Der "Maucherit" ist im frischen Bruch rötlich-silberweiß, und nach einiger Zeit tendiert er ins Rötlichgraue bis Graulichkupferrote. Seinen Namen hat das seltene Mineral von Wilhelm Maucher, der es 1912 in Sachsen-Anhalt entdeckte. Maucher, Mineralien?
Wer im Münchner Westen lebt und edle Steine mag, bei dem muss es jetzt klingeln. Er hat dann die Bimmel an der Ladentür vom Pasinger Kristallgarten Maucher im Ohr. Sie ist so ziemlich das einzige Geräusch, das einen ab und an aus der Stille reißt, wenn man sich dort mal wieder beim Durchstöbern der Vitrinen und Schubladenschränken verloren hat. Unter dem Ölporträt von Wilhelm Maucher, der einem mit ruhigen Augen hinter den Gläsern seiner Nickelbrille zu folgen scheint, was aber keineswegs unangenehm ist. In diesen Tagen und Wochen geht die Türklingel im Geschäft öfter als sonst, denn es ist Abverkauf. Die älteste Mineralienhandlung Süddeutschlands schließt nach beinahe 108 Jahren.
Er sehe seinem Großvater gar nicht ähnlich, wehrt Johannes Anneser ab. Doch wie der Inhaber des Kristallgartens so dasteht: das gleiche schüttere Haar, die gleiche runde Kopfform wie der Mann auf dem Gemälde aus dem Jahr 1929. Wilhelm Maucher war um die 50, als er sich porträtieren ließ, uneitel im Arbeitskittel, der Mund umspielt von einem leicht ironischen Lächeln. Er wirkt wie jemand, der mit sich selbst im Reinen ist, zufrieden mit dem, was er für sich und die Seinen erreicht hat. Dass er nur noch wenige Monate zu leben hatte, als er dem Maler Modell saß, ahnte Maucher wohl nicht. Ein Gehirntumor riss ihn 1930 mitten aus dem Leben.
Noch heute findet man in den Vitrinen im Laden Faltschächtelchen mit Mineralien aus der Zeit Wilhelm Mauchers, die Etiketten hat er noch selbst beschriftet. Enkel Johannes Anneser nennt sie eher unsentimental "Ladenhüter", Gott sei Dank hätten Steine kein Verfallsdatum. Er selbst wird heuer 68 Jahre alt. Als junger Mensch, noch nicht dreißig, hatte er das Familienunternehmen von seiner Mutter Elisabeth Maucher-Anneser übernommen. Nun aber sei für ihn der Zeitpunkt gekommen, einen Schlussstrich zu ziehen. "Ich bin noch topfit, ich freue mich auf den Ruhestand", sagt er. Die Steine würden nun verkauft. Die wichtigsten Sammlungen seines Großvaters will er allerdings erst einmal einlagern "für die nächste, die übernächste Generation".
Zu dieser gehört in der Maucher-Anneser-Dynastie seine Nichte Maria-Sophia, die nun während des Schlussverkaufs hin und wieder im Geschäft aushilft. Sie ist 24, studiert Jura und hat vom Urgroßvater den Mund. Obwohl sie selbst andere Pläne für ihr Leben hat, als eine Mineralienhandlung zu führen, stimmt sie der Gedanke traurig, dass es das Geschäft nun bald nicht mehr geben soll. "Schon mit zehn Jahren hat mich mein Vater bei der Oma abgeliefert, sie hat mir die Steine erklärt, ich durfte Etiketten stempeln", erzählt die Studentin, die von der Großmutter auch viel über die bewegte Familiengeschichte erfahren hat.
Eine Geschichte, die so spannend ist, dass sie Heinz-Dieter Götter für den Arbeitskreis Historische Mineralogie in einer Chronik zusammengefasst hat. Auch für den Autor Götter war Elisabeth Maucher-Anneser eine wichtige Quelle. Die Seniorchefin starb 2007 kurz vor ihrem 97. Geburtstag. Noch bis ins hohe Alter hatte sie jeden Tag ein paar Stunden im Geschäft unter dem Porträt ihres Vaters gesessen.
Vom ihr erfuhr Götter viel über den Firmengründer: Schon als kleiner Bub in Winterstetten, Baden-Württemberg, sammelt Wilhelm Kieselsteine. Als einziges von 14 Geschwistern kann er studieren, graduiert an der Königlich-Sächsischen Bergakademie in Freiberg/Sachsen zum Eisenhütten-Ingenieur, später arbeitet und lehrt er dort und übernimmt schließlich in der Stadt im Erzgebirge die Leitung der ältesten Mineralienhandlung der Welt, der Königlich-Sächsischen Mineralienniederlage. In der Welt der Steine bestens vernetzt, macht sich Wilhelm Maucher rasch einen Namen. 1909 wagt er den Schritt in die Selbständigkeit und eröffnet an der Münchner Schellingstraße 73 sein eigenes Unternehmen, das erste Mineralien- und Fossiliengeschäft in Süddeutschland, das demnach den etwas sperrigen Namen "Süddeutsche Mineralien-Zentrale" trägt. Die Standortwahl in der Maxvorstadt zwischen der Uni und TU ist nicht ungeschickt. Mauchers Kunden sind damals, abgesehen von Privatsammlern, vor allem Forschungseinrichtungen, Schulen und Museen.
Götters Chronik ist reich an privaten Briefen mit Wilhelm Mauchers schön geschwungener Handschrift, man findet darin viele bemalte Postkarten, die er an seine vier Kinder geschickt hat, Skizzen von Mineralien, die ihn als talentierten, akribischen Zeichner ausweisen. Der Unternehmer, so ist es auch seinem Enkel Johannes Anneser und seiner Urenkelin Maria-Sophia immer wieder geschildert worden, muss ein gütiger, großzügiger Mensch gewesen sein, der in seiner Wohnung in der Pasinger Kolonie I ein offenes Haus pflegte. Die Faschingsbälle bei Mauchers sollen geradezu berühmt gewesen sein.
Und dann der radikale Schnitt: Groß ist der Schock für Familie und Freunde, als Wilhelm Maucher 1930 mit nur 50 Jahren stirbt. Tochter Elisabeth, deren Berufswunsch es war, Modeschneiderin zu werden, muss sich nun vorzeitig für volljährig erklären lassen, um das Geschäft zu übernehmen, das offiziell allerdings unter dem Namen ihres Bruders Herbert firmiert.
Am Abend des 19. Dezember 1944 trifft die Familie ein weiterer Schock. Das Geschäft an der Schellingstraße wird im Bombenhagel völlig zerstört. Was nicht wie einige Sammlerschränke zuvor ausgelagert wurde, ist verloren. Elisabeth, inzwischen verheiratete Anneser, muss nun von vorne anfangen. Auf Vermittlung eines Schwagers findet sie ein Ausweichquartier in den Kellerräumen des Hauses Gleichmannstraße in Pasing, dem heutigen Standort des "Kristallgartens", wie die Süddeutsche Mineralien-Zentrale irgendwann umgetauft wurde.
Johannes Anneser nennt den Laden das Lebenswerk seiner auch sozial sehr engagierten Mutter, die unter anderem mit der Medaille "München leuchtet" ausgezeichnet worden war. Er selbst hatte nicht von vornherein vor, in den Familienbetrieb einzusteigen, obwohl auch Johannes Anneser zunächst Mineralogie studierte. "Allerdings nur bis zum Vordiplom, dann wurde es mir zu speziell", sagt er. Sukzessive wuchs er in das Geschäft hinein, das er nun seit 1975 führt.
In diesen mehr als vier Jahrzehnten hat Johannes Anneser den Wandel der Branche miterlebt. In der "Glanzzeit" zwischen 1980 und 1990 habe der Kristallgarten mehr als 20 Lieferanten gehabt. Damals habe man vor allem zu Weihnachten und Muttertag sehr viel verdient. Anfang der 2000er-Jahre dann habe die Esoterik-Welle auch den Kristallgarten erfasst. Die Kunden fragen seither nach Heilsteinen, die sie in den akkurat geordneten Schubladen des Geschäfts auch in Fülle finden. "Anfangs haben wir uns noch mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, weil wir ja von der Wissenschaft herkamen."
Doch diese Art von Sammler gebe es heute kaum noch, zudem könne man heute beinahe alles im Internet bestellen. "Eigentlich hat das Geschäft nie sonderlich viel abgeworfen, ich habe es mehr als Hobby und aus Verpflichtung betrieben", sagt Anneser, der durch die Mieteinnahmen des Hauses an der Gleichmannstraße sein Auskommen hat.
Die Türglocke bimmelt, ein Kunde möchte, dass Anneser einen Stein taxiert. Er setzt seine Brille auf und dreht das gute Stück zwischen den Fingern. "Es könnte ein Chalzedon sein, vielleicht sogar gelber Jade." Und jetzt, so mit der Brille, sieht Anneser seinem Großvater wieder sehr ähnlich. Der genießt die Szene, von seinem Porträt herab, wie es scheint, mit stummer Freude.