Pasinger Fabrik:Große Schicksalsfläche

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Mare nostrum, mare vostrum: Eine Ausstellung zeigt das Mittelmeer als Brücke und Kluft zwischen den Kulturen. Zwölf bildende Künstler und Musikgruppen aus acht Ländern sind dabei

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Vom Wind zerzauste Palmen, Orangenbäumchen in Kübeln, unerschrockene Frühbader, ein Vater, der sein Baby schützend umfängt. Jeden Tag morgens um 7 Uhr steht Doron Polak am Strand von Tel Aviv und schießt dort ein Handy-Foto. Das schickt er dann, versehen mit einer kleinen Poesie- oder Friedensbotschaft, hinaus an die vielen Freunde in aller Welt. Ein künstlerisches Dauerprojekt. Polak, universal vernetzt, ist einer der bedeutendsten Kuratoren Israels. Er ist der Go-to-Guy, wenn es darum geht, die Künstler des Landes - jüdische wie arabische - international bekannt zu machen. Sei es auf der Documenta in Kassel, der Biennale in Venedig, oder - Fallhöhen sind etwas für Ignoranten und Snobs - in den Galerieräumen der Pasinger Fabrik. Vor vier Jahren hat er dort bereits eine großartige Israel-Ausstellung mitkuratiert. Diesmal ist er als Künstler dabei in der Schau "Das Mittelmeer". Der Untertitel erzählt, um was es geht: "Brücke und Kluft zwischen den Kulturen heute und gestern". Und wie ein Reflex drängt sich das Wort "Grab" in diesen Satz hinein, bringt jeder Kopfbilder mit in die Ausstellung von Rettungswesten am Strand, von überfüllten Schlauchbooten und den herumirrenden Schiffen, auf der Suche nach einem sicheren Hafen.

"Wir haben uns entschlossen, im Sommer Ausstellungen zu machen, die mit dem Süden zu tun haben, letztes Jahr hatten wir eine große Schau über Rom hier, nächstes Jahr wird es um die Umgebung von Neapel gehen", sagt Thomas Linsmayer von der Pasinger Fabrik, der die aktuelle Schau zusammen mit dem Venezianer Luigi Viola kuratiert hat. Zwölf bildende Künstlerinnen und Künstler und Musikgruppen aus acht verschiedenen Mittelmeerländern haben die beiden eingeladen, sich mit der "großen Schicksalsfläche" zwischen den Kontinenten Europa, Afrika und Asien auseinanderzusetzen.

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(Foto: Jack Jano)

Metaphern fürs Mittelmeer: (im Uhrzeigersinn) Jack Jano "Coming, going",...

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(Foto: privat)

...Laure Keyrouz "My House in the North of Lebanon beyond the Mediterranean White Sea"...

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(Foto: privat)

...und Nabil Boutros "El-Dorado Nummer 1".

"Flüssige Landschaft" nennt Luigi Viola dieses Meer der Mitte, diese Wiege mächtiger Reiche, Religionen und Philosophien, den Schauplatz verheerender Schlachten, Menschheitsverbrechen, Plünderungen und Vertreibungen, eine Region blühenden Handels, kulturellen Austausches, Touristen-Romantik, Völkerverständigung und gnadenloser Abschottung. Die Ausstellung hätte unter der Schwere dieser ungeheuer aufgeladene Metapher, will man im schlimmen Bild bleiben, schnell kentern können. Doch bleibt sie in der Balance, hält ihren Kurs mit politischer Gradlinigkeit, poetischer Tiefe, Aktualität - und mediterraner Lässigkeit.

Vielleicht hat das damit zu tun, dass Künstler wie Doron Polak am Meer wohnen, mit ihm aufgewachsen sind, oder aber es immer schon als Sehnsuchtsort empfunden haben. Laure Keyrouz etwa, Jahrgang 1979, stammt aus Bischarri, einer Stadt hoch in den Bergen Libanons, die auf eine antike phönizische Siedlung zurückgeht. Vom Haus ihrer Kindheit gab es den Blick auf das Meer, das mit seinem intensiven Blauweiß Ferne verhieß. In die hat es sie letztlich geführt, heute arbeitet Laure Keyrouz als Professorin in Triest. In der Pasinger Schau zeigt sie Skizzen und Hinterglasmalerei libanesischer Landschaften. Sie lässt alte Tourismusplakate davon erzählen, dass es Libanon einst mit mondänen Hotspots wie St. Tropez oder Biarritz aufnehmen konnte, ehe das Land im Bürgerkrieg versank. Wie ein achtlos fallengelassenes Collier liegen schillernde bunte Glassteine auf dem Betonboden der Galerie. Die Künstlerin hat mit diesen vom Meerwasser geschliffenen Fundstücken das Territorium Libanons in seinen immer labilen Grenzen nachgeformt.

Doron Polaks tägliches Handy-Foto vom Strand in Tel Aviv, (Foto: Pasinger Fabrik Mittelmeer /oh)

Nabil Boutros stammt aus Kairo, wo die Wüste nah ist und sich im Norden das Nildelta bis zum Mittelmeer erstreckt. Ist das Gras immer grüner auf der anderen Seite? Mit "El-Dorado Nummer 1", einer Installation in situ, stellt er die Frage nach den Erwartungen, Hoffnungen, womöglich Chimären, die Migranten antreiben. In einer Ecke des großen Galerie-Raums hat er einen Tunnel aus Ästen gebaut, der sich zu einem kleinen Fenster hin verjüngt, vor dem lockend ein goldener Luftballon tanzt. Auf Torfboden kann man darauf zulaufen. "Ist es eine Illusion, dieses goldene Ding jemals zu erreichen?", fragt der Künstler. Erst vor Ort hat auch Jack Jano seine Arbeiten für die Fabrik-Ausstellung kreiert. Zwei Wochen lang hat der Israeli in München gewohnt und hier eine besondere Art von Schiffsbau betrieben. Er formte die Boote aus Kleiderfetzen, die er an den Stränden aufgelesen hat. Zudem aus Ästen oder weißem Papier: Ein Dampfer mit Wänden aus hebräischen Buchstaben trägt mühelos eine orientalische Stadt. Der Künstler, Jahrgang 1950, ist selbst Migrant, aus der alten marokkanischen Königsstadt Fès ist der sephardischer Jude einst nach Israel gekommen. Heute stehen Jack Janos' Haus und Atelier auf einem Hügel, von dem aus er zur einen Seite das Mittelmeer, zur anderen im Tal einen Hain von Olivenbäumen überblickt. Jener Baum, der seit jeher in allen Kulturen des Mittelmeeres als Symbol steht für Hoffnung, Rettung und ein friedliches Miteinander.

"Mediterran - das Mittelmeer als Brücke und Kluft zwischen den Kulturen gestern und heute", bis 11. August, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, Galerien 1 bis 3, Dienstag bis Sonntag, 16 bis 20 Uhr, Eintritt vier Euro, ermäßigt zwei Euro.

© SZ vom 23.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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