Olympiadorf:Die Drehscheibe setzt auf Strom

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Martine und Christian Treffer wollen mit ihrem Service-Laden "Olympiawerk" die Pakete im Oly-Dorf umweltfreundlich per elektrischem Lastenfahrrad zustellen

Von Ulrike Steinbacher, Olympiadorf

Dieser Laden ist eine Drehscheibe und gerade rotiert sie besonders rasant. Mittendrin dirigiert Martine Treffer völlig entspannt das Geschehen, obwohl um sie herum fünf Sachen gleichzeitig passieren. Das Telefon läutet, ein junger Mann überreicht ihr einen Anzug für die Reinigung, eine Frau holt ein Paket ab, eine andere will wissen, wie das mit der Bücherbörse vor der Ladentür funktioniert, und die Mitarbeiterin hat auch noch ein paar Fragen. Treffer, kurze blonde Locken, kaum hörbarer französischer Akzent, ist die Ruhe selbst. Nebenbei erklärt die gebürtige Walliserin, wie es kommt, dass sie und ihr Mann Christian seit dem Frühjahr diesen Serviceladen im Olympiadorf betreiben und warum sie ihre Dienstleistungspalette jetzt um ein neues Angebot erweitern.

Von Dienstag, 4. Oktober, an stellt das Olympiawerk, wie die Treffers ihr Geschäft nennen, den Dorfbewohnern ihre Pakete zu, und zwar mit einem elektrischen Lastenfahrrad. Damit der Service umweltfreundlich arbeitet, liefert zudem der Zustelldienst, mit dem das Olympiawerk einen Vertrag geschlossen hat, die Pakete nicht mehr mit Diesel-Autos an, sondern mit Elektro-Transportern.

"Das ist Neuland für alle Beteiligten", sagt Christian Treffer. Zweieinhalb Stunden pro Tag wird das Ausfahren mit dem Rad im Schnitt dauern, schätzt der kräftige Urbayer mit dem Fünf-Tage-Bart. Das erste Lastenrad hat er schon im Laden stehen, ein zweites ist bestellt. Langfristig will Treffer die gesamte Paketzustellung im Dorf schadstofffrei abwickeln. Und wenn seine Geschäftsidee funktioniert, würde er gern in andere autofreie Quartiere wie den Domagkpark oder den Prinz-Eugen-Park expandieren. Dort sollen dann Franchise-Partner die Auslieferung übernehmen.

Der Paketdienst ist aber nur die neueste Komponente im Olympiawerk, einer Art Gemischtwarenladen der Service-Branche. Bei den Treffers können die Kunden Sachen für die Reinigung und die Änderungsschneiderei abgeben und Pakete abholen. Christian Treffer, "Schreiner in fünfter Generation", übernimmt aber auch gemeinsam mit Handwerker Edi Gar allerlei Reparaturen, vom Küchen-Ausbau bis zum Fenster-Einbau, Schreinerarbeiten sowieso. Auch Einbruchschutz, Schlüsseldienst, Fahrradreparatur und Handwerker-Vermittlung hat er im Programm.

Handwerksaufträge und Reparaturen, damit hat Christian Treffer angefangen. Seit 20 Jahren arbeitet der 53-Jährige für Wohnungseigentümer und Hausverwaltungen im Olympiadorf, kennt die Häuser und ihre Bewohner also lange und gut. Sein Büro war auf ein paar Quadratmetern im Hinterzimmer eines Versicherungsagenten am Helene-Mayer-Ring untergebracht. Ende 2015 kamen dann die Dinge in Bewegung. Der Versicherungsagent zog um, gleichzeitig suchte die Genossenschaft Olywelt, die versucht, die Nahversorgung im Olympiadorf zu verbessern, einen neuen Betreiber für den Serviceladen. Der alte hatte nach zwei Jahren das Handtuch geworfen, weil er mit dem Umsatz unzufrieden war. Also mieteten die Treffers den ganzen Laden, auch wenn sie dabei ein bisschen Bauchweh hatten, und legten los.

Martine und Christian Treffer haben das Projekt angestoßen. (Foto: Florian Peljak)

Am fehlenden Umsatz dürfte es bei ihnen nicht scheitern. Zumindest an diesem September-Nachmittag gibt ein Kunde dem anderen die Klinke in die Hand. Junge Leute hätten wenig Geld für neue Sachen, gerade in einer teuren Stadt wie München, sagt Martine Treffer, die eine gute Beobachterin ist. Außerdem werde heute nicht mehr gleich alles weggeschmissen. "Für ältere Menschen ist das Reparieren manchmal wichtig." Nebenbei ist der neue Serviceladen aber auch ganz schnell zu einem Dorf-Treffpunkt avanciert, er ist Umschlagplatz, Nachrichtenbörse - eine Drehscheibe eben.

Wenn die Treffers am Stehtisch vor ihrer Ladentür stehen, dann grüßt sie jeder Zweite, der vorbeigeht. Eine Frau ruft herüber, dass in der Wohnanlage in Spanien, wo sie immer hinfährt, ein Feuer ausgebrochen ist, ein Mann zieht zwei kaputte Tischlampen aus dem Rucksack und fragt, ob sich die Reparatur lohnt, ein anderer verspricht, dass er gleich morgen früh wegen der Schlüsseldienst-App vorbeischaut.

Solche Kontakte entstehen, wenn jemand Spaß hat am Umgang mit Menschen. "Es ist immer ein Geben und Nehmen", sagt Christian Treffer. Dazu gehört auf der einen Seite, dass man einer alten Dame mal eine Lampe aufhängt, ohne den Stundensatz zu verlangen, dass man auch eine einzelne Fuge an der Badewanne ausbessert oder kleine Reparaturen macht, für die andere schon 50 Euro Anfahrt berechnen. Und auf der anderen Seite finden sich dann rüstige Rentner, die fürs Olympiawerk per Lastenfahrrad Pakete zustellen wollen.

Auch der Paket-Service selbst ist so entstanden: Ein Olympiadörfler wollte gern eine hölzerne Kinderwiege bauen und suchte fachmännischen Rat. Christian Treffer entschied sich "ausm Bauch raus", ihm zu helfen - an einem Samstagnachmittag in seinem Laden. Beim Feierabendbier danach kam die Sprache auf schadstoffarme Paketzustellung in autofreien Wohnsiedlungen, die Idee mit den E-Lastenrädern entstand. Am folgenden Montag sprach der Mann, leitender Mitarbeiter eines führenden Zustelldienstes, mit seinen Vorgesetzten. Und so kommt es, dass Anfang Oktober im Olympiadorf ein völlig neuer Service startet. Ein Geben und Nehmen eben.

© SZ vom 15.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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