Palästina-Konflikt:Angst und Vorurteil

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Viele jüdische Münchner fürchten, dass der Israel-Hass aus dem Nahen Osten verstärkt nach Deutschland schwappt

Von Jakob Wetzel

Charlotte Knobloch kommt rasch zur Sache. Mit acht weiteren Vorstandsmitgliedern der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern (IKG) hat sie am Freitag eine Flüchtlingsunterkunft an der Pariser Straße in Haidhausen besucht. Etwa 70 Menschen aus Somalia und Nigeria, aus Albanien, dem Irak und Afghanistan leben hier, so lange, bis ihre Asylverfahren beendet sind. Drei von ihnen ist Knobloch im Gang begegnet, es sind junge Männer aus Afghanistan, Muslime, sie sind etwas überrumpelt. "Wir kommen von der jüdischen Gemeinde", sagt Knobloch, die drei nicken. Ob es in Afghanistan auch jüdische Gemeinden gebe? Er glaube schon, sagt einer der drei, er weiß es nicht. Knobloch lächelt, sie schüttelt Hände. Und dann vereinbart sie mit den dreien, bei ihrem nächsten Besuch würden sie sich nicht mehr auf Englisch miteinander unterhalten, sondern auf Deutsch.

Der Besuch sollte ein Zeichen setzen. Er sollte ein Schritt aufeinander zu sein, um nicht nur Vorurteile abzubauen, sondern auch Ängste vor diesen Vorurteilen. Es sind Ängste, auf die man immer wieder stößt, wenn man sich mit jüdischen Münchnern über Flüchtlinge unterhält. Da ist zunächst eine große Hilfsbereitschaft: Es stehe außer Frage, dass man helfen müsse, finden viele. Gerade Juden sollten sich solidarisch zeigen, sagt einer, mit ihrer langen Geschichte von Flucht und Vertreibungen. Doch dann sind da Stimmen wie diese: Im Nahen Osten, in den Herkunftsländern vieler Flüchtlinge, sei Hass auf Israel und auf Juden nicht nur gesellschaftsfähig, sondern eine Selbstverständlichkeit. Natürlich dürfe man einzelne Flüchtlinge nicht unter Generalverdacht stellen. Doch die Demonstrationen gegen den Krieg in Gaza 2014, bei denen Parolen skandiert wurden wie "Kindermörder Israel", sind in Erinnerung geblieben. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, hat diesen Ängsten in der vergangenen Woche Raum gegeben, als er sagte, Deutschland werde bei der Zahl der Flüchtlinge angesichts des Judenhasses in den Herkunftsländern nicht um eine Obergrenze herumkommen.

"Man darf das Problem nicht verschweigen", sagt Stefan Jakob Wimmer. Israelfeindschaft sei in arabischen Gesellschaften Konsens. Und viel werde allgemein auf Juden übertragen, "die Gegenseite heißt nach wie vor: al-Yahud". Wimmer sitzt in der evangelischen Stadtakademie an der Herzog-Rudolf-Straße auf einem Podium, vor ihm knapp 100 Menschen, es geht an diesem Abend um "Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft". Es gibt wenige Münchner, die so für das Miteinander der Religionen in München stehen wie Wimmer. Der Ägyptologe leitet den Verein "Freunde Abrahams", der sich für die Verständigung zwischen Christen, Juden und Muslimen einsetzt, er ist auch im Vorstand des Münchner Forums für Islam. An diesem Dienstag aber sagt er, die Äußerung von Josef Schuster wolle er nicht kritisieren, denn der habe Recht.

Immer wieder wird der Nahost-Konflikt auch auf Münchens Straßen sichtbar - ob bei Solidaritätskundgebungen für Israel...

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(Foto: Stephan Rumpf)

...oder bei Protesten von Palästinensern gegen den Krieg im Gaza-Streifen.

Das habe aber wenig mit der Religion zu tun, sagt Wimmer. Entscheidend sei weniger der Glaube der Zuwanderer als ihr Herkunftsland: Antisemitische Vorurteile seien unter arabischen Christen ebenso verbreitet wie unter arabischen Muslimen. Wimmer holt aus, er erzählt von der Vergangenheit, in der es Juden unter muslimischer Herrschaft besser ergangen sei als in christlichen Reichen. Erst seit es Streit um Land gebe, sei in der arabischen Welt ein "explodierender Antisemitismus" entstanden, gefüttert durch nationalsozialistische Propaganda aus Deutschland, die nach wie vor verbreitet werde, Jahrzehnte nach dem Ende der Nazi-Herrschaft.

Bei alldem müsse man aber genau unterscheiden. Syrien sei zum Beispiel anders als Afghanistan oder Saudi-Arabien. Das Land, aus dem viele Flüchtlinge stammen, blicke auf eine lange Geschichte des friedlichen Zusammenlebens von Muslimen mit Christen und Juden zurück, sagt Wimmer. "Es ist doch vielversprechend, wenn so ein Hintergrund zu uns kommt."

Und noch etwas kommt an diesem Abend zur Sprache: Mit dem Finger auf Einwanderer zu zeigen, führe weg vom eigentlichen Problem, sagt die Berliner Antisemitismus-Forscherin Juliane Wetzel. Sie zitiert Statistiken, denen zufolge in Deutschland neun von zehn antisemitischen Straftaten von einheimischen Rechtsextremen begangen werden, nicht von Zuwanderern. Und sie spricht über eine Studie, die nahelegt: Der Antisemitismus von Muslimen wird überschätzt.

Freilich: Am sorgenvollen Blick in die Zukunft ändert das wenig. Und das, wovor sich viele jüdische Deutsche nicht nur in München fürchten, ist schwer zu greifen. Wie viel Judenhass tragen Zuwanderer tatsächlich in ihren Köpfen? Erhebungen dazu gibt es nicht, und im Alltag der Flüchtlinge macht sich Antisemitismus, sofern er überhaupt da ist, kaum bemerkbar. Judenhass sei ihren Teams bei der Arbeit mit Flüchtlingen noch nie aufgefallen, sagt zum Beispiel Rosemarie Ghorbani, die Leiterin der Flüchtlingsdienste "Alveni" der Caritas. Die Helfer würden auf Stimmungen und Vorbehalte durchaus achten, und dass antijüdische Stereotype verbreitet sind, sei "natürlich möglich". In den Unterkünften aber sei das kein Thema. Die Menschen haben andere Sorgen.

Ähnliches berichtet der Sozialpädagoge Goran Ekmescic. Er koordiniert das Projekt "Flüchtlinge in Beruf und Schule" für die Münchner Volkshochschule. Die Pädagogen arbeiten eng mit minderjährigen Flüchtlingen zusammen, sie helfen ihnen dabei sich zurechtzufinden, einen Schulabschluss zu machen, Fuß zu fassen. Pädagogen und Schüler lernen sich gut kennen. Dennoch: "Mir fällt in den vergangenen fünf Jahren keine einzige antisemitische Äußerung ein, die einer unserer Schüler getätigt hätte", sagt Ekmescic. Ein Generalverdacht gegen Flüchtlinge sei unangemessen. Die jungen Leute würden sich sehr flexibel auf München als neue Heimat einlassen. Gezielt nach Stereotypen würden sie aber auch nicht befragt. "Wir führen keine großen Wertediskussionen. Wir arbeiten pragmatisch."

Zumindest in der Unterkunft an der Pariser Straße ist an diesem Freitag nichts von Vorbehalten zu spüren; sollten welche da sein, werden sie gut überspielt, von allen Seiten. "Das Problem ist halt die Indoktrination", sagt Maurice Brodski vom Vorstand der IKG. "Wenn es dann noch viel Arbeitslosigkeit gibt, ist der Boden fruchtbar für eine Radikalisierung." Die Menschen bräuchten dringend eine Perspektive. Und für Deutschland hat er einen konkreten Vorschlag: Man müsse sich die Schulbücher ansehen. Da sei häufig nur vom Christentum die Rede, das Judentum komme kaum vor, sagt Brodski. "Aber es ist doch wichtig, dass alle Kinder von klein auf lernen, dass hier auch Juden leben."

© SZ vom 01.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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