Perlach:Idyll in Gefahr

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Die ehemalige Kiesgrube Roth im Truderinger Wald hat sich zu einem Refugium für seltene Tier- und Pflanzenarten entwickelt. Dennoch droht die Verfüllung des Baggersees. Umweltschützer fordern jetzt, dass die Stadt das Gelände übernehmen soll

Von Hubert Grundner, Perlach

Die Kiesgrube Roth ist "eine Oase im Truderinger Wald". An dieser Einschätzung durch das Referat für Stadtplanung und Bauordnung, getroffen im März 2006, hat sich auch zehn Jahre später nichts geändert: Im Arten- und Biotopschutzprogramm der Stadt ist die Kiesgrube als landesweit bedeutsamer Lebensraum ausgewiesen. Und den gelte es unbedingt zu schützen, wie jetzt der Bund Naturschutz und der Verein "Waldperlach, Aktiv, Pragmatisch, Engagiert" (Wape) in einem gemeinsamen Antrag an den Bezirksausschuss (BA) 16 Ramersdorf-Perlach fordern. Konkret wünschen sie die Übernahme des Kiesgruben-Geländes durch die Stadt oder die Stadtwerke München, da dies die einzige Möglichkeit sei, den Erhalt des Gewässers und des hochwertigen Geländes insgesamt zu sichern. Eine abschließende Stellungnahme gab der BA in seiner jüngsten Sitzung noch nicht ab. Stattdessen wandert der Antrag zunächst zur Vorberatung in den Unterausschuss Umwelt.

Das Kieswerk Roth nahm Ende der 1930er Jahre in Waldperlach an der Putzbrunner Straße den Betrieb auf und baute hier bis in die 1980er Jahre Kies ab. Anfang der 1980er Jahre bedurften die Werkanlagen der Modernisierung. Darüber hinaus waren die Kiesvorräte in Waldperlach erschöpft. Aus Gründen des lmmissionsschutzes wurden dem Betrieb die Genehmigungen für den Kiesabbau, für die Wiederverfüllung der entstandenen Gruben und für die errichteten Gebäude entzogen und Abrissverfügungen erlassen. Auch die Verarbeitung von Fremdkies, der an anderer Stelle gewonnen wird, konnte laut Planungsreferat nicht genehmigt werden. Grund war der besondere Schutz des Truderinger Waldes, der als Bannwald, als Wasserschutzgebiet, als regionaler Grünzug und als Landschaftsschutzgebiet große Bedeutung für München hat.

Nach Darstellung des Planungsreferates kam es in der Folge zu einer Vielzahl von Verwaltungsverfahren und -prozessen, zu Streit und Uneinigkeit über die Zukunft des Geländes zwischen Eigentümer und Stadt. Zwischenzeitlich aber eroberte sich die Natur das Kiesgelände zurück. Es bildete sich eine unglaubliche Pflanzenvielfalt, umgeben vom durch Fichtenmonokulturen geprägten Truderinger Wald.

Schließlich fand man eine einvernehmliche Lösung für das Gelände der Kiesgrube Roth. Denn Einigkeit bestand in einem sehr wesentlichen Punkt: Die Kiesgrube sollte als naturnahe Fläche erhalten bleiben und sich ungestört weiter entwickeln: "Die Dynamik, mit der die Natur das ehemalige Abbaugebiet wieder in Besitz genommen hatte, überzeugte alle Beteiligten." Gemeinsam finanzierten Eigentümer und Stadt schließlich einen Pflege- und Entwicklungsplan für das Kiesgelände.

Aus Sicht von Bund Naturschutz und Wape ist das Projekt offenbar ein großer Erfolg. So weisen sie in ihrem Antrag darauf hin, dass der am Wasser vorhandene Röhrichtbestand als besonders wertvoll eingestuft werde. Unter anderem stelle er einen wichtigen Brutbereich für Vögel dar und beherberge einen der wenigen Wuchsorte der Orchidee Sumpf-Stendelwurz. Darüber hinaus brüte am Kiesweiher der gefährdete Zwergtaucher und der in Bayern seltene Teichrohrsänger. Bedeutsam sei auch das Vorkommen von Teichhuhn und Goldammer. Ferner wurde festgestellt, dass die bayernweit gefährdeten und europarechtlich geschützten Laubfrösche den Weiher ebenfalls als Laichgewässer nutzen. Die Aufzählung ließe sich fast beliebig verlängern, um aufzuzeigen, für wie viele weitere gefährdete Tier- und Pflanzenarten die aufgelassene Kiesgrube inzwischen überlebensnotwendig ist.

Allerdings ist dieses Naturparadies gewissen Gefahren ausgesetzt, wie Bund Naturschutz und Wape in ihrem Antrag feststellen: Durch den zunehmenden Freizeitdruck auf das Gelände, insbesondere im östlichen Grubenteil mit offener Wasserfläche, würden sich Konflikte mit dem Trinkwasserschutz ergeben, da das Grundstück in der weiteren Schutzzone des Wasserschutzgebietes Trudering/Putzbrunn liege. Auf Deutsch: Umweltsünder könnten dort einen Störfall verursachen. Falls die Täter nicht ermittelt werden, würde, so die Erklärung von BN und Wape, der Grundstückseigentümer als "Zustandsstörer" haften. Da aber der Grundstückseigentümer das Haftungsrisiko einer Trinkwasserverunreinigung nicht länger tragen wollte, forderte er per Anwalt bereits im August 2013 das Referat für Gesundheit und Umwelt auf, eine wasserrechtliche Anordnung zur Verfüllung des Baggersees zu erlassen.

Als Alternativlösung zu einer Verfüllung käme nur die Einzäunung der offenen Wasserfläche in Frage, so die Antragsteller. Dies würde sowohl das Haftungsrisiko wegen der Trinkwassergefährdung minimieren als auch den wertvollen Fauna- und Florabestand vor Vermüllung und Zerstörung schützen. Dies scheiterte bisher entweder an der baurechtlichen Genehmigungsfähigkeit oder den Kosten und der Wartung. Und die Übernahme des Geländes durch die Stadt samt anschließendem Bau eines Zauns scheiterte nach Meinung von BN und Wape letztlich nur daran, dass keine Bezugsfälle für Biotopflächen geschaffen werden sollten.

Anscheinend sind in der Zwischenzeit Gespräche zwischen Eigentümern und Vertretern der Stadt über den Erwerb des Grundstücks ergebnislos verlaufen. Dabei wäre, wie es im Antrag heißt, aus Sicht des Referats für Gesundheit und Umwelt (RGU) und der Unteren Naturschutzbehörde eine Übernahme des Geländes durch die Stadt oder die Stadtwerke die einzige Möglichkeit, es dauerhaft zu sichern. "Dies könnte jedoch nur durch Initiativen politischer Gremien erreicht werden, da sich das Baureferat andernfalls weigert, einem Erwerb des Grundstücks zuzustimmen."

Sollte also keine Lösung gefunden werden, müsste das RGU im Wasserrechtsverfahren entweder der Verfüllung zustimmen und damit die Zerstörung der wertvollen Flächen einleiten oder die Verfüllung ablehnen und diese Entscheidung verwaltungsgerichtlich überprüfen lassen - mit offenem Ausgang. BN und Wape bitten den Bezirksausschuss daher eindringlich, ihrem Antrag und damit der Übernahme des ehemaligen Kiesgruben-Geländes durch Stadt oder Stadtwerke zuzustimmen. Die Lokalpolitiker sollten ihren Einfluss geltend machen, damit eine zufriedenstellende Lösung gefunden werden könne.

© SZ vom 02.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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