"Ok_Delay":Ping Pong: Kunst

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Das Online-Projekt "Ok_Delay" setzt auf kollektive Kreativität

Von Jürgen Moises, München

Wie wir die Welt sehen und verstehen, das ist von unseren Erfahrungen und Körpersinnen abhängig. Sowie von unserer Sprache, mit der wir unsere Erkenntnisse formulieren. Die Folge ist, dass es statt einer objektiven Wahrheit nur konstruierte, individuelle Wirklichkeiten geben kann. Und nur weil jemand anders denkt, heißt in dem Fall nicht, dass er deshalb ein Idiot ist. Sondern nur, dass er "sich eben eine andere Wirklichkeit konstruiert" hat. So in etwa hat es jedenfalls der konstruktivistische Denker und Psychotherapeut Paul Watzlawick betrachtet. Und wenn man sich aktuell die sogenannten Filterblasen im Internet, in sozialen Medien wie Facebook oder Telegram anschaut, dann könnte man das als Beleg für diese Thesen sehen.

Dass sich jeder Mensch "sein eigenes Konstrukt" baut, das sieht jedenfalls auch Lina Zylla so. Und dass die Welt mit vielen Widersprüchen durchsetzt ist. Die Lösung? Vielleicht dass wir nicht jeder an unserem eigenen Konstrukt basteln, sondern stattdessen gemeinsam welche kreieren. Dank Lina Zylla und ihren Künstler-Kolleginnen Andrea Lesjak und Stephanie Müller ist genau das sogar im Lockdown, von unseren Wohnzimmern aus möglich. Denn die von den dreien initiierte, kollektive, interaktive Kunstaktion "Ok_Delay - Im Zweifel für den Widerspruch" ist auf der Blog-Seite des Lenbachhauses sowie auf Soundcloud verortet. Wer mitmachen will, der kann das über die jeweiligen Webseiten oder direkt über die Mail-Adresse ok.delay.lenbachhaus@gmail.com tun.

Das heißt: Man kann an Lesjak, Müller und Zylla Töne, Musik, Audiofragmente, aber auch Texte, Fotos oder Filme schicken, auf die sie dann in Form von Hörstücken reagieren. Mit einem ersten Stück ist das Ganze vor etwa zwei Monaten gestartet. Dafür haben die drei, erzählt Lina Zylla am Telefon, vorwiegend eigene Aufnahmen sowie Klangmaterial aus dem Lenbachhaus benutzt. Das zweite, etwa vor zwei Wochen publizierte und mit Gästen wie Harald Wanderwitz und Zoro Babel eingespielte Stück enthält dagegen auch schon via Internet eingesandtes Material. Dazu zählt neben "Bits & Bytes" von zwei Frauen aus Althegnenberg bei München etwa auch ein Videoschnipsel aus einer Serie, den jemand aus Los Angeles geschickt hat.

Der nächste Release ist für den Januar geplant, und danach soll es im zweimonatigen Rhythmus interaktiv im Ping Pong hin und her gehen. Eine Vorgehensweise, die an das musikalische Kollaborativ-Projekt "Alligator Gozaimasu" von Stephanie Müller erinnert. Mit dem Unterschied, dass "Ok_Delay" laut Zylla nicht so weit gesteckt ist und die akustischen Ergebnisse stärker von den Entscheidungen und Charakteren der drei Künstlerinnen geprägt werden. Ein weiterer Unterschied: Das Projekt hängt mit der im September zu Ende gegangenen Ausstellung "Radio-Aktivität" im Lenbachhaus zusammen, das als Museum, erzählt Lina Zylla, allgemein in Zukunft stärker auf kollaborative Projekte setzen wolle.

Im Lenbachhaus sollte "Ok_Delay" auch präsentiert werden. Aber wegen Corona wurde daraus nun ein reines Internetprojekt. Eines, das vielleicht tatsächlich auch mithelfen kann, gemeinsam kreativ und konstruktiv den kommenden Corona-Winter gut zu überstehen. "Jeder kann seine Wahrheit mit einbringen", so Zylla, die mit Lesjak und Müller auch ein Musikvideo zu dem Projekt gedreht hat. Ein "politisches Sprachrohr" sieht sie in "Ok_Delay" deswegen aber nicht. Viel spannender sei für sie, wie sich verschiedene Dinge miteinander verbinden. Und dann zu sehen, wie daraus etwas Neues, eine neue Wirklichkeit entsteht.

Ok_Delay - Im Zweifel für den Widerspruch , zu finden über: www.lenbachhaus.de/blog/

© SZ vom 19.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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