"Oportet ut scandala eveniant." Für Nicht-Lateiner heißt das übersetzt: "Es muss ja Ärgernis kommen". Demnächst wird dieses Zitat aus dem Matthäus-Evangelium als Wandinstallation an der Fassade des Pasinger Rathauses hängen. Stefano Giuriati hat es sich von Jesus geborgt für seinen Beitrag zum Kunst-Festival "Pasing by", das vom 3. bis 12. Juli im Pasinger Zentrum stattfinden und seitens der Stadt als ein "Novum" postuliert wird. Der Künstler wurde damit zum Propheten. Von den Mitgliedern des Bezirksausschusses gab es jetzt vorab Schelte für dieses städtische Kunstkonzepts im Pasinger Zentrum. "Schrecklich!", hieß es da in dem an sich recht kunstfreudigen Gremium.
Es gehört zum Wesen der Kunst, dass sie die Frage herausfordert: "Ist das Kunst?" Inbrünstige Reibung von Standpunkten ist also üblich. Zumal wenn es um den quasi öffentlichen Raum geht, wie in diesem Fall. Bei den ersten zwei städtischen Kunst-Projekten im Pasinger Zentrum - dem Wolkentunnel im Bahnhof und dem Brunnen bei den Arcaden - hielten sich die Irritationen in Grenzen. Die Auswahl der Kunstkommission im Fall von Teil drei aber treibt die Kritiker aus der Deckung. "Das läuft alles nicht so, wie wir uns das vorgestellt haben", sagte Maria Osterhuber-Völkl jetzt im Bezirksausschuss.
Was haben sich die Stadtteilpolitiker vorgestellt? Kurz gesagt: Kunst als Heilmittel für den Flurschaden, der in den vergangenen Jahren im Pasinger Zentrum angerichtet wurde. Durch die Ansiedlung des Einkaufsgiganten Pasing Arcaden ist dort Vieles aus dem Gleichgewicht gerutscht. Eine Shopping Mall mit ein bisschen Pasing dahinter, wie es ein längst wieder weiter gezogener Stadtteilmanager mal formulierte. Kunstprojekt Nummer drei soll die leere Langeweile aus den Zentrumsstraßen fegen, der gebeutelten Geschäftswelt Kunden zutreiben, identitätsstiftend sein, die Leute mitnehmen. Installationen, Performance, Musik und Kunstobjekte schaffen einen "Erlebnisraum", so der ursprüngliche Arbeitstitel, ehe daraus das anglifizierte Wortspiel "Pasing by" wurde.
Wenn ein Gedanke zur Tat schrumpft, kann schon mal etwas anderes herauskommen. Für die Kritiker von "Pasing by" knirscht es im Konzept-Getriebe der Kunstkommission an folgenden Stellen: Die 180 000 Euro wurden auf 17 Künstler verteilt, was den Spielraum für jeden Einzelnen winzig macht. Das wiederum führt dazu, dass kaum bleibende Kunst wie etwa Skulpturen entstanden ist. Die Ausschreibung des Projekts erfolgte erst im Dezember, so geriet alles unter Zeitdruck. Weil sich bundesweit Künstler bewerben konnten, sind unter den 18 Beauftragten keine lokalen Akteure, was die Konzepte austauschbar macht. Die mangelnden Gefühlsbeziehungen zum Ort wiederum haben viele Immobilienbesitzer und Geschäftsleute im Zentrum davon abgehalten haben, Flächen für die Kunst zur Verfügung gestellt zu haben, was ursprünglich gerade das Novum dieses Projekt darstellte. So weit die Kritik.
"Vae homini per quem scandalum venit", fährt Jesus im Matthäus-Evangelium fort: "Doch weh dem Menschen, durch welchen Ärgernis kommt!" Die Stadtteilpolitiker haben den Schuldigen klar ausgemacht: Die städtische Kunstkommission Quivid, nicht jedoch Jörg Kochmann von der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS), der das Projekt in deren Auftrag betreut hat. Konfrontiert man Kommissionsvertreter und Kochmann mit der Stimmungslage der Pasinger Politiker, dann sind die ersten Reaktionen: Überraschung, Schock und Enttäuschung. Katharina Gaenssler ist eine von vier Quivid-Mitgliedern, die mit dem Projekt befasst ist. Sie gehörte auch der Auswahl-Jury an. Was die Münchner Künstlerin an der Kritik grundsätzlich verwundert: Warum erst jetzt? Die Stadtteilpolitiker seien in den Prozess eingebunden gewesen und hätten in Person von BA-Vorsitzendem Romanus Scholz (Grüne) und Maria Osterhuber-Völkl (CSU) Vertreter in die Jury entsandt. "Bei der Präsentation der Künstlermappen und in den Auswahlrunden wäre der Zeitpunkt gewesen, Einwände zu bringen." Insgesamt habe es 150 Bewerber gegeben, 37 von ihnen kamen in die zweite Runde, 17 wurden ausgewählt. Dieses große Interesse von namhaften Künstlern, sich auch für ein Honorar von 10 800 Euro ins Zeug zu legen, spricht laut Gaenssler für das Konzept. "Wird Kunst nur dadurch besser, dass mehr Geld zur Verfügung steht?" Und man sei keinesfalls in Zeitdruck geraten, "alles läuft gut, auch wegen Jörg Kochmann, der sich da reinschmeißt". Letzteres hatten die BA-Mitglieder nie in Zweifel gezogen. Auch für Kochmann kam ihre Kritik am Projekt überraschend, seien doch die Stadtteilvertreter an allen maßgeblichen Entscheidungen "intensiv beteiligt" gewesen. So müsste ihnen auch bekannt sein, dass etwa der weitere Verbleib der Kunstwerke über die Ausstellungszeit hinaus zwischen Grundstückseigentümern und Künstlern individuell geregelt werden könne.
Auch den Vorwurf, die Projekte seien nicht verortet, kann er nicht stehen lassen und gibt ein Beispiel: "Als Anlaufpunkt wird über die gesamte Festivalzeit im ehemaligen Pelzladen Schweisz am Pasinger Marienplatz ein Café eingerichtet." Der Betreiber sei in Pasing sehr verwurzelt. Im Café werde es Programm geben wie beispielsweise Konzerte mit Kalle Laar, einem Pasinger Musiker, und allabendliche Künstlergespräche. Zudem als Abschlussveranstaltung des Festivals am 12. Juli eine Podiumsdiskussion über die Chancen von Kunst im öffentlichen Raum. Eine Auseinandersetzung, die in Pasing, so scheint es, dringend notwendig ist.