Pasing:Eine traurige Chronik

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Trotz Markierung ist die Ausfahrt problematisch. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Ausfahrt "Refugio"-Baustelle in Pasing: Immer wieder kommt es für Fußgänger und Radfahrer zu gefährlichen Situationen

Von Jutta Czeguhn, Pasing

Die Weihnachtsferien sind vorbei. Auf den Radwegen an der Offenbachstraße in Pasing sind täglich wieder Hunderte Schüler unterwegs. Auch an diesem regnerischen Montagmorgen sieht man sie, zum Teil Lenker an Lenker, plaudernd den schmalen Streifen entlang fahrend. An der Kreuzung zur Nusselstraße stoppen sie bei einer roten Ampel. Auf dem Sockel der Ampel stehen Kerzen, Grablichter, Plastikblumen.

Am 22. Dezember ist an dieser Stelle eine 76 Jahre alte Frau ums Leben gekommen. Ein Lkw fuhr aus der Baustelle, wo derzeit die Wohnanlage "Refugio" mit mehr als 170 Appartements entsteht. Der Fahrer übersah die Fußgängerin, sie wurde überrollt, erlag ihren schweren Verletzungen. Für viele Anwohner, die die Situation an der Straße seit Jahren beobachten, war es nur eine Frage der Zeit, dass dort so ein Unglück geschehen konnte. Die Baustelle sei nicht ausreichend gesichert, immer wieder komme sei es zu haarsträubend gefährlichen Situationen, klagen sie. Das Kreisverwaltungsreferat ist anderer Meinung. In den Tagen nach dem tödlichen Unfall haben zwei KVR-Mitarbeiter die Einfahrt zu Refugio inspiziert. Ein "Optimum" an Vorkehrungen sei dort getroffen worden, sagt Sprecherin Kristin Nettelnbrecher. Der Radweg sei in dem gefährlichen Bereich rot markiert, es gebe eine Ampel an der Ausfahrt, einen Spiegel. Die Verkehrssituation sei "gut einsehbar", der Unfall "sehr, sehr bedauerlich".

Für Helmut Costa ist diese Bewertung der Lage schwer nachvollziehbar. Als ehemaliger Elternbeirat des Pasinger Max-Planck-Gymnasiums gehört er zu jenen, die den Fuß- und Radweg an der Offenbachstraße in seinem gesamten Verlauf schon lange im Blick haben und dokumentieren. Er führt mittlerweile eine Chronik: Während der Bauphase an den Pasing-Arcaden war dort 2008 eine Radlerin von einem ausfahrenden Laster getötet worden. Dann ging das Einkaufszentrum in Betrieb. Nun war es der Anliefer- und Tiefgaragenverkehr, von dem für die vielen radelnden Schulkinder Gefahr ausging. Elternbeiräte und Anwohner wie Costa fotografierten, korrespondierten und diskutierten mit den Arcaden-Betreibern, mit Politikern, KVR-Mitarbeitern und natürlich auch mit der Polizei. Und erreichten einige Verbesserungen.

Dann kam ein neues Problem, an der Offenbachstraße einige hundert Meter weiter nördlich: Auf dem sogenannten Weyl-Grundstück, wo einst ein Chemie-Fabrik stand, fanden gewaltige Erdbewegungen statt. Der verseuchte Boden auf dem Areal musste abgetragen werden, Laster fuhren ein und aus. Um das Jahr 2011 wurde dort jene provisorische Ampelanlage installiert, die heute den Verkehr an der Refugio-Baustelle regelt. Damals sei die Lage ähnlich gefährlich gewesen wie heute in der Bauphase, erklärt Costa.

Die Fotos, die Costa und seine Mitstreiter regelmäßig an der Baustelle aufnehmen, zeigen Laster, Betonmischer, die auf dem Radweg stehen und so Radler und Fußgänger zwingen, auf die Fahrbahn auszuweichen. Costa hat diese Fotos an das KVR, die Polizei, aber auch an den Baustellenbetreiber weiter geleitet. Am 19. November, also knapp einen Monat vor dem tödlichen Unfall, reagierte die Pasinger Polizei, leitete zwei Verwarnungsverfahren ein und ließ widerrechtlich parkende Laster entfernen. Zwei Tage später - Costa meldet der Inspektion erneut Falschparker - teilt ihm der zuständige Beamte mit, dass eine Streife an der Baustelle gewesen sei, und dass er selbst die Bauleitung "zum wiederholten Mal auf die Einhaltung der Straßenverkehrsordnung" hinweisen werde.

Costa hat auch mit den Baustellen-Betreibern, der BPD Immobilienentwicklung Kontakt. Ein Mail am 19. November nach Holland, dem Hauptsitz des Unternehmens, hat dort offenkundig etwas in Gang gesetzt. Am 25. November reagierte Rainer Kunze, Projektsteuerer in der Münchner BPD-Niederlassung. Er wies darauf hin, dass es diverse Maßnahmen gegeben habe, wie etwa "eine geänderte Baustellenzufahrt, die Umverlegung von Hydranten, Einweisung von Baustellenfahrzeugen". Bei Ladetätigkeiten erfolge eine Überwachung des Geh- und Radwegs. "Falschparker werden von der Bauleitung entsprechend verwarnt und/oder die Polizei zur Unterstützung bestellt", versicherte Kunze. Am 9. Dezember 2015, knapp, zwei Wochen vor dem tödlichen Unfall, hat es dann ein Gespräch gegeben. Laut Costa habe BPD-Niederlassungsleiter Achim Kleinert ihm, Maria Ecke-Bünger von der Interessengemeinschaft Offenbach-/Meyerbeerstraße, sowie Vertretern des Bezirksausschusses zugesagt, dass alles zur Sicherung des Weges getan werde.

Welche Maßnahmen die BPD nun ergreift, ist nicht bekannt. Wegen der laufenden polizeilichen Ermittlungen zum Unfall gibt das Unternehmen keine Stellungnahme ab. Das Polizeipräsidium teilt mit, dass man "im Hinblick auf etwaige Verbesserungsmöglichkeiten an der Unfallstelle" bereits Kontakt mit dem Kreisverwaltungsreferat aufgenommen habe.

© SZ vom 12.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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