Oktoberfest:Urbayerisch - und importiert

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In der Firma Ströder wird jeder Krug vor der Glasur und dem Brand von Hand gereinigt, geglättet und - ganz wichtig - mit dem Henkel versehen. (Foto: dpa)
  • Die traditionellen Keramikkrüge für die Wiesn kommen nicht aus Bayern, sondern aus dem rheinland-pfälzischen Westerwald.
  • Dort steht Deutschlands letzte Fabrik für glatte Steinkrüge.

Von Susanne Höll

Ließe sich der Begriff "einheimisch" steigern, so wäre der offizielle Festkrug von Stadt oder Wiesnwirten auf alle Fälle ein heißer Favorit dafür. Denn was ist münchnerischer als der gute, alte Keferloher, jener Masskrug, in dem früher das Bier auf dem Oktoberfest und überhaupt in den Wirtshäusern ausgeschenkt wurde? Heute gibt es ihn nur noch auf der Oiden Wiesn und eben in Form jener Schmuckkrüge, die jedes Jahr in den Zelten verkauft werden. Anders als das Bier, das eigentlich dort hineingehörte, brauchen die Krüge auf der Wiesn keinen Münchner Herkunftsnachweis - aber wo kommen sie heute eigentlich her?

Wer sich das anschauen will, muss sich auf eine längere Reise machen, jedenfalls dann, wenn er in München startet. Erst nach Norden, bis Frankfurt, weiter in Richtung Köln, vorbei an Limburg bis Ransbach-Baumbach im Westerwald, dem schönen. Dann rechts ab nach Mogendorf, quer durch den Ort, er ist nicht groß, 1300 Einwohner nur. Und wenn es nicht mehr weitergeht auf geteerten Wegen, wenn Wald und Wiese beginnen, steht da ein unspektakulärer weißer Flachbau. Man ist bei Frau Ströder und endlich angekommen.

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Ellen Ströder ist eine zierliche Person, kein Mensch nähme auf den ersten Blick an, dass sie die Chefin einer Bierkrug-Fabrikation ist. Nicht irgendeiner, versteht sich. Sondern der allerletzten Firma in Deutschland, die das traditionelle Steinzeug herstellt, das die Stadt München und die Wiesnwirte alljährlich zum Oktoberfest verkaufen. Ohne Frau Ströder kämen heutzutage alle diese Krüge aus Fernost oder sonstwo. Kein einziger trüge auf der Unterseite mehr die Inschrift: "Made in Germany". Sie, besser gesagt, ihre Firma, ist ein Solitär.

Die Tochter eines Spediteurs, eines von neun Kindern, wäre selbst nicht auf die Idee gekommen, dass sie einmal ihr professionelles Leben als Kannenbäckerin fristen würde. Die junge Ellen wollte Maskenbildnerin werden. Und verliebte sich. In Diethelm, den Sohn vom Mogendorfer Tonmeister Klaus Ströder. Der stellte die grau-blauen Töpfe und Tiegel her, in denen Schmalz und Heringe aufbewahrt wurden. Bombige Geschäfte hat der Schwiegervater damals gemacht, so gut wie alle Feinkosthersteller bestellten bei ihm im Westerwald. Dann begann der Siegeszug des Kunststoffs. Ellen Ströder und ihr Mann, inzwischen im Familienbetrieb beschäftigt, befanden: Ein zweites Standbein muss her. Wir machen jetzt auch in Bierkrügen, in bewährter Qualität des Hauses selbstverständlich.

Eigentlich wollte Ellen Ströder Maskenbildnerin werden. Dann verliebte sie sich in den Sohn eines Tonmeisters in Mogendorf. (Foto: privat)

Und was geschah? Die Firma brummte. 600 000 Krüge pro Jahr, allesamt handgehenkelt. Das ist wichtig, ganz wichtig, das A und O, sagt die Chefin. Mit denen könne man anstoßen, auch kräftig. Sie brechen nicht, echte Wertarbeit. Sie hat selbst gehenkelt in jenen Jahren, musste erfahren, wie es ist, wenn man ein Gefäß hat aus fettem Material und den Henkel aus magerem Ton appliziert. Dann steht über Nacht eine ganze Palette mit Krügen im Trockenraum, deren Griffe sich eigenartig in die Höhe reckten. Kann man niemandem mehr anbieten - bestenfalls noch Ware für einen Polterabend.

Damals waren die Ströders längst nicht die einzigen, die Traditionskrüge herstellten. Im Westerwald, dem alten Kannenbäckerland, gab es in fast jedem Dorf Tonfabrikationen. Bis zur großen Wende, als Produzenten in Fernost den internationalen Markt aufmischten und mit Spottpreisen lockten, ohne handgezogene Henkel natürlich. Der "Asien-Wahn", wie Ellen Ströder es nennt, hatte begonnen. Dieser Versuchung widerstanden die Brauereien, Wirte, Firmen und Verbände nicht, die Krüge verkaufen oder verschenken. Und Ströders deutsche Konkurrenten gingen allesamt ein in diesem bitteren Wettbewerb.

Es war die Zeit, als ihr Mann starb, 1994. Ellen überlegte, ob sie verkaufen sollte. Wäre vielleicht einfacher. Aber wer in einem Familienbetrieb groß geworden ist, gibt so leicht nicht auf. Sie machte weiter, geradezu halsstarrig qualitätsbewusst. Kunden, die es gern preiswerter hätten, erklärt die 58-Jährige kurz und bündig, warum sie niemals darauf verzichten wird, den Krug vor der Glasur und dem Brand von Hand zu reinigen und zu glätten. Geht nicht, ausgeschlossen: "Da steht mein Name drauf. Tinnef gibt's bei Ströder nicht."

Heute werden in Morgendorf nicht mehr 600 000 Krüge hergestellt, aber immerhin noch 250 000. Manche Brauereien, die zwischenzeitlich in China eingekauft hatten, sind als Kunden zurückgekehrt. Früher gab es 30 Angestellte, jetzt sind es noch zehn, die meisten seit Jahren im Haus, allesamt angelernte Kräfte. Reich wird man dort nicht, Ströder zahlt Mindestlohn, die meisten arbeiten im Akkord, machen Überstunden, kommen auf zehn oder zwölf Euro Stundenlohn.

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Alle fünf Jahre, wenn in München die Aufträge für die Jahreskrüge vergeben werden, muss sie zittern. Fernost ist doch so viel billiger. Jedes Mal wird auch der Preis neu verhandelt - sowohl für die glatten Steinkrüge, die direkt aus ihrem Haus kommen, als auch für die Keferloher, denen eine Partnerfirma aus dem Westerwald noch die traditionelle Salzglasur verleiht. Ströder mag nicht über Zahlen reden. Nur so viel: "Mag sein, dass andere ein paar Euro pro Krug verdienen. Wir verdienen an jedem ein paar Cent."

Von der Wiesn allein kann die Firma nicht leben. Man produziert auf Anfrage, auch kleinere Stückzahlen. Ellen Ströder hat Kunden im kongolesischen Kinshasa (auch dort gibt es ein Oktoberfest), die britische Armee bestellt Seidel bei ihr und die Feuerwehr aus Düsseldorf-Hubbelrath. Für eine Autoedelmarke, einen Hersteller exklusiver Uhren und einen Champagner-Produzenten und Glamour-Gastwirte formt sie kleine Krüge mit Firmenlogo, auf Wunsch auch gern mit Platinrand. Aus denen trinkt man dann aber kein Bier, sondern Schaumwein. Passt, sagt Frau Ströder.

Sie selbst trinkt auch kein Bier, lieber Riesling und Champagner. Und wenn sie zum Oktoberfest fährt, eigentlich jedes Jahr, dann fällt ihr auf, dass dort das Bier jedes Jahr teurer wird, nicht aber der Krug. Und sie denkt an die Zukunft und was so wird aus den Aufträgen aus Bayern.

Denn von den Krügen auf der Wiesn kommen auch nicht mehr alle aus Mogendorf. Manche Brauerei, manches Zelt bestellt in Portugal; die offiziellen von Stadt und Wiesnwirten aber kommen aus dem Westerwald. Wie lange noch, fragt sich Ströder manchmal - und lacht. "Ich wüsst' mal gern, was los wäre in München, wenn es hieße, die Krüge kommen aus China."

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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