Elisabeth Köster fiel aus allen Wolken, als sie vor einiger Zeit vom Bayerischen Polizeiverwaltungsamt Post bekam. Die pensionierte Ministerialbeamtin wusste: Die Behörde ist immer dann zuständig, wenn es um die Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten geht, die im Straßenverkehr begangen werden. Das Schreiben war denn auch ein Strafzettel - für unzulässiges Parken. 55 Euro sollte die Juristin bezahlen.
Köster wohnt in der Tizianstraße in Gern. Seit 20 Jahren stellt sie ihr Auto mit zwei Reifen auf dem Bürgersteig ab - wie alle in der schmalen Straße. Das gehe gar nicht anders, erklärt die 69-Jährige, weil ansonsten weder die Feuerwehr noch Rettungsfahrzeuge oder die Müllabfuhr durchkämen. Und da die Gehwege trotz dieses halbseitigen Gehwegparkens immer noch ausreichend Platz für Fußgänger, Rollstuhlfahrer und Eltern mit Kinderwagen bieten, ist diese "Selbsthilfe" der Anlieger, wie Köster die jahrelange Praxis nennt, auch stets toleriert worden.
Bis jetzt. Denn außer Köster erhielten nun noch mindestens sieben weitere Anwohner ein Bußgeld. Einige bezahlten die Strafe, andere legten Einspruch ein, beschwerten sich beim Innenministerium oder bei der Stadt. Wie Bärbel Wardetzki, der es nicht einleuchtet, warum eine Konstellation, die jahrzehntelang "friedlich funktionierte", auf einmal verändert werden soll. Zumal die Parkplatzsituation im Viertel, wie vielerorts in der Münchner Innenstadt, prekär ist: Stellplätze sind Mangelware.
Ist die Tizianstraße ein Einzelfall? Glaubt man der Statistik, eher nicht. Allein im ersten Halbjahr 2023 sind von der Polizei stadtweit mehr als 15 000 Verwarnungen wegen rechtswidrigen Gehwegparkens registriert worden - rund 2000 mehr als im Vergleichszeitraum ein Jahr zuvor. Mündliche Verwarnungen vor Ort, die nicht aktenkundig werden, nicht eingerechnet.
Das Parken unter Mitbenutzung des Gehwegs ist gemäß der bundesweit gültigen Straßenverkehrsordnung grundsätzlich untersagt - "auch dann, wenn der Gehweg besonders breit ist", stellt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) auf Nachfrage Kösters klar. Es obliegt dann dem Streifendienst zu entscheiden, ob ein Bußgeldverfahren eingeleitet wird oder nicht. Bei einer Besichtigung der Tizianstraße durch die Polizei Anfang Mai, so der Minister, sei aber keine Behinderung oder Gefährdung von Fußgängern festgestellt worden.
"Das (...) über Jahre geduldete rechtswidrige Gehwegparken wird abgeschafft werden."
Aus rechtlicher Sicht ist Gehwegparken bereits seit der Novellierung des Bußgeldbescheids vor knapp zwei Jahren kein Kavaliersdelikt mehr. Mindestens 55 Euro kostet der Tatbestand, wenn keine Behinderung vorliegt und das Auto nur wenige Minuten auf dem Bürgersteig steht. Bei längerer Dauer, Vorsatz, Gefährdung oder gar Unfall kann sich die Summe auf 200 Euro erhöhen - dazu gibt es einen Punkt in Flensburg.
Die Anlieger der Tizianstraße würden es jedenfalls befürworten, wenn die bisherige Praxis des halbseitigen Gehwegparkens durch eine entsprechende Beschilderung und Markierung legalisiert werden würde. Einen entsprechenden Antrag mit der Bitte um Unterstützung haben sie beim Bezirksausschuss Neuhausen-Nymphenburg eingereicht. Allerdings hat das Mobilitätsreferat bereits signalisiert, dass die Chancen dafür eher schlecht stehen.
Denn Gern soll Wapperlzone werden. Und laut einem Schreiben der Behörde wird "in keinem der kommenden Parklizenzgebiete das Gehwegparken offiziell angeordnet". Im Gegenteil: "Das an vielen Straßenabschnitten über Jahre geduldete rechtswidrige Gehwegparken wird abgeschafft werden." Ein Beschlussentwurf, "in dem unter anderem Handlungsempfehlungen zur Vermeidung des rechtswidrigen Gehwegparkens dargelegt werden", ist schon in Arbeit und soll dem Stadtrat "zeitnah" unterbreitet werden.
Immerhin, sagt Elisabeth Köster, sei ihr Bußgeldverfahren inzwischen eingestellt worden. Eine Einzelfallentscheidung.