Olympiapark:Opfergaben und Orakelsprüche

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Beim Ferienprogramm des Vereins Spielkultur können Kinder in verschiedene Rollen schlüpfen und so Teil einer Dorfgemeinschaft im antiken Griechenland werden - als Handwerker, Bäcker oder Olympioniken

Von Nico Kellner, Olympiapark

Betritt man in diesen Tagen die sogenannte Rote Stadt, einen Spielplatz im Olympiapark, vernimmt man unwillkürlich die leisen Klänge typisch griechischer Musik. Es tanzt jedoch niemand Sirtaki. Vielmehr sitzen Kinder konzentriert an langen Tischen und arbeiten. Einige bauen Pfeil und Bogen, Dolche und Speere, andere fertigen kunstvolle Gegenstände in der Töpferei oder der Seiferei. Alle Werkstätten sind kreisförmig um einen Platz angeordnet, so wie auf einer "Agora", dem Marktplatz in einer antiken Griechen-Siedlung.

Die "Rote Stadt" hat sich in eine Ortschaft im antiken Griechenland auf der Peloponnes verwandelt. Anette Hartmann, die das hellenische Ferienprogramm des Vereins "Spielkultur" mit ihrer Kollegin Linda Pfrogner ins Leben gerufen hat, erzählt, das Projekt sei "ein Rollenspiel in der Zeit". Jedes Kind werde automatisch Teil der antiken Dorfgemeinschaft. Es gehe für die Kinder darum, "spielerisch und frei zu lernen, ohne überhaupt zu merken, dass sie etwas lernen".

Auf dem Marktplatz der griechischen Stadt im Olympiapark werden alte Mythen erzählt. (Foto: Leonhard Simon)

Plötzlich verstummt die Musik, und eine Frau mit einem langen, schwarzen Zopf betritt den Marktplatz. Ganz so, wie man sich eine Griechin der Antike vorstellt, trägt sie einen Olivenzweig um den Kopf. Die Frau mit dem eher ungriechischen Namen Katharina Ritter ist Geschichtenerzählerin und hat selbst schon an den Delphischen Spielen teilgenommen, bei denen - als kulturelles Pendant zu den Olympischen Spielen - regelmäßig Wettbewerbe in Künsten wie Gesang, Poesie und Musik ausgetragen werden. Ritter ruft die Kinder zu sich und lässt sie alle im Schatten einer großen Linde Platz nehmen, die den Mittelpunkt des Dorfplatzes bildet. "Geschichten erzählt man nämlich nicht allein, sondern gemeinsam", sagt sie. Katharina Ritter beginnt zu sprechen: Sie erzählt packend und in gestikreicher, ausdrucksstarker Sprache spannende und erstaunliche Geschichten aus der Antike.

Geschichtenerzählerin Katharina Ritter hat selbst schon an den "Delphischen Spielen" teilgenommen. Im Olympiapark trägt sie griechische Sagen vor. (Foto: Leonhard Simon)

So etwa von Tantalos, der seinen eigenen Sohn Pelops den Göttern als Mahlzeit vorgesetzt hat, um sie herauszufordern. Das sei ihm aber nicht geglückt, da die Götter seinen Plan durchschaut hätten. Am Ende einer langen, wendungsreichen Geschichte heiratete Pelops nach einem Wagenrennen mit König Oinomaos dessen Tochter Hippodameia. Auf diese Weise wurde Pelops zum Namensgeber der Halbinsel Peloponnes, deren wörtliche Übersetzung "Insel des Pelops" ist.

Heutzutage sei der "Bildungsauftrag irre wichtig", sagt Katharina Ritter, "es darf ja nicht nur Spaß machen". Deshalb erzählt sie weiter: Von der Weberin Arachne, der Siegesgöttin Nike und den Olympischen Spielen. Während der Dauer des Antike-Projekts sollen die Kinder dann ihre ganz eigenen Geschichten entwickeln. Als Dorfbewohnerinnen und -bewohner können sie in den Werkstätten arbeiten, in der Taverne ihr eigenes Brot backen oder an den Olympischen Spielen teilnehmen, die jeden Tag in Kategorien wie dem Speerwurf oder dem Pferderennen ausgetragen werden. Die Kulisse ist dafür bereits geschaffen: Die Backsteinbauten der "Roten Stadt" sind mit Tüchern zugehängt, vor den Häuschen reihen sich Olivenölkrüge, Leinensäcke und Reisigbesen aneinander, und Körbe mit den unterschiedlichsten Utensilien füllen die Gassen. Der Phantasie sind also keine Grenzen gesetzt: "Ich freue mich schon darauf, was die Kinder noch miteinbringen", sagt Anette Hartmann.

Die Teilnehmer töpfern ihre Opfergaben. (Foto: Leonhard Simon)

Man könne allerdings nicht davon ausgehen, dass die olympischen Götter den Dorfbewohnern zu allen Zeiten wohlgesonnen sein werden, warnt Hartmann. Denn wenn sie schlecht gelaunt seien, "werden komische Dinge im Dorf passieren". Da komme dann "das Orakel ins Spiel". Dort könne sich jeder Bewohner der Stadt seine Zukunft voraussagen lassen. Mit Hilfe von Karten, Pendeln und Räucherhandlungen gibt die Weissagerin, die der Pythia im Orakel von Delphi nachempfunden ist, ihre Auskünfte - natürlich in verschlüsselten Botschaften. Noch sitzt aber die Geschichtenerzählerin Katharina Ritter vor dem Orakel und gibt eine Einstimmung auf die antike Welt, in der die Teilnehmer an diesem Tag noch viel Zeit verbringen werden. Als sie die antiken Sagen zu Ende erzählt hat, ertönt wieder jene Musik, die möglicherweise die eine oder andere Erinnerung an den letzten Griechenland-Urlaub weckt. Die Kinder gehen zurück an ihre Arbeit und ein Junge, der soeben dazugekommen ist, fragt, was die anderen Kinder in der Töpferei anfertigen. Ohne zu zögern antwortet daraufhin ein Mädchen: "Das werden so Opfergaben für das Orakel". Sie ist schon so tief in die hellenische Welt eingetaucht, dass sie es als eine Selbstverständlichkeit ansieht.

In der Tischlerei können Kinder ihre eigenen Speere und Schwerter anfertigen. (Foto: Leonhard Simon)

Das ist für Anette Hartmann "die Verbindung von Geschichte, Künstlerischem und Bewegung". Auch ihr selbst und ihren Kollegen mache es Spaß hier zu sein. "Wir sind alle große Kinder", sagt sie.

Nur noch an diesem Freitag können Kinder am Spielplatz "Rote Stadt" in die Welt der alten Griechen und der Olympischen Spiele eintauchen.

© SZ vom 20.08.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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