Obermenzing:Fundamentalkritik an der Stadtplanung

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60 Bürger kapern die Sitzung des Bezirksausschusses und verurteilen Nachverdichtungs- und Neubauprojekte

Von Thomas Kronewiter, Obermenzing

Es ist die vorletzte Vollversammlung der bald endenden sechsjährigen Amtsperiode, als die Sitzung des Bezirksausschusses Pasing-Obermenzing am Dienstag zum Tribunal gerät. Fünf bis sechs Dutzend Bürger sind in den Pfarrsaal von Leiden Christi gekommen, ihre Transparente haben sie gleich mitgebracht. Mehrere Bürgerinitiativen sind vertreten, klagen über das umstrittene, wenngleich aufgrund der Proteste auf Eis gelegte Projekt einer Bebauung der sogenannten Erdbeerenwiese im Nordwesten der Stadt. Viele sind auch nicht einverstanden mit dem am Abend vorgelegten Plan von FDP und CSU, durch einen neuen Sportcampus an der Stuttgarter Autobahn A 8 die Bezirkssportanlage an der Meyerbeerstraße dort mittelfristig überflüssig zu machen und vielleicht auf diesem Areal die Schule zu bauen, die man dann nicht auf der Erdbeerenwiese platzieren müsste. Und sie protestieren auch gleich noch gegen ein Projekt für bis zu 1200 Wohnungen auf einem Areal wischen Dreilingsweg und Mooswiesenstraße.

90 Minuten lang lassen sie ihren Unmut über die Stadtteilpolitiker herabregnen, einer nach dem anderen rückt in einer Schlange hinter dem Vorstandstisch nach vorn, übernimmt das Mikrofon. Nur wenige haben andere Anliegen oder unterstützen eine der umstrittenen Planungen. Eineinhalb Stunden lässt der Bezirksausschuss-Vorsitzende Romanus Scholz (Grüne) die Bürger reden, nahezu unmoderiert. Nur dass jeder auch einen Meldezettel mitbekommt, um ihn bei all diesen Projekten auf dem Laufenden zu halten, darauf achtet der Gremiumschef penibel. Da ist in den Ansprachen von "Entscheidungen" die Rede, welche die Anwohner erwarteten, nicht Vertagungen. "Die Bürger fühlen sich nicht vertreten in ihren Anliegen", kriegt der versammelte Bezirksausschuss zu hören. Andreas Ellmaier, ein Amtsvorgänger Scholz', wehrt sich gegen Anschuldigungen, er habe in Sachen Erdbeerenwiese die Anwohner "aufgewiegelt". Er pocht gleichwohl auf die mehr als 3000 Unterschriften gegen eine Bebauung der Frischluftzone zwischen Obermenzing und Untermenzing, "und die Aktion geht weiter".

Die Erdbeerenwiese zwischen Obermenzing und Untermenzing. (Foto: Florian Peljak)

Kaum einer der Bürger will hören, dass im Bürgergremium, das dazu ohnehin nur angehört wird, niemand für eine Betonierung der Erdbeerenwiese ist. Auch dass die Vertagung nun die Chance eröffnet, eine gemeinsame Lösung mit den Untermenzinger Nachbarn zu sondieren, die an einer Entlastung ihres aus allen Nähten platzenden Schulzentrums an der Pfarrer-Grimm-Straße höchstes Interesse haben, geht eher unter. Dass es der ehemalige Bürgermeister Josef Schmid (CSU) gewesen sei, der die Erdbeerenwiese ins Gespräch gebracht habe, findet viel mehr Interesse.

Ausgerechnet Christian Müller, Bezirksausschuss-Mitglied und Chef der Rathaus-SPD, nimmt den politischen Konkurrenten in Schutz, verweist auf die Notwendigkeit, preiswerten Wohnraum zu schaffen und eine Lösung für die Schulmisere im Nordwesten zu finden. Und Frieder Vogelsgesang, Stadtrat und CSU-Sprecher im Bezirksausschuss, überrascht die meisten Anwesenden mit der Information, die Schul-Option für die Erdbeerenwiese zwischen Ober- und Untermenzing habe der frühere Bürgermeister nur ins Gespräch gebracht, weil es Pläne gegeben habe, dort eine Unterkunft für 300 Flüchtlinge zu bauen.

Demonstrieren für einen Acker. (Foto: Sebastian Gabriel)

Wie sehr die Nerven blank liegen, zeigt sich, als Sonja Haider (ÖDP) dies anzweifelt. Dass sie der CSU diesbezüglich eine Falschinformation unterstelle, erwidert einige Redner später Winfried Kaum (CSU), sei "bodenlos und frech". Die CSU jedenfalls, maßgeblich angestoßen von FDP-Politiker Herbert Brüser, kann sich eine Alternative für die verschachtelte Infrastruktur-Problematik vorstellen, wie Frieder Vogelsgesang erläutert. Ein neuer Sportcampus an der A 8, unweit des Kreisels an der Verdistraße und nördlich des Obermenzinger Friedhofs, könnte Rasenspielfelder für Fußball und Hockey, eine Dreifachturnhalle mit bis zu 2500 Plätzen, eine Schwimmhalle, Tennisplätze, ein Clubhaus, Skater- und Trendsport sowie eine Bogenschießanlage aufnehmen. Nur eine Machbarkeitsstudie fordert die Allianz aus FDP und CSU zunächst. Und zuerst müsse der Campus stehen, bevor die Sportanlage an der Meyerbeerstraße dort für Schulbauten freigegeben werden dürfe. Mit den Bürgern zusammen wolle man dies diskutieren.

Für die SPD ist das der falsche Weg. Wohnortnah brauche man die Sportflächen, sagt Christian Müller, verweist auf die Kosten einer Verlagerung, auf naturschutzrechtliche Hürden und auf "massig neuen Verkehr", den man generiere. "Es ist sinnlos, da weiterzumachen." Auch Helmut Rothballer, Sprecher der Interessengemeinschaft Alte Allee/Bergsonstraße, hält diese Idee für "geradezu abenteuerlich". Am Ende blieben von der Natur lediglich "ein paar hässliche Randstreifen". Sven Wackermann (CSU) betont indes, ein Campus an der A 8 wäre nur 700 Meter weiter entfernt als die Meyerbeerstraße. Wenn man eine Bebauung der Erdbeerenwiese verhindern wolle, müsse man Alternativen bieten. "Sie ärgern sich nur, dass Ihnen das nicht selbst eingefallen ist."

Die Abstimmung über die Machbarkeitsstudie endet für die Campus-Initiatoren in Bestürzung: FDP und CSU bringen es nur auf exakt die Hälfte aller Stimmen - bei Stimmengleichheit aber ist ein Antrag abgelehnt. "Viel Arbeit für den Papierkorb", sagt Constanze Söllner-Schaar (SPD). Im Stadtrat hat die CSU den Antrag auf eine Machbarkeitsstudie aber auch gleich noch eingereicht.

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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