Pasing:Stolz und Vorurteil

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Austausch am Abend: Deutsche wie türkische und türkischstämmige Gäste, außerdem Mitglieder des Pasinger Moscheevereins nutzten die Chance, Klischees und Belastungen anzusprechen. (Foto: Florian Peljak)

Türkischstämmige Münchner sehen sich wegen der Situation in ihrem Heimatland Ressentiments ausgesetzt. Von einer "vergifteten Atmosphäre" ist beim interkulturellen Austausch in der Pasinger Moschee die Rede

Von Thomas Kronewiter, Pasing

In der Türkei sei sie eine stolze Deutsche, in Deutschland eine stolze Türkin armenischer Abstammung. So fühlt sich Janet Gourgis, die sich nach eineinhalb Stunden interreligiöser Debatte in der Pasinger Moschee in ihrer Entrüstung nicht mehr bremsen lässt. "Man erwartet von mir, schlecht von meinem Land zu sprechen." Dabei seien die Armenier weder allesamt unterernährt, noch würden ihre Frauen täglich geschlagen; finanziell gehe es vielen gut und sie wohnten auch nicht im hässlichsten Teil der Türkei. In Deutschland aber müsse sie sich, Beschäftigte im medizinischen Sektor, gegenüber Patienten immer wieder rechtfertigen.

Rechtfertigung. Um diesen Begriff kreist ein Großteil der Diskussion an diesem Abend im Moschee-Nebenraum an der Planegger Straße, in dem sich drei Dutzend an interkultureller Begegnung Interessierte bei Schwarztee und Süßigkeiten austauschen. Zustande gekommen ist der Termin auf Betreiben des Migrationsbeirats und des Moscheevereins, SPD-Stadtrat Christian Müller hat die Moderation als Migrationsbeauftragter des Bezirksausschusses Pasing-Obermenzing übernommen. Dass die Gespräche nicht parteipolitisch instrumentalisiert werden, ist ihm wichtig. So ist das Lokalgremium denn auch überfraktionell vertreten.

Rechtfertigung also. Den Druck verspürt nicht nur Janet Gourgis, auch die Kopftuch tragende Unternehmensberaterin bemerkt ihn an ihrem Arbeitsplatz: "Es reicht mir." Levent Ekiz, Mitglied des Münchner Migrationsbeirats, weiß, wovon die Rede ist. "Dieses Treffen dürfte eigentlich nichts Besonderes sein", sagt er. Dass es dies dennoch sei, sieht er als Folge der "Konstellationen der türkischen Politik". SPD-Stadtrat Cumali Naz, seit 30 Jahren in Deutschland, kann sich nicht erinnern, dass je eine so "vergiftete Atmosphäre" geherrscht habe. Migrationsbeirat Levent Ekiz hat auch früher schon Rechtsextremisten erlebt. In der Breite aber wie heute - am Arbeitsplatz, in der Schule, gegenüber dem Vermieter - habe er Ressentiments früher nicht aushalten müssen. Und Ekiz sieht zunehmend Probleme, Zugang zu Politikern zu bekommen.

Dass dieser Zugang nicht selbstverständlich ist, machen den türkischen Gastgebern Vertreter unterschiedlicher Parteien deutlich. "Pasing war schon immer multinational", sagt Christian Herkner, CSU-Fraktionsmitglied im Bezirksausschuss. Wenn es Probleme gebe, müsse man eben auch die entsprechenden Wege gehen, mal ein Schreiben abfassen. Und Cumali Naz warnt vor Abkapselung. "Wenn ich zu den Elternabenden nicht gehe, kann ich mich nicht einmischen." Wer einen eigenen Sportverein gründe, statt in den etablierten zu gehen, dürfe sich ebenso wenig wundern wie der, der sich politisch nicht engagiere. "In Pasing sind alle politischen Parteien als Ortsvereine da." Und dass sich Deutschland durchaus stolz multikulturell präsentiere, zeige schon die Fußball-Nationalmannschaft - mit Spielern wie Özil, Khedira, Boateng.

Mitunter sind es Missverständnisse, die das Miteinander erschweren. Jüngst habe man auf einer Pasinger Wiese ein kulturelles Fest feiern wollen, aber eine Absage vom Kreisverwaltungsreferat erhalten, berichtet Mahmut Sahin, der Vorsitzende des Moscheevereins. Kurz darauf habe die Kirche dort gefeiert. Da muss Moderator Müller leise lachen: "Sie wollten formal korrekt handeln", sagt er. Die anderen hätten wohl einfach gefeiert.

Missverständnis ist das zweite Stichwort des Kennenlern-Abends, an dem viel von Gülen-Bewegung, von Staatspräsident Erdoğan und dem türkisch-islamischen Dachverband Ditib die Rede ist. Gegen Missverständnisse wollen deshalb alle, die gekommen sind, weiter angehen - die Unternehmensberaterin, die junge Frau mit armenischen Wurzeln, ein Gast aus Neuried, die Mitglieder des Moscheevereins und die Politiker, aus Pasing wie aus dem Rathaus.

© SZ vom 27.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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