Obergiesing:Lob und Lamento

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Im Sommer wurde der Alpenplatz für zwei Monate zur saisonalen Fußgängerzone, und die Edelweißstraße war nur in einer Richtung befahrbar. Die Anwohner beurteilen den Pilotversuch höchst unterschiedlich. Nächstes Jahr soll der Stadtrat entscheiden, welche Umbauten erfolgen

Von Hubert Grundner, Obergiesing

"Die Zukunft war früher auch besser", hat schon Karl Valentin konstatiert. Stiegen die Deutschen einst in ihre Autos, um den Traum einer scheinbar grenzenlosen Mobilität auszuleben, so sitzen sie heute in ebendiesen Blechkisten ziemlich oft und ziemlich missgelaunt in einem Stau fest. Gerade in der Stadt ist der Straßenraum, wie überhaupt der öffentliche Grund, inzwischen zu einem knappen Gut geworden, um das heftig gerungen wird. Wobei nicht nur motorisierte Zeitgenossen lautstark ihre Interessen vertreten, sondern auch Fußgänger und Radfahrer den ihnen gebührenden Raum einfordern.

Dass dabei die unterschiedlichen Interessen kollidieren, das ließ sich am Mittwochabend bei einer Infoveranstaltung zur saisonalen Fußgängerzone am Alpenplatz gut beobachten: Etwa 40 Anwohner waren der Einladung des Bezirksausschusses (BA) Obergiesing-Fasangarten sowie zweier städtischer Referate in das Restaurant Alpenhof gefolgt. "Wir sind sehr gespannt, wie Sie es erlebt haben", sagte die BA-Vorsitzende Carmen Dullinger-Oßwald (Grüne) zur Begrüßung der Gäste - eine Aufforderung, derer es nicht bedurft hätte. Gegner und Befürworter legten gleich ungebremst los - was leider in Kombination mit dem hohen Geräuschpegel in der Gaststätte dazu führte, dass in den folgenden rund zwei Stunden etliche Redebeiträge nicht zu verstehen waren.

Für acht Wochen, vom 13. Juli bis zum 8. September, wurden am Alpenplatz eine saisonale Fußgängerzone und in der Edelweißstraße eine unechte Einbahnstraße - befahrbar nur in Richtung Nockherberg - eingerichtet. Jetzt gehe es darum, wie Moderator Torsten Müller von der Münchner Gesellschaft für Stadterneuerung (MGS) erklärte, nach dem Ende der Testphase Rückschau und Ausblick zu halten.

"Wir hatten den politischen Auftrag, neu über den Straßenraum beziehungsweise dessen künftige Nutzung nachzudenken": So fasste die Verkehrsplanerin Katja Beaujean vom Planungsreferat die Vorgeschichte des Projekts zusammen. Jetzt sollten Bürgerinnen und Bürger von ihren Erfahrungen berichten, diese sollten dann in die weiteren Planungen aufgenommen werden, so Beaujean. Schon in der Testphase habe zudem ein extern beauftragtes Büro Verkehrszahlen erhoben. Dabei habe sich gezeigt, dass das Verkehrsaufkommen infolge der Einbahnstraßenregelung in der Edelweißstraße um bis zu 40 Prozent gesunken sei. Eine Aussage, die von mehreren Anwohnern allerdings heftig bestritten wurde.

Gleiches galt auch für Beaujeans Erläuterung, dass zwar mehr als 20 Parkplätze der Fußgängerzone zum Opfer fielen und die übrigen abends dann voll ausgelastet waren, von extrem negativen Folgen für den motorisierten Verkehr aber keine Rede sein könne. Denn die Mitarbeiter der Verwaltung hätten nicht beobachten können, dass in Folge des Pilotprojekts das rechtswidrige Parken ("für uns ein entscheidender Indikator") im Umfeld übermäßig zugenommen hätte. Worauf einige Zuhörer mit offenem Widerspruch reagierten.

Der ruhende Verkehr nahm auch in der folgenden Diskussion großen Raum ein. So berichteten Redner von vergrätzten Handwerkern, die keine Parkplätze fanden. Ein Nachbar aus der Tegernseer Landstraße beschrieb die saisonale Fußgängerzone als "Schildbürgerstreich - einmal und nie wieder". Er erinnerte daran, dass in dem Gebiet fast kein Anwohner eine Garage habe, der Verlust der Stellplätze treffe viele hart. Ähnlich äußerte sich eine Frau aus dem Anwesen Alpenplatz 2: Sie sei beruflich auf ihr Auto angewiesen und habe abends bei ihrer Rückkehr zum Teil eine Stunde lang einen Parkplatz gesucht.

Massive Beschwerden wurden auch wegen der Müllberge vorgebracht, welche die Besucher des Alpenplatzes hinterließen. Von einigen Zuhörern wurden diese wiederum für eine Rattenplage verantwortlich gemacht, die es gegeben habe. Vor allem wurde immer wieder der Lärm bis in die späten Abendstunden moniert.

Es meldeten sich aber auch in etwa gleich viele Befürworter einer Verkehrsberuhigung zu Wort. So sei der Alpenplatz in der Zeit zu einer echten Begegnungsstätte geworden, "das ist eine schöne Sache", freute sich ein Mann. Außerdem erfahre das Quartier durch eine solche Umgestaltung eine wirtschaftliche Aufwertung. Eine Frau aus der Edelweißstraße bestätigte, dass der Verkehr dort deutlich abgenommen habe - "wir waren sehr begeistert".

Ob nun Befürworter oder Gegner des Projekts in der Mehrzahl sind, lässt sich nach einem solchen Infoabend nicht gesichert behaupten. Dies räumte am Schluss auch Moderator Torsten Müller ein. In einem aber dürfte Übereinstimmung herrschen: Die Stadt des 21. Jahrhunderts wird für ihre Bewohner noch größere Zumutungen bereithalten, wie ein Mann meinte. Heinz Grünberger als Vertreter des Baureferats erklärte jedenfalls: Alle negativen und positiven Rückmeldungen der Bürger würden aufgenommen und in einen Entwurf zu einer Umgestaltung von Alpen- und Edelweißplatz eingearbeitet. Der soll im ersten Halbjahr 2020 dem Stadtrat zur Entscheidung vorgelegt werden.

© SZ vom 08.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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