.

Im traditionell ebenfalls schwarzen Allach-Untermenzing hat es die SPD dagegen bei gerade einmal drei Sitzen geschafft, nach fast 30 Jahren den Vorsitz zu ergattern - mithilfe der Stimmen der CSU als stärkster Fraktion. Insgesamt haben SPD und CSU neun Mandate. Auch fiel von den fünf Unterausschüssen nur einer an die fünf Grünen. Dass sie dennoch so gut wie in jeder Sitzung meist mehr zu Wort kommen als SPD und CSU zusammen, liegt vor allem an dem Ausschuss, den sie leiten: Umwelt und Verkehr. Denn Themen aus diesen Bereichen dominieren im 23. Stadtbezirk so gut wie jede Tagesordnung.

Gestaltungswille braucht offenbar auch Routine. Das zeigte sich womöglich am deutlichsten in der Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt, in der die Grünen schon länger stark auftreten. Für sie ist das dicht bebaute In-Viertel fast traditionelles Stammland. In der Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt haben die Grünen bis zur Wahl 2020 gleichwohl auf den BA-Vorsitz verzichtet - zugunsten der Fraktionsschwester Rosa Liste, der LGBTQI-Bewegung, die nur in diesem Stadtteil politisch vertreten ist und deren Ziele ins Rampenlicht gerückt werden sollten. Jetzt, mit starkem Wahlergebnis und unter grünem Vorsitz, zeigen die Grünen deutlich mehr Gestaltungswillen und Durchsetzungsvermögen, ohne dabei die anderen Fraktionen vor den Kopf zu stoßen. Sie dominieren auch die Unterausschüsse, nur je ein Chefposten ging an CSU und SPD. Nach wie vor arbeitet das Gremium in großer Einigkeit zusammen. Fast alle Beschlüsse fallen einstimmig, selbst wenn es um Parkplatzabbau geht.

© SZ vom 29.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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