Obergiesing:Auf verlorenem Posten

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Mieter mit wenig Geld können sich nach der Sanierung des Hauses ihre Wohnung oft nicht mehr leisten. Und manchmal geht man mit ihnen nicht gerade zimperlich um, wie ein Beispiel aus der Alpenstraße zeigt

Von Hubert Grundner, Obergiesing

"Das Haus ist sanierungsbedürftig, daran besteht ja kein Zweifel. Worum es mir geht ist, wie man mit den Mietern umgeht", sagt Manuela S. Solche Zweifel wären dem Besucher auch nicht gekommen: Das alte Mietshaus an der Alpenstraße 8 ist eingerüstet, die Eingangstür im Erdgeschoss ist offenbar selbst nachts unverschlossen, im Treppenhaus ist es eiskalt, alles ist mit Staub und Dreck bedeckt, die Luft riecht muffig-modrig. Beim Hochsteigen sieht man offenstehende Wohnungstüren, in der Dunkelheit gleich jenseits der Schwelle verliert sich der Blick wie in einer tiefen Höhle. Trotzdem wohnen hier noch Menschen: eine Familie mit vier Kindern in einem Stockwerk, die aber demnächst ausziehen muss, und in einem weiteren eben Manuela S.

Die Wohnung, in welche die zierliche 50-jährige Frau bittet, kann man kaum ein Zuhause nennen. Ein Notquartier, das sie beziehen musste, wollte sie nicht auf der Straße stehen, nachdem ihre eigentliche Wohnung am anderen Ende des Gangs nach einem Wassereinbruch unbewohnbar geworden war. Und so versucht sie in dem wilden Durcheinander ihrer Habseligkeiten, die überstürzt in die "fremden" Räume geschafft werden mussten, zurechtzukommen. Die nicht beheizbare Küche und ein unbenutzbares, schmutzstarrendes Bad machen die Misere komplett.

1976 ist die gebürtige Münchnerin mit ihren Eltern an der Alpenstraße eingezogen. Manuela S. besuchte die Ichoschule und machte anschließend eine Konditorlehre. Als 18-Jährige zog sie aus, um schließlich 1999 in die elterliche, circa 68 Quadratmeter große Wohnung zurückzukehren. "Die Miete war sehr günstig", sagt Manuela S., die aktuell inklusive Nebenkosten 402 Euro bezahlt. Allerdings war die Wohnung beim Einzug 1976 auch "komplett leer" - Gasöfen und -leitungen, Badewanne und Waschbecken bauten die Eltern selbst ein. Statt eines Mietvertrags galt damals noch ein Handschlag, bezahlt wurde monatlich in bar, den Empfang des Geldes ließen sich die Mieter in einem Mietbüchlein quittieren. Das ging so bis 2007. Erst danach schloss Manuela S., rückwirkend bis 1999, einen schriftlichen Mietvertrag mit dem Hausherrn.

Schwere Zeiten: Manuela S. sieht sich als Opfer der Sanierung des Hauses an der Alpenstraße 8. (Foto: Matthias Ferdinand Döring)

Das Verhältnis zu ihm war über die Jahre hinweg gut, so Manuela S., persönlich erlitt sie hingegen mehrere Tiefschläge. 2015 wurde für sie dann zu einem Schicksalsjahr: Ihr Lebenspartner starb, und nachdem sie bereits mit chronischem Bronchialasthma zu kämpfen hatte, erkrankte sie auch noch an Krebs. Sie konnte nicht mehr arbeiten, wurde als zu 60 Prozent schwerbehindert eingestuft und bezieht seitdem eine Erwerbsminderungsrente.

Im September 2015 teilte ihr der Eigentümer mit, dass er das Haus verkaufen wolle. Die Stadt habe ihr Vorkaufsrecht geprüft, es aber nicht wahrgenommen. Stattdessen, so Manuela S., kam die "MH Alpenstraße 8 GbR" zum Zug. Im Frühjahr 2016 teilte diese mit, die bestehenden Mietverträge übernehmen zu wollen. "Wir haben gedacht, okay, es geht weiter", schildert Manuela S. ihre erste Reaktion damals.

Stattdessen erschien kurz darauf der Bauleiter, der ihr erklärte, sie und die anderen Mieter müssten relativ schnell raus, weil das Haus saniert werde. Manuela S.' Verweis auf ihren gültigen Mietvertrag und ihre angeschlagene Gesundheit verfing aber anscheinend ebenso wenig wie ihr Angebot, auszuziehen, wenn man ihr eine gleichwertige, bezahlbare Wohnung anbiete. Stattdessen kamen 2016 in der zweiten Jahreshälfte Arbeiter ins Haus, sanierten die Straßenfassade und Dächer. Spätestens da begann für Manuela S. eine Zeit, in der sie nach eigenem Empfinden zermürbt werden sollte: Im Oktober traf der erwähnte Wasserschaden ihre Wohnung, und etwa zwei Monate später ließ der zuständige Bauleiter diese Wohnung aufbrechen.

Auf diese und weitere Vorhaltungen hat nun Günter Haslreiter geantwortet. Er ist Geschäftsführer der "Günter Haslreiter Immobilien & Vermögensverwaltung", des Verwalters der Liegenschaft. Mit der Generalsanierung des Anwesens Alpenstraße 8 sei wiederum die "Haslreiter GmbH, Mit Farbe & System" beauftragt. Weiter schreibt Günter Haslreiter, man habe der Mieterin nach dem Wasserschaden "eine wesentlich größere Wohnung im Vordergebäude angeboten", die diese auch bezogen habe. Sie bewohne nun sogar zwei Wohnungen, bezahle dafür aber nur soviel Miete wie zuvor, "und beschwert sich täglich, da die neue Wohnung nicht ihren Ansprüchen genügt". Allerdings bezeichnet Haslreiter selbst die alte Wohnung als unbewohnbar. Und er stellt auch fest: "Wir kommunizieren seit Monaten nur noch über den Mieterverein ..." und mit ihrer Anwältin.

Auch von außen sind die Renovierungsarbeiten an dem Wohnhaus sichtbar. (Foto: Matthias F. Döring)

Zur Erkrankung der Mieterin sagt Haslreiter, ihm seien "gewisse gesundheitliche Einschränkungen" bekannt. Über ihren genauen Gesundheitszustand habe sie sein Unternehmen aber bis dato nicht informiert. Tatsächlich hat der Mieterverein in Vertretung von Manuela S. jedenfalls den neuen Eigentümer am 5. Oktober 2016 darüber explizit aufgeklärt.

Nur knapp äußert sich Haslreiter auch zu einem anderen Punkt: "Einen Wassereinbruch an einem 100 Jahre alten Dach kann man nicht voraussagen." Dazu fällt Manuela S. wesentlich mehr ein. "Los ging's um 23.30 Uhr in der Nacht vom 17. auf den 18. Oktober. Es hat stundenlang geregnet, das Wasser lief das Treppenhaus hinunter, und niemand war zu erreichen." Schließlich alarmierte sie die Feuerwehr, die drei Mal im Verlauf der Nacht anrückte. Auch der Notarzt musste kommen, um sich um Manuela S. zu kümmern. Erst morgens um 7.45 Uhr habe ein Feuerwehrmann jemanden in der Firma Haslreiter erreicht. Später hieß es, so Manuela S., am Dach sei gearbeitet worden. Nur habe die beauftragte Firma das geöffnete Dach nicht abgedeckt. Manuela S.' Wohnung war jedenfalls hinüber, sie musste ihre Sachen überstürzt in die andere Wohnung schaffen lassen. Dabei waren zur Zeit des Wassereinbruchs dort gar keine Dacharbeiten angekündigt gewesen: Laut Terminplan der Dachdeckerfirma hätten Arbeiten am Dach des Rückgebäudes erstmals am 26. Oktober vorigen Jahres erfolgen sollen.

Unklar bleiben Haslreiters Auskünfte in einem weiteren Punkt: In einem Schreiben an den Mieterverein, das am 16. Dezember 2016 eingegangen war, teilte die "MH Alpenstraße 8 GbR" mit, dass man bis 18. Dezember einen Termin zur Besichtigung von Manuela S.' Wohnung ausmachen müsse. Als Grund wurde die "Antragstellung auf denkmalschutzrechtliche Erlaubnis" genannt, die eine Foto-Dokumentation nötig mache. Da das Schreiben zu kurzfristig eingegangen war, bat der Mieterverein die "MH Alpenstraße 8 GbR" um Aufschub. Dazu kam es aber nicht. Stattdessen wurde Manuela S.' alte Wohnung am 22. Dezember ohne ihre Einwilligung geöffnet.

Das bestreitet Günter Haslreiter nicht. Man habe an dem Tag in der Wohnung darunter Wasser an der Decke festgestellt, erklärt er das eilige Vorgehen. "Wegen Gefahr in Verzug" sei man dann in Manuela S.' alte Wohnung eingedrungen. Danach habe man die Wohnung, die nunmehr kein Schloss mehr hatte, mit einem Vorhängeschloss zugesperrt. Einen Schlüssel dafür habe man am 23. Dezember in Manuela S. Briefkasten geworfen. Allerdings fand Manuela S. nicht nur den Schlüssel vor, sondern auch ein Schreiben von "Haslreiter - Mit Farbe und System" mit dem Hinweis: "..., damit Sie Ihre alte Wohnung abschließend räumen können."

Manuela S. hält Haslreiters Begründung für einen bösen Scherz. Der Wasserschaden am Dach ereignete sich im Oktober. "Wochenlang ließ sich danach niemand blicken, und auf einmal wollen sie plötzlich am 22. Dezember ,Gefahr in Verzug' bemerkt haben", sagt sie, schüttelt den Kopf und fügt hinzu: "So geht man doch nicht mit Menschen um." Hoffnung, eine Wohnung zu finden, hat sie keine mehr.

© SZ vom 10.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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