Performance im Blitz Club:Party For One

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Die Performance "K Club" des Berliner Künstlers und Komponisten Ari Benjamin Meyers im Blitz Club

Von Stefan Sommer, München

Vor der Eingangstür hat man in einem Halbkreis Barhocker postiert. Sechs Barhocker für sechs Wartende. Auf sie scheint das Neonlicht eines glühenden K, das wie ein Kruzifix hoch über ihren Köpfen an der Wand hängt. Noch wissen die Sechs nicht, welche Prüfung ihnen bevorsteht. Noch wissen sie nicht, auf was sie sich in dieser Samstagnacht eingelassen haben. Denn schon mit dem Platznehmen auf den Stühlen sind sie Teil des "K Club", einer Performance des Künstlers Ari Benjamin Meyers. Und das ist erst der Anfang.

Der Aufbau ist minimalistisch: Ein DJ, ein Track, ein Dancefloor, ein mutiger Gast

Von namenlosen Damen und Herren mit wissenden Gesichtsausdrücken werden sie einzeln, nacheinander aus dem Vorraum durch die Eingangstür, durch den menschenleeren Blitz Club, vorbei an der verwaisten Bar, entlang der verlassenen Garderobe, bis zu einem schwarzen Vorhang geleitet. Hinter dem Stoff wummert der Bass. Hinter dem Stoff sausen Lichter durch das Dunkel. Dann öffnet sich ein Schlupfloch in die Manege.

"Es wird ein sich nie wiederholender Moment zwischen DJ und Clubbesucher sein, der sich vertraut und unheimlich zugleich anfühlt", verspricht Ari Benjamin Meyers. Der heute in Berlin lebende New Yorker Künstler, Komponist, Dirigent und Pianist geht noch weiter: "Vielleicht verlässt man den K Club hinterher und fragt sich: Was ist gerade eigentlich passiert?". Das Lenbachhaus zeigt seine Performance Freitagabend und Samstagabend in Kooperation mit dem Blitz. Für rund sechzig Aufführungen wandelt sich der Eingangsbereich zum Wartesaal und der Dancefloor des Clubs hinter dem schwarzen Vorhang zum "K Club". Als Teil des Programms von Various Others 2020, der Münchner Initiative zur Zusammenarbeit von Museen, Galerien und Off-Spaces mit internationalen Partnern, will Meyers Arbeit das soziale Protokoll einer Clubnacht hinterfragen. Der Aufbau ist minimalistisch: ein DJ, ein Track, ein Dancefloor, ein mutiger Gast. "In gewisser Weise wird die Performance ein Duett von DJ und Besucher sein", so Meyers.

Für die "Symphony 80", die er zusammen mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks 2017 im Lenbachhaus aufführte, beschäftigte er sich bereits früher mit den Codes und sozialen Spielregeln eines Konzerts. Damals verteilte Meyers Musiker über die Räume des Museums und ließ sie getrennt voneinander, miteinander und gegeneinander spielen und nach einer Choreografie umherwandern. Ist das noch ein Orchester? Ist das überhaupt noch ein Konzert?

Der an der Juilliard ausgebildete Multiinstrumentalist, der Anfang der 2000er Jahre in Berlin mit elektronischer Musik in Berührung kommt, wechselt für seine Versuchsanordnung "K Club" nun den Kontext: 2020 geht es ihm um den Nachtclub, den Nachtclub als Ort unbegrenzter Möglichkeiten. Meyers sagt: "Der Club, als eine Art interdisziplinärer Performance-Raum, hat mich immer fasziniert. Es ist ein Ort, an dem alles passieren kann."

Meyers übertreibt nicht. Die zehn Minuten, die Gast für Gast, mit dem DJ Tiefschwarz und seinem Stück hinter dem schwarzen Vorhang erleben, rütteln an Selbstvertrauen und Selbstverständlichkeiten. Eine Performance wie eine Reinwaschung: als mache man alleine Urlaub in einem fernen Land, schafft der "K Club" einen Raum, um sich für einen Track als Person neu zu erfinden. Der "K Club" zwingt ins Zwiegespräch, fragt, wer man ist, wenn einen niemand kennt, wenn alles, alles, alles erlaubt ist. Träumer oder Tänzer? Zauderer oder Zinker? Schweiger oder Superstar? Ein Mechanismus, der in seiner konfrontativen Grundanordnung und spirituellen Dimension an die Performance "The Artist Is Present" von Marina Abramović 2010 im New Yorker MoMA denken lässt.

Vom kollektiven Liebestaumel im Club bleibt in Corona-Zeiten ein Tête-à-Tête auf Abstand

Das Auf und Ab des Technotracks, die seltsame Einsamkeit des leeren Dancefloors, das Hin und Her von Dunkelheit und Scheinwerferlicht lösen Gewohnheiten auf. Erlerntes Verhalten und erlerntes Vergnügen seziert der "K Club" in seine Einzelteile und erinnert auf dem Höhepunkt an die Euphorie durchtanzter Clubnächte, die heutzutage weit weg scheint: vom Rave, vom vereinten Rausch, vom kollektiven Liebestaumel bleibt ein Tête-à-Tête auf Abstand.

Auch wenn Meyers den "K Club" für eine Ausstellung in Turin 2019 noch zu anderen Zeiten ausgerufen hat, ist die Performance heute gespenstisch aktuell: "Obwohl wir über soziale Distanziertheit reden und diese Aufführung perfekt zu den neuen Hygienevorschriften zu passen scheint, geht es eigentlich mehr um das Zusammenkommen von zwei Menschen, als um das Getrennt-Sein."

© SZ vom 12.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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