Pasing:Ein Ort, nirgends

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Die Fotografin Lara Perentin erzählt von ihrer Heimatstadt Triest

Von Jutta Czeguhn, Pasing

"Vor meinem geistigen Auge ist Triest nicht immer präsent. Wie sollte es auch? Ist Triest doch keine dieser Stadt-Ikonen, die einem sofort in Erinnerung kommen. Es kann mit keinem unvergesslichen Wahrzeichen aufwarten, mit keiner bekannten Melodie oder unverwechselbaren Küche, und es gibt wohl keinen einzigen wirklich berühmten Triestiner." So lassen sich die ersten Zeilen übersetzen im Buch "Trieste and the meaning of nowhere" von Jan Morris. Eine Meditation über diese sonderbare Hafenstadt, welche die 91-jährige Autorin wie ein vertrauter Geist immer noch verfolgt. 1946 war sie, damals noch James Morris, als Soldat der britischen Armee zum ersten Mal in Triest. Die Stadt, schreibt Morris später als Frau, habe sie Heimweh verspüren lassen nach einem Europa, das es nicht mehr gab.

Lara Perentin, 41, sind die Bücher der großen walisischen Reise-Essayistin nicht bekannt. Und doch scheint in ihren Fotografien das durchzuschimmern, was Jan Morris so in seinen Bann zog. Das Triest, das stets am Rande von allem stand, vom Habsburgerreich, von Italien, vom Balkan, nowhere, nirgends. Und gerade deswegen Außenseiter und Künstler anzog, Gestrandeten eine neue Heimat gab und sich Kulturen zu eigen machte. Perentins Ausstellung im kleinen Galerieraum 3 der Pasinger Fabrik besteht nur aus wenigen Bildern, die aber genügen ihr, um einem die Tür zu ihrer Stadt zu öffnen. Die Fotografin ist stolze Triestina, kennt die Seele der Stadt, in die Morris als zugeneigter Gast blicken durfte, aus ihrem Innersten.

Posen gibt es für Lara Perentin nicht, niemals setzt sie die Menschen auf ihren Porträts in Szene. Gesichter oder Hände wie die "Giorgio" erzählen ihre eigenen Geschichten. (Foto: Lara Perentin/oh)

"Die Orte in dieser Stadt sind von einer tiefen Melancholie", sagt die Frau mit den blonden, kurzen Haaren und den Katzenaugen und schickt dann mit einem Zögern nach: "Vielleicht bin ich selbst auch sehr melancholisch." Nur in Schwarz-Weiß könne sie diese Grundstimmung der Stadt transportieren, sagt Lara Perentin, die erst vor ein paar Jahren mit der künstlerischen Fotografie begonnen hat und doch schon in etlichen Ausstellungen in Italien zu sehen war. Francesco Ziosi, Direktor des Italienischen Kulturinstituts München, machte Fabrik-Kurator Thomas Linsmayer, der immer wieder italienische Künstler nach Pasing holt, auf Perentins Arbeiten aufmerksam.

Es sind spröde Bilder, die die Fotografin mitgebracht hat. Sehr weit entfernt vom Postkarten-Italien befinden wir uns. Anima, Seele, ist ein Wort, das Lara Perentin oft verwendet, wenn sie von ihren Arbeiten spricht. Die Seele der Menschen und der Plätze von Triest - Perentin rückt da sehr dicht ran. An das zerfurchte Gesicht eines alten Mannes etwa, der Mundharmonika spielt. Es ist Giorgio, ihr Schwiegervater, der sein Leben lang hart gearbeitet hat. Oder an die kleine Ballerina, die mit gesenktem Kopf in einer aufgelassenen Fabrik sitzt - ein Porträt ihrer Tochter Emma Ray. Als Fotografin ist Perentin wie eine diskrete, stolze Gastgeberin, die den Besuch durch ihr Heim führt, ihn aber nie die Schwelle zum Privaten überschreiten lässt. Sie erzählt in ihren schönen, ruhigen Bildern vom Strand, an dem Frauen und Männer durch eine Mauer getrennt baden, vom stürmischen, eiskalten Wind Neverin, der plötzlich aufkommt und die Wellen an der Kaimauer aufpeitschen lässt. Von den triestinischen Frauen, die seit jeher stolz und unabhängig sind und die mit hochhackigen Schuhen ihren Weg auch über Bahnschwellen gehen.

Den Plätzen und Architekturen ihrer Heimatstadt Triest nähert sich die Fotografin mit liebevoller Zurückhaltung. (Foto: Lara Perentin)

Selten seien ihr Menschen untergekommen, die ihrer Stadt zärtlicher zugetan sind als die Triestini, schreibt Jan Morris, und nennt sie "patriotic citizen of nowhere". Auch Lara Perentin ist eine von ihnen.

Lara Perentin, Triest, Pasinger Fabrik, bis 29. September, August-Exter-Straße 1, Galerie 3, Dienstag-Freitag, 11 bis 17 Uhr.

© SZ vom 22.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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