Oberföhring:Am Anfang stand die Leselust

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Die öffentliche Bücherei der Vaterunserkirche und von St. Thomas in Oberföhring wird seit 50 Jahren von Ehrenamtlichen am Leben gehalten. 1967 begann die Erfolgsgeschichte mit 250 Bänden in zwei Schränken, vergangenes Jahr entliehen 860 Besucher 46 000 Medien

Von Corbinian Wildmeister, Oberföhring

"Wenn ich mir die Bücher alle kaufen würde, wüsste ich bald nicht mehr, wohin damit." Die Mittvierzigerin mit dem Kurzhaarschnitt durchstöbert die Regale und lacht. Ihren Namen will sie nicht nennen, aber sie ist keine Unbekannte für die rein ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen der öffentlichen Bücherei in Oberföhring, deren 50-jähriges Bestehen beim Büchereifest an diesem Samstag gefeiert wird. Mit rund 150 Büchern, die sie sich im vergangenen Jahr ausgeliehen hat - hauptsächlich Krimis und Romane - ist die Dame aktuell sogar die eifrigste Leserin. Bereits seit 18 Jahren kommt sie ungefähr alle drei Wochen in den Gemeindesaal am Fritz-Meyer-Weg 11, um dort ihre große Tasche mit einem Stapel neuer Bücher zu füllen. "Zum ersten Mal war ich hier, nachdem ich von der städtischen Bücherei eine fette Mahnung bekommen hatte", erinnert sich die Stammkundin. Hier in Oberföhring sei man deutlich kulanter, wenn ein Buch nicht rechtzeitig zurückgegeben werde. Ein weiterer Vorteil: Sie wohne praktisch direkt um die Ecke.

Eigentlich war auch Doris Meister nur auf der Suche nach neuem Lesestoff, als sie 1990 gerade mit ihrer Familie nach Oberföhring gezogen war. Doch schon kurz darauf war ihr Interesse geweckt: Sie wollte selbst in der ökumenischen Bücherei der Vaterunserkirche und von St. Thomas aushelfen. Heute leitet sie sie, zusammen mit ihrer Kollegin Hannelore Neugebauer. "Ohne ehrenamtliche Helfer müsste die Bücherei schließen. Das könnte man ja gar nicht bezahlen", berichtet die 59-Jährige. Nur mit der Unterstützung von 18 weiteren Frauen war es möglich, im vergangenen Jahr rund 46 000 Medien an fast 860 Besucher zu verleihen.

Lesen und Vorlesen: Doris Meister (rechts) und die dienstälteste Helferin Christine Hartig sind nur zwei aus einem Team von annähernd 20 Mitarbeitern. (Foto: Florian Peljak)

Eine dieser Helferinnen ist Christine Hartig. Seit 40 Jahren engagiert sich die 72-Jährige in der Bücherei. Damit ist sie zwar nicht die älteste, aber immerhin die dienstälteste Mitarbeiterin. "Angefangen hat alles ganz bescheiden", berichtet Hartig. Mit zwei Bücherschränken und 250 Bänden, gestiftet vom Evangelischen Büchereiverband, wurde die Bibliothek 1967 in der Notkirche am Föhringer Markt ins Leben gerufen. In der Chronik der Vaterunsergemeinde schildert Pfarrer Paul Gerhard Diez die schwierige Ausgangslage im Stadtviertel vor der Büchereigründung: "Die Großsiedlung Oberföhring war ja, nicht anders als andere Neubaugebiete auch, kulturell eine ziemliche Ödnis." Zwar gab es wohl einen städtischen Bücherbus, aber es habe "eine Stätte der Begegnung" gefehlt. Die ausgebildeten Bibliotheksassistentinnen Doris Meister und Christa Hartig sind sich einig: Mit der Bücherei ist es gelungen, einen solchen Ort zu schaffen.

Die beiden Frauen sind zwar nicht von Anfang an mit dabei gewesen, haben aber im Laufe der Jahre trotzdem so einige Veränderungen beobachtet. Zum Beispiel beim Leseangebot. So seien medizinische und pädagogische Ratgeber sehr beliebt gewesen, bevor es dann Internet-Suchmaschinen gab. "Wir hatten auch eine Brockhaus-Enzyklopädie, die wurde aber irgendwann kaum noch angerührt", entsinnt sich Hartig. Mittlerweile werden hauptsächlich Kinderbücher, Krimis und Romane sowie Hörbücher und Filme ausgeliehen.

Schon 1976 gehörten Kinder zu den Hauptnutzern der Oberföhringer Bibliothek. (Foto: privat)

Aber auch ihr Publikum habe sich verändert, erzählt die Bücherei-Leiterin: "Früher kamen viele junge Mütter mit ihren Kindern. Doch heute sind häufig beide Eltern berufstätig und haben deswegen viel weniger Zeit." Die Hauptkundschaft bestehe jetzt vor allem aus Kindern im Grundschulalter und aus Viellesern.

Doch insgesamt habe die Bücherei deswegen nicht weniger Besucher. Denn außerhalb der regulären Öffnungszeiten, jeden Dienstag und Mittwoch von 15 bis 19 Uhr, sind dort an drei Vormittagen in der Woche mehrere Klassen aus den nahegelegenen Grundschulen zu Gast. "Es gibt so gut wie kein Kind in der Nachbarschaft, das in seiner Schulaufbahn nicht hier vorbeikommt", erzählt Hartig stolz. Wenn die Kinder dann in ihrer Freizeit die Bibliothek besuchen, seien ihre Eltern oft erstaunt, wie gut sie sich dort schon auskennen.

Bevor sich die Schüler bei ihren Besuchen eigenständig Bücher aussuchen, dürfen sie den ehramtlichen Mitarbeiterinnen beim Vorlesen lauschen. Dabei sei es gar nicht so einfach, eine Geschichte zu finden, mit der man 20 Kinder bei der Stange halten kann, weiß Doris Meister. "Spannend und unterhaltsam" müssen die Bücher deswegen sein. Besonders beliebt seien momentan beispielsweise die Kinderbuch-Reihen "Mein Lotta-Leben", "Das magische Baumhaus" und "Gregs Tagebuch". "Und die drei Fragezeichen sind natürlich nicht tot zu kriegen", bemerkt Meister trocken.

Darüber hinaus gab es im Laufe der Jahre zahlreiche Veranstaltungen am Fritz-Meyer-Weg. Darunter ein Krimidinner, einen italienischen Abend und verschiedene Lesungen. Doch am wichtigsten sei das jährliche Büchereifest, das dieses Jahr am Samstag, 20. Mai, von 10 bis 17 Uhr stattfindet. Denn mit diesem Fest finanziert die Bücherei einen großen Teil ihres Unterhalts. Neben dem Kindertheater, das um 14.30 Uhr das Stück "Die Prinzessin und der Geist aus der Flöte" aufführt, gibt es einen Bücherflohmarkt, eine Fundgrube und Ratespiele.

Für die Zukunft der Bücherei wünschen sich die beiden Ehrenamtlichen, dass weiterhin viele Kinder vorbeikommen und die Freude am Lesen nicht ausstirbt. Doch dass Bücher dauerhaft aus der Mode kommen könnten, glaubt Christine Hartig nicht: "Um mit elektronischen Medien umgehen zu können, muss man erst mal Lesekompetenz erwerben. Und das geht am besten mit Büchern."

© SZ vom 19.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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