Obergiesing:Mehr Fragen als Antworten

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In hochverdichteten Vierteln erhöhen Parks und Grünflächen die Lebensqualität: Spaziergänger vor der Heilig-Kreuz-Kirche am Giesinger Berg. (Foto: Catherina Hess)

Freiflächen zu Zeiten von Wohnungsmangel und Bauboom, Orte der Begegnung in der anonymen Großstadt: Die Giesinger Gespräche kreisen um das Thema öffentlicher Raum

Von Hubert Grundner, Obergiesing

Winfried Eckardt, der Leiter der Münchner Volkshochschule im Stadtbereich Ost, ist als ein Moderator von Diskussionen bekannt, dem es gelingt, auch komplexe Themen in bündigen Thesen zusammenzufassen und verständlich zu machen. Davon durften sich jetzt wieder die rund 30 Zuhörerinnen und Zuhörer überzeugen, die zur fünften Auflage der "Giesinger Gespräche" gekommen waren. "Platz da! - Freiflächen und öffentlicher Raum in Giesing" lautete das Thema, über das Eckardt mit seinen Gästen sprechen wollte. Allerdings dürfte er kaum einmal so viele Fragezeichen bei der Eröffnung benutzt haben wie an diesem Abend: Was passiert mit dem Stadtviertel angesichts der fortschreitenden Verdichtung? Natürlich würden Schulen, Kindergärten und ähnliches benötigt, ebenso wichtig seien aber Freiflächen und Grünplanung. Und am Ende heiße es dann, so Eckardt: Wem gehört der öffentliche Raum? Wer hat Anspruch auf wie viel Fläche? Sind dort nur möglichst saubere und gepflegte Menschen erwünscht? Oder dürfen sich dort auch die etwas "struppigeren", ganz und gar nicht hippen und vielleicht sogar etwas "riechenden" Münchner aufhalten? Wie kommen laute und leise Nutzer, Hundehalter und Spaziergänger miteinander aus? Bleiben den Giesingern ihre Grünflächen überhaupt erhalten, und wie geht die Stadtgesellschaft damit um?

Alleine diese Einleitung verdeutlichte, mit welcher Masse an Definitionen und Bedeutungen der Begriff des öffentlichen Raums aufgeladen ist. Kein Wunder also, wenn Eckardt abschließend versuchte, das Spielfeld der Diskussion einzuengen: "Heute soll es vor allem um die wohnortnahen Grünflächen gehen." Viel überschaubarer, das zeigte sich im Verlauf des Abends schnell, wurde das Thema dadurch aber nicht. Was keinesfalls als Vorwurf zu verstehen ist: Man begab sich gemeinsam auf ein weites Feld, das in alle Richtungen abzuschreiten vermutlich unmöglich ist.

Florian Hochstätter beispielsweise, der neue Leiter der Gartenbau-Abteilung im Baureferat, sieht als eine seiner Herausforderungen in Obergiesing die Fertigstellung des Walchenseeparks. Wobei das Ende des dritten Bauabschnitts in greifbarer Nähe ist. Umso mehr rücken Tegernseer Landstraße und vor allem der Tegernseer Platz in seinen Fokus: ein wichtiger Ort, an dem Aufenthaltsqualität zu schaffen aber sehr schwierig sei, da es gelte, die unterschiedlichsten Interessen unter einen Hut zu bekommen.

Birgit Knoblach (SPD) vom Bezirksausschuss Obergiesing-Fasangarten plädierte dafür, über einige sehr gelungene Projekte wie Weißensee- und Agfa-Park nicht das Grün in vielen Hinterhöfen zu vergessen. Auch dort gebe es schöne kleine Anlagen, die man weiter fördern sollte. Auch von der Umgestaltung des Scharfreiterplatzes erhofft sie sich einiges. Ansonsten aber brauche man in Zukunft mehr Flächen, die Kreativität zulassen und frei zugänglich sind. Gelungenes Beispiel für sie: der Grünspitz, "da entsteht etwas, da ist bereits etwas entstanden". Knoblach machte aber auch deutlich, wie umkämpft die begrenzten freien Flächen sind: "Wir leben in einem hochverdichteten Stadtteil, und daran wird sich wenig ändern." Ausdrücklich betonte sie die Notwendigkeit, neue Wohnungen zu bauen. Aber auch Kleintiere und Insekten bräuchten Lebensräume, weshalb im Grunde alle Grünflächen so weit als möglich erhalten bleiben sollten.

Doch selbst bei scheinbar unumstrittenen Forderungen wie diesen ist der nächste Konflikt nicht weit: Und so begrüßt der eine Büsche, in denen sich Spatzen wieder tummeln können, während der andere die Büsche weg haben will, da er andernfalls zu nächtlicher Stunde um seine Sicherheit fürchtet.

Dass öffentlicher Raum nicht nur unter dem Aspekt der Erholung oder des Naturschutzes gesehen werden kann, verdeutlichte Gülseren Demirel. Für die Landtagsabgeordnete (Grüne) ist der Grünspitz exemplarisch ein Platz, der für die Menschen im Viertel wieder zugänglich gemacht worden ist. Früher residierte hier ein Gebrauchtwagenhändler, jetzt fördere dieser Ort die soziale Interaktion. Und diese Funktion müsse öffentlicher Raum unbedingt erfüllen, damit die Menschen in der Stadt den Kontakt zueinander nicht verlieren. Womit man nahe an der griechischen Agora wäre, also dem Marktplatz, der zugleich Umschlagplatz der politischen und sozialen Thesen und Stimmungen ist und der Selbstvergewisserung einer Gesellschaft dient. Ganz allgemein forderte Demirel "auch Tabuflächen, damit man nicht immer wieder neu darüber diskutieren muss, ob etwas bebaut oder sonst wie genutzt wird".

Als leidenschaftlicher Kämpfer für den Erhalt dessen, war für ihn Lebens- wie auch Identifikationsraum ist, wurde Klaus Bäumler spätestens bekannt, als er sich gegen den Bau eines neuen Konzertsaals im Finanzgarten einsetzte. Insofern genoss der Leiter des Arbeitskreises Öffentliches Grün im Münchner Forum eine Art Expertenstatus in der Runde. Obwohl am Ende erfolgreich, habe ihn dieser Kampf gelehrt, dass selbst einmalig wertvolle Grünanlagen wie der Finanzgarten "offenbar nicht unantastbar sind". Und die Begehrlichkeiten, im Zeichen des Wohnungsmangels neuen Baugrund zu erschließen, nehmen weiter zu. Wie also erhält man, fragte Winfried Eckardt, möglichst effektiv Grünanlagen für kommende Generationen? "Am wichtigsten sind dabei die Menschen, die diese Grünanlagen nutzen und schätzen", antwortet darauf Bäumler. Man könnte mit seinen Worten auch von "standhafter Inbesitznahme" sprechen.

© SZ vom 04.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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