Pianistin Brigitte Helbig:Auf der Höhe der Zeit

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Fokussiert: die Münchner Pianistin Brigitte Helbig. (Foto: Astrid Ackermann)

Die Pianistin Brigitte Helbig beginnt ihre selbst konzipierte Konzertreihe

Von Rita Argauer, München

Brigitte Helbig hat etwas Strenges, wenn sie am Klavier sitzt, eine zutiefst ernsthafte Ausstrahlung. Ein bisschen erinnert das an das Bild, das man heute von Clara Schumann hat. Und so verkehrt ist der Vergleich der Münchnerin mit der romantischen Pianisten-Ikone auch gar nicht. Immerhin hat Clara Schumann zu ihren Lebzeiten auch eher die damals neue Musik gespielt. Musik, wie die ihres Mannes, die noch nicht populär war und vom Kanonischen weit entfernt.

Die Kompositionen, die Brigitte Helbig spielt, sind aber rein musikalisch gesehen recht weit entfernt von Schumann. Helbig interpretiert etwa das Titelstück auf dem Album "Nexus" des schwedischen Komponisten Henrik Ajax. Oder sie spielt mit dem Ensemble Oktopus, dem Ensemble für zeitgenössische Musik der Musikhochschule München. Oder bei Hartmann21, ebenfalls einem Ensemble für ganz neue Musik, dem junge Münchner Musiker angehören. "Es hat einen großen Reiz, nur die Noten zu haben und sich selbst ein Bild zu machen", erklärt sie. Also keine Mondscheinsonate, deren Melodie so präsent in der Gesellschaft ist, dass das geschriebene Notenbild in der Arbeit mit dem Stück zwangsläufig mit all dem vorher Gehörten konkurrieren muss. Helbig mag es lieber umgekehrt: "Da kann man sehen, welche Ideen man selber zu den Noten hat", sagt sie. Außerdem kommt bei zeitgenössischer Musik der potenzielle Austausch mit den Komponisten dazu. Ebenfalls ein Reiz für Helbig.

So fand die 28-Jährige, die in Schondorf am Ammersee aufgewachsen ist und Klavier spielt, seit sie vier Jahre alt ist, auch zu dieser Musik, die noch immer als eher sperrig gilt. Während des Studiums in München hatte Helbig zwangsläufig Kommilitonen aus den Komponistenklassen kennengelernt. Denn die Instrumentalstudierenden müssen die Musik ihrer Mitstudenten aufführen. Man habe keinen extra Unterricht dafür, erklärt Helbig. Aber es habe ihr Spaß gemacht, diese unmittelbar entstandene Musik zu spielen. So wechselte sie schließlich in die Klavierklasse von Markus Bellheim, weil bei ihm der Fokus mehr auf moderner Musik lag. Nach dem Bachelor machte sie einen Master in Neuer Musik. Den hat sie 2018, inklusive einiger Auslandsaufenthalte in Wien und Paris, abgeschlossen. Und seitdem taucht sie ruhig, gelassen, aber mit musikalischer Sprengkraft an den unterschiedlichsten Stellen des Münchner Musiklebens auf.

Etwa während des Lockdowns. Aus Axel Krölls Schwabinger "Klavier Salon" streamten verschiedene Pianisten Musik in die Wohnzimmer und redeten über ihre Beziehungen zu Schubert oder Chopin. Brigitte Helbig saß dort ebenfalls am Flügel. Schwarz gekleidet wie so oft, streng und beinahe etwas schüchtern wirkte sie. Bis sie die Uraufführung einer kürzlich wiederentdeckten Sonate des beinahe vergessenen jüdischen Komponisten Hans Winterbergs spielte. Musik der Dreißigerjahre des 20. Jahrhunderts: Wild, schmeichelnd und zerborsten. Und mit viel Wucht.

Hans Winterberg widmet sich Helbig auch weiter, sie arbeitet schon an der Produktion einer zweiten CD mit seinen Stücken - ihre erste erschien 2018. Zudem steht nun der Auftakt ihrer eigens konzipierten Konzertreihe im Schwere Reiter an. Da begibt sie sich gleich noch ein Stück weiter in die Nische und bringt ausschließlich Neue, von Frauen komponierte Musik zur Aufführung. Die Stadt München fördert diese Reihe mit einem Stipendium. Drei Konzerte hat sie bisher geplant, akademisch durchdacht, ernsthaft, aber voller Spannung: Unter dem Motto "Transformation" widmet sie sich im ersten Konzert Komponistinnen, die akustisch mit dem Klavierklang arbeiten, ihn verfälschen, präparieren. Im zweiten geht es um Formen, im dritten um Elektronik. Diese stehen aber erst im kommenden Jahr an.

Mit der Interpretation Neuer Musik lässt sich nicht so viel verdienen wie mit den Klassikern, auch wenn die Szene wächst und etwa mit dem Neuen Kollektiv München am kommenden Wochenende noch zwei weitere Konzerte ähnlicher Ausrichtung im Schwere Reiter stattfinden. Helbig aber hat sich ganz bewusst für diesen Weg entschieden. Sie unterrichtet an der Städtischen Sing- und Musikschule, hat damit ein zweites finanzielles Standbein und mag die Arbeit mit Kindern. Die mögen zwar Dissonanzen nicht so gerne - "kulturelle Prägung", glaubt Helbig -, trotzdem bietet sie ihren Schülern neben den Klassikern auch immer wieder neuere Musikstücke an. "Es ist spannend, die Entwicklung von den Schülern zu beobachten", sagt sie, "da kann man sich viel abschauen". Außerdem könne sie da eine neue Generation Musiker und Musikhörer mitprägen - immerhin seien sie das Publikum von morgen.

Starke Frauen - Starke Stücke , Dienstag, 6. Oktober, 20 Uhr, Schwere Reiter, Dachauer Str. 116

© SZ vom 06.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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