Pasing:Die Entdeckung der Lässigkeit

Lesezeit: 3 Min.

Was bleibt vom Kulturfestival "Pasing by", fragen sich die Menschen im Viertel. Eine neue Bar in einem Abrisshaus am Marienplatz wäre schon mal ein Anfang

Von Andrea Schlaier und Jutta Czeguhn, Pasing

War's das? Das war's: "Pasing by" - bye bye. Für so manchen Besucher hätte dieses merkwürdige, bemerkenswerte Kulturfestival noch etwas länger dauern können. An diesem Sonntag nun ist es nach knapp elf Tagen mit einer Podiumsdiskussion zum Thema Kunst im öffentlichen Raum zu Ende gegangen. Nein, eigentlich ist es entspannt ausgeklungen mit Musik in der "Pelz Bar" am Marienplatz, einem Ort, der sich zum Treff-, Ausgangs- und Mittelpunkt der Veranstaltung mauserte. Diese kreative Zwischennutzung im leer stehenden Pelzgeschäft Schweisz, von der sich viele wünschen, sie würde über das Festival hinaus noch weiter existieren.

Die Sängerin Martina Koppelstetter verwirrt als Viola. (Foto: privat)

Erwartungsvolle Augen richten sich nun auf Investor Martin Bucher, der an dieser Stelle in Pasings zentraler Lage ein Geschäftshaus mit Hotel und Appartements realisieren möchte. Ein paar Andeutungen schwirren schon umher; der Unternehmer soll, so hört man, nicht grundsätzlich abgeneigt sein, das Gastspiel der Kultur-Bar zu verlängern.

Die 17 Künstlerinnen und Künstler allerdings, die Pasings Zentrumsstraßen und Plätze in den vergangenen Tagen bereicherten, sind schon weitgehend abgezogen und haben dieses von Ödnis bedrohte Terrain womöglich als Hoffnungsgebiet hinterlassen. Wer auf Kunstexpedition ging, hat jedenfalls Schönes, Inspirierendes, Witziges, teils auch Verstörendes erleben können.

Zum Beispiel Mathis Nitschkes wunderbare Schaufester-Volksoper "Viola": Drinnen in der Bahnhofsapotheke sitzen die Zuschauer, draußen vor dem großen Schaufenster läuft ganz Pasing durch den Alltag. Fußgänger zwischen Bussen, Radler zwischen Fußgängern und Autos. Und irgendwo die zarte Frau im blauen Business-Anzug mit dem feuerroten, hochgesteckten Haar. Sie Schaut sich um, genauso unsicher wie das Publikum, das die Protagonistin dieser Ein-Frau-Oper erst suchen muss. "Viola" ist sichtlich desorientiert, singt und fragt Menschen um sich herum: "Bitte entschuldigen Sie. Was ist heute für ein Datum? Für ein Tag? Noch immer gestern?" oder "Sind sie verheiratet?"Die Passanten wissen nicht, dass sie zu Mitspielern geworden sind, beglotzt werden von denen hinter der Schaufensterscheibe. Irritiert reagieren sie auf die irritierte, vor sich hin sprechende Frau, beobachten sie aus den Augenwinkeln, suchen das Weite. Nur einer filmt Viola mit seinem Smartphone. "Warum fühlen wir uns in der Begegnung mit unangemessen sich verhaltenden Menschen so unsicher?", fragt Komponist Mathis Nitschke, der sich dieses ungewöhnliche Opern-Konzept ausgedacht hat.

Die Künstlerin Gabi Blum weist mit einer kulissenartigen Motelfassade auf die Planungswut in den Stadträumen hin. (Foto: Florian Peljak)

Eine andere Künstler-Idee klang nach einem liebenswürdigen Versprechen: "schöpfen und schenken". Das Erinnerungsstückchen daheim, das einem am Herzen liegt, wollten Maike Gräf und Stephanie Senge binnen weniger Tage zum Kunstwerk machen. Gesammelte Äste, grob behauenes Holz, das in ihrer offenen Werkstatt an der Gleichmannstraße bereit lag, wurde noch unter den Augen der Passanten verarbeitet. Beim Aufnahmegespräch wurden Wünsche abgefragt und abgefilmt. Die Erwartungen waren entsprechend hoch. Am Donnerstag gab es dann die offizielle "Schenk-Aktion". Verpackt wie Blumensträuße, umwunden mit rot-weißen Absperr-Band, gingen die Leihgaben Stück für Stück zurück an ihre Eigentümer. Und wie das halt so ist mit Erwartungen, nicht alle wurden erfüllt. Einen kunstvollen Lockenwickler aus den Fünfzigerjahren, aus eigener Kraft schon ein Kult-(Kunst)-Objekt, kam aus der "Schöpferstelle" etwas schlicht über einen abgespreizten Holzspan hängend zurück. Mehr bodenständige Improvisation als Bildhauerei - aber geschenkt ist schließlich geschenkt.

Etwas Tragendes ist geblieben von Silvia Wienefoets Aktion "Der Stoff, aus dem die Träume sind". Die Künstlerin hatte Menschen mit und ohne Behinderung gebeten, Tagebuch zu führen über ihre Erlebnisse im öffentlichen Raum. Einzelne Sätze druckte sie auf Folie und hängte sie wie Bilder an die Wand eines Gebäudes in der Gleichmannstraße. Ihr Publikum konnte sich die Sätze pflücken und auf ein T-Shirt drucken lassen, unter der Bedingung, sie anschließend überzustreifen und damit dem öffentlichen Raum zurückzugeben. Jeder T-Shirt-Träger bekam von der Künstlerin dazu Informationen über den Autor seines Satzes.

Beim Anstehen an den Druck-Maschine kamen die Leute ins Gespräch. Überhaupt, Schlangestehen und Warten, das schuf Raum für die Kunst der Kommunikation in diesen Festivaltagen, die nun auf den Stufen vor der Pelz-Bar ausklangen. Mit Musik, einem Getränk und Kapernäpfelchen beim Plauschen aus Neugier am Augenblick und dem erstauntem Zuschauen, wie dieses Viertel ganz lässig einen Zopf abgeschnitten bekommen hat.

© SZ vom 13.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: