Sanitätsdienst auf dem Oktoberfest:Mit Hightech-Medizin gegen das Wiesn-Koma

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Sensoren im Ohr, Vitalparameter auf dem Tablet: Damit können die Sanitäter bereits beim Transport ins Servicezentrum Körpertemperatur, Pulsfrequenz und die Sauerstoffsättigung im Blut überwachen. (Foto: Robert Haas)

Computertomograph, zwei OPs, Vital-Sensoren fürs Ohr, Video-Brille und Bodycams für Sanitäter: Das Behandlungszentrum rüstet auf zur Versorgung kleiner Wunden und akuter Notfälle - und bietet genug Platz für Betrunkene, die über Nacht bleiben müssen.

Von Nicole Graner

Zum vierten Mal ist die Aicher Group mit einem medizinischen Servicezentrum auf der Wiesn vertreten. 18 Tage lang ist damit auf dem größten Volksfest der Welt rund um die Uhr die ärztliche Versorgung gewährleistet. 450 Sanitäter und 55 Ärzte werden in dieser Zeit im Einsatz sein. Zwölf Teams mit jeweils fünf Sanitätern werden wieder ihre fahrbaren Notfalltragen so schnell wie möglich durch die Menschenmengen an Einsatzorte schieben - stets die Trillerpfeife im Einsatz, um sich Gehör zu verschaffen. Und eine freie Fahrt.

"Wir haben hier wieder ein Intensivkrankenhaus stehen, in dem alles versorgt werden kann", sagt Wiesnchef Clemens Baumgärtner (CSU). Vieles habe sich in den vergangenen Jahren bewährt. So auch der Computertomograph (CT). Deswegen werde es ihn auch wieder geben.

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Und Baumgärtner nennt Zahlen. 5444 Patienten kamen 2022 ins Wiesn-Krankenhaus. Davon wurden 3381 ärztlich behandelt. 101 Patienten waren akut vital gefährdet. 481 Patienten mussten in den zwei OP-Räumen versorgt werden. Im Anbetracht der sechs bis sieben Millionen Wiesn-Besucher, so Baumgärtner, sei das zum Glück "recht wenig". "Ohne Blaulicht ist die Wiesn ja auch viel schöner." Sagt es und appelliert an alle Wiesn-Besucher, aufeinander Rücksicht zu nehmen und auf den Nachbarn gleich mit aufzupassen.

Der CT ist in einem mobilen Container aufgestellt. Ein großer Raum, ein kleiner. Alles da, alles einsatzbereit. 205 Patienten wurden 2022 mit dem CT untersucht. Die meisten (88 Prozent) konnten wieder entlassen, eine Hirnblutung ausgeschlossen werden. Bei zwölf Prozent wurde laut Kreisverwaltungsreferat eine Hirnblutung festgestellt. Die Rate der Personen, die in eine Klinik transportiert werden mussten, habe sich 2022 im Vergleich zu 2019 von zehn auf acht Prozent reduziert. "Das hat", sagt Wilhelm Flatz, Radiologe am LMU-Klinikum Großhadern, "die Notaufnahmen in den Krankenhäusern signifikant entlastet". Das sei angesichts des Fachkräftemangels enorm wichtig. Und ein CT auf einem Volksfest "einzigartig".

Schnelle Diagnose bei Kopfverletzungen: Der mobile Computertomograph hilft, die Krankenhäuser und Notfallzentren zu entlasten. (Foto: Robert Haas)

Bewährt hätten sich auch die zusätzlichen 20 Betten, sagt Betriebsleiter Michael Belcijan. In Spitzenzeiten wie an einem Freitag- oder Samstagabend, in denen 110 Sanitäter und elf Ärzte im Einsatz seien, sei es gut, weitere Plätze zu haben. Gerade für die sogenannten "Langschläfer" - also jene, die ihren Rausch auf der Wiesn-Station bis zum nächsten Morgen auskurieren. 50 "liegende Behandlungsmöglichkeiten" gibt es laut Chefarzt Philip Kampmann.

Die Aicher Ambulanz auf der Theresienwiese. (Foto: Robert Haas)

Aber es gibt auch Neuerungen. Die schwarze Matte auf der Sanitätstrage zum Beispiel. Sie sieht unscheinbar aus. Aber die gepolsterte Unterlage hat es in sich: Sie ist beheizbar. Bis zu 40 Grad wird sie warm und soll das Auskühlen des Patienten verhindern. "Bei regennassen Tagen ist eine Unterkühlung der Patienten nämlich nicht zu unterschätzen", erklärt Kampmann.

Neu ist auch ein kleines blaues Kästchen, in dem 6,5 Gramm leichte und im Ohr tragbare Sensoren liegen. Diese messen kontinuierlich Körpertemperatur, Sauerstoffsättigung und Pulsfrequenz des Patienten. Schon während des Transports auf den fahrbaren Tragen kann der Sanitäter die Daten dann auf einem Handy oder einem Tablet-Computer abrufen und hat sie ständig vor Augen - ohne den Sichtschutz immer wieder aufklappen zu müssen.

Ein Patient, der Chinesisch spricht? Oder Japanisch? Kein Problem mehr. Sprachbasierte KI soll helfen, dass die Sanis jeden verstehen, der Hilfe braucht. Die Fahrtragen-Teams werden neben der "Kamera-Brille" außerdem auch mit einer Bodycam ausgestattet. So ist die audio-visuelle Kommunikation zwischen Einsatzort und Einsatzzentrale noch besser möglich.

Corona ist kein Thema mehr

Corona ist im Wiesn-Krankenhaus übrigens kein Thema mehr. Man sei aber gerüstet, sagt Belcijan, falls es die Infektionslage notwendig mache. Mit Masken und Schutzkleidung. Aber Gedanken mache man sich da zunächst nicht.

Seit März hat ein zwölfköpfiges Team organisiert und geplant. Was Peter Aicher besonders freut, ist, dass dieses besondere Krankenhaus keine Probleme mit dem Fachkräftemangel hat. "Bei uns gibt es das nicht", sagt er. "Ärzte und Sanitäter haben uns fast die Bude eingerannt. Kaum ist die Wiesn, sind alle wieder am Start, um zu helfen."

Zwei Tage ist das Oktoberfest länger als sonst. Wieviele Patienten dann dieses Mal betreut werden? 2022 wurden bei Schnittverletzungen und Platzwunden in den OPs an die 217 Meter Faden vernäht. In diesem Jahr könnten es mehr Meter werden. Denn am letzten langen Wochenende, glaubt Chefarzt Philip Kampmann, ist sicher mit sehr vielen Menschen zu rechnen. Wohl dann auch im Wiesn-Krankenhaus.

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