Streit über Unterbringung:CSU-Stadträte fordern Iglus für Obdachlose

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Im Winter ist hier kein Platz mehr für Obdachlose: Weil die Stadt fürchtet, unter den Brücken könnten Menschen erfrieren, ließ sie die Lager gleich ganz räumen. (Foto: Stephan Rumpf)
  • Wo sollten obdachlose Menschen während des Winters in München schlafen können? Über diese Frage diskutiert gerade der Stadtrat.
  • Vor einigen Tagen wurde ein Lager unter der Reichenbachbrücke geräumt. Die Grünen fordern nun, dass der sogenannte Kälteschutz in Gebäuden der ehemaligen Bayernkaserne auch tagsüber geöffnet werden sollte.
  • Einige CSU-Politiker wollen dagegen Kunststoff-Iglus ausgeben - die Idee ist aber sogar in der eigenen Partei umstritten.

Von Thomas Anlauf, München

Nach der Vertreibung der Obdachlosen von ihren Lagern an der Isar Ende November ist im Stadtrat eine Diskussion über die Unterbringung der Menschen entbrannt. Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Dominik Krause kritisiert die Räumung, durch die den Obdachlosen nicht nur ihr Besitz, sondern auch die Möglichkeit genommen worden sei, sich tagsüber "in von ihnen als ausreichend erachteten dauerhaften Strukturen aufzuhalten und selbständig zu versorgen".

Durch die Räumung der Lager unter der Reichenbach- und Wittelsbacherbrücke durch das Sozialreferat trage die Stadt nun eine besondere Verantwortung. Der sogenannte Kälteschutz in Gebäuden der ehemaligen Bayernkaserne, der künftig ganzjährig als kostenlose Notunterkunft offen steht, müsse einen ganztägigen Aufenthalt ermöglichen, fordert Krause. Auch Kochstellen sollten dort eingebaut werden, "um den Menschen eine Alternative zu ihrem Schlafplatz unter der Brücke anzubieten".

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Die CSU wählt dagegen einen anderen Ansatz. Anstatt Obdachlosen eine feste Unterkunft anzubieten, schlagen die Stadträte Reinhold Babor, Anja Burkhardt, Alexandra Gaßmann und Frieder Vogelsgesang vor, an Obdachlose Iglus aus Kunststoff auszugeben, mit denen sie im Freien campen sollen. Die CSU-Stadträte begründen ihren Vorstoß damit, dass viele Obdachlose "aus teilweise unerklärlichen persönlichen Gründen" nicht in den Kälteschutz in der Bayernkaserne gehen wollen. "Könnte mit einem solchen Iglu ein geordneter persönlicher Bereich für den Obdachlosen entstehen und damit die beanstandeten, unansehnlichen Matratzenlager verschwinden?", fragt die CSU die Stadtverwaltung.

Doch die Forderung der Stadträte ist selbst innerhalb der CSU-Fraktion umstritten. "Es gibt einen Konsens, dass kein Mensch auf der Straße schlafen muss", sagt der sozialpolitische Sprecher Marian Offman. Zudem werde mit den Iglus das Elend erst sichtbar gemacht. Er sei über das Vorpreschen seiner Fraktionskollegen "not amused. Dafür gibt es ja einen sozialpolitischen Sprecher", rügt Offman seine Kollegen. Auch das Sozialreferat lehnt Iglus, wie sie seit vergangenem Winter in Bordeaux getestet werden, grundsätzlich ab. "Wir halten von der Idee nichts, einfach weil wir den Kälteschutz haben", sagt Referatssprecherin Edith Petry. "Wir haben auch die Verpflichtung, die Menschen unterzubringen, es muss niemand unter der Brücke schlafen."

Doch über die Frage der Unterbringung von Obdachlosen, die in den letzten Jahren nach München gekommen sind, gibt es seit Langem Diskussionen. Einige der Wohnungslosen fordern regelmäßig, dass die Stadt ihnen zumindest in Pensionen Zimmer zur Verfügung stellen sollte. Im vergangenen Jahr klagte der obdachlose Hristo Vankov erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht München, dass die Stadt ihm eine Unterkunft anbieten muss. Durch Obdachlosigkeit bestehe "Gefahr für Leib und Leben", urteilte das Gericht, die Stadt sei deshalb verpflichtet, diese Gefahr abzuwehren. Dabei sei es "unerheblich", wo der Betroffene gemeldet ist oder war. Das Sozialreferat brachte Vankov daraufhin tatsächlich in einem Zimmer unter, wenige Monate später starb er jedoch an den Folgen seiner Diabetes.

Für das Sozialreferat war die Unterbringung Vankovs eine Einzelfallentscheidung. Doch tatsächlich kommt es immer wieder vor, dass das Amt für Wohnen und Migration Menschen ohne Obdach, die seit längerem in München leben, eine Wohnung vermittelt. Auch von den Menschen, die unter den Brücken lebten und nicht in die Bayernkaserne wollen, können nun einige darauf hoffen, in eine Unterkunft zu kommen. Seit der Räumung gehen mehrere Männer nahezu täglich zum Wohnungsamt.

Ismed Yasar, der seit sieben Jahren unter der Reichenbachbrücke lebte, kam zu anderen Männern in ein Zimmer. Doch weil die in der Unterkunft rauchten und Alkohol tranken, wollte er dort nicht bleiben. Jetzt hat Yasar nach Angaben der Initiative Zivilcourage die Zusage der Stadt, ein Zimmer zu erhalten, in dem nicht geraucht und getrunken wird. Herkules Asenov, der ebenfalls im Freien lebte, bekam laut Lisa Riedner von der Initiative eine Zusage für ein Zimmer. Doch in der Unterkunft habe man von ihm 20 Euro als Sicherheitsleistung für den Türschlüssel gewollt - die hatte er nicht. Als er sich das Geld bei der Bahnhofsmission holte und zurück zur neuen Unterkunft ging, soll das Bett bereits anderweitig vergeben worden sein.

Für die Ethnologin Lisa Riedner ist das Recht auf Wohnraum für Obdachlose eine Selbstverständlichkeit, die Räumung eines Lagers dagegen als Schutzmaßnahme für die Obdachlosen dürfe es nicht geben. Das sei ein "paternalistischer, repressiver Ansatz", sagt Riedner. Sie befasst sich seit vielen Jahren auch wissenschaftlich mit EU-Migranten und der Wohnungslosenpolitik in München. Die Idee der CSU, Iglus für Obdachlose zur Verfügung zu stellen, hält sie für "einen geschickten Versuch, den Diskurs antiziganistisch zu wenden, die Aufmerksamkeit von den berechtigten Forderungen der Betroffenen abzuwenden und einen neuen sozialpolitischen Substandard einzuführen". Riedner kämpft mit der Initiative Zivilcourage darum, dass alle Obdachlosen ein Anrecht auf Wohnraum haben und nicht nur diejenigen, die seit Jahren in München gemeldet sind.

Wer keine Meldeadresse hat, bekommt meist auch keine Arbeit oder den Zugang zu einer Krankenversicherung. "Dadurch wird es obdachlosen Menschen extrem erschwert, ihre Lage aus eigener Kraft zu verbessern und beispielsweise eine Wohnung zu mieten", sagt Grünen-Stadtrat Dominik Krause. "Die Stadt muss daher ihre restriktive Meldepraxis ändern." Ab dem ersten Tag Aufenthalt solle jeder die Möglichkeit haben, sich beim Kreisverwaltungsreferat als in München lebend zu melden. Wer länger als drei Tage hintereinander im Kälteschutz übernachte, solle eine Bestätigung erhalten, mit der der Obdachlose zum Einwohnermeldeamt gehen könne.

Bislang können Obdachlose zwar kostenlos in der Bayernkaserne übernachten, doch viel mehr Unterstützung gibt es nicht. Unterdessen könnten bald weitere Lager geräumt werden. In Pasing, im Olympiapark und in der Isarvorstadt müssen Obdachlose offenbar demnächst ihre Schlafplätze verlassen.

© SZ vom 12.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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